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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Löucivtus loquax

Der Verfasser der "Malerischen Reise am Niederrhein" (Köln am Rhein,
bei dem Verfasser, und Nürnberg, bei L. Weigel und A. B. Schneider, 1784)
spricht sich bei der Beschreibung des kurfürstlichen Schlosses zu Bonn S. 26
dahin aus, daß man ein deutsches Schauspiel, auch bei den vorigen Regie¬
rungen, in Bonn noch nicht gehabt habe, außer was die beiden letztverstorbnen
Kurfürsten Clemens August und Joseph Clemens durch ihre Musikanten und
Hofbediente von Zeit zu Zeit geben ließen. Von Joseph Clemens erzählte
man sogar, daß er seine Leute meist selbst, und oft sehr fühlbar, dressiert
habe. Unter der letzten Regierung habe man vieles auf Franzosen und Ita¬
liener verwandt. Selbst noch unter diesem Herrn seien Gesellschaften aus
jenen Nationen gewesen. Aber nun ist, sagt er, seit verschiednen Jahren alles
deutsch. Sonderbarerweise hat der ungenannte Verfasser die dem Buche bei¬
gegebnen Kupfertafeln nur in französischer Sprache beschrieben.

(Fortsetzung folgt)




Lenectus lon^uax
Plaudereien eines alten Deutschen 10

er Rausch von 1848 war zu Ende und hatte nur den bittersten
Nachgeschmack zurückgelassen. Die Schlacht von 1849 war geschlagen,
ohne einen Friedensschluß herbeizuführen, nicht einmal einen Waffen¬
stillstand. Erbitterung erfüllte die Unterlegnen, die abermals wie
nach den Befreiungskriegen die Hoffnungen des deutschen Volkes und
alle feierlichen Zusagen in Dunst aufgehen sahen, die Sieger wußten,
daß die große Mehrheit mit dem Herzen auf feiten der Gegner stand. So be¬
obachteten beide Parteien einander mit dem tiefsten Mißtrauen. Freunde und An¬
hänger außerhalb der Kreise der unbedingten Reaktion zu gewinnen, darauf konnten
die Regierungen wohl nicht rechnen, vielmehr bedienten sie sich ihrer Machtmittel,
um die "Übelgesinnten" aller Art, so gut die "Revolutionäre in Schlafrock und
Pantoffeln," wie der Minister Mcintenffel die Konstitutionellen nannte, als die
Demokraten und Roten unschädlich zu machen, zu unterdrücken oder doch zu er¬
müden. Die berüchtigte Mainzer Zentraluntersuchungskommission von 1819 ff.
wurde nicht erneuert, da in den Grundsätzen der Verfolgung alle Machthaber im
wesentlichen einig waren. Aber es läßt sich annehmen, daß die Akten jener Kom¬
mission aufmerksam studiert wurden, die nicht nur wegen hochverräterischer Unter¬
nehmungen, Teilnahme an gefährlichen Verbindungen, sondern auch wegen "ent¬
fernter Beihilfe" zu solchen Verbindungen, wegen "Verdachts der Mitwisfenschaft,"
"Nichtanzeige der Wissenschaft von dem Versuche der Stiftung einer solchen" und


Löucivtus loquax

Der Verfasser der „Malerischen Reise am Niederrhein" (Köln am Rhein,
bei dem Verfasser, und Nürnberg, bei L. Weigel und A. B. Schneider, 1784)
spricht sich bei der Beschreibung des kurfürstlichen Schlosses zu Bonn S. 26
dahin aus, daß man ein deutsches Schauspiel, auch bei den vorigen Regie¬
rungen, in Bonn noch nicht gehabt habe, außer was die beiden letztverstorbnen
Kurfürsten Clemens August und Joseph Clemens durch ihre Musikanten und
Hofbediente von Zeit zu Zeit geben ließen. Von Joseph Clemens erzählte
man sogar, daß er seine Leute meist selbst, und oft sehr fühlbar, dressiert
habe. Unter der letzten Regierung habe man vieles auf Franzosen und Ita¬
liener verwandt. Selbst noch unter diesem Herrn seien Gesellschaften aus
jenen Nationen gewesen. Aber nun ist, sagt er, seit verschiednen Jahren alles
deutsch. Sonderbarerweise hat der ungenannte Verfasser die dem Buche bei¬
gegebnen Kupfertafeln nur in französischer Sprache beschrieben.

(Fortsetzung folgt)




Lenectus lon^uax
Plaudereien eines alten Deutschen 10

er Rausch von 1848 war zu Ende und hatte nur den bittersten
Nachgeschmack zurückgelassen. Die Schlacht von 1849 war geschlagen,
ohne einen Friedensschluß herbeizuführen, nicht einmal einen Waffen¬
stillstand. Erbitterung erfüllte die Unterlegnen, die abermals wie
nach den Befreiungskriegen die Hoffnungen des deutschen Volkes und
alle feierlichen Zusagen in Dunst aufgehen sahen, die Sieger wußten,
daß die große Mehrheit mit dem Herzen auf feiten der Gegner stand. So be¬
obachteten beide Parteien einander mit dem tiefsten Mißtrauen. Freunde und An¬
hänger außerhalb der Kreise der unbedingten Reaktion zu gewinnen, darauf konnten
die Regierungen wohl nicht rechnen, vielmehr bedienten sie sich ihrer Machtmittel,
um die „Übelgesinnten" aller Art, so gut die „Revolutionäre in Schlafrock und
Pantoffeln," wie der Minister Mcintenffel die Konstitutionellen nannte, als die
Demokraten und Roten unschädlich zu machen, zu unterdrücken oder doch zu er¬
müden. Die berüchtigte Mainzer Zentraluntersuchungskommission von 1819 ff.
wurde nicht erneuert, da in den Grundsätzen der Verfolgung alle Machthaber im
wesentlichen einig waren. Aber es läßt sich annehmen, daß die Akten jener Kom¬
mission aufmerksam studiert wurden, die nicht nur wegen hochverräterischer Unter¬
nehmungen, Teilnahme an gefährlichen Verbindungen, sondern auch wegen „ent¬
fernter Beihilfe" zu solchen Verbindungen, wegen „Verdachts der Mitwisfenschaft,"
„Nichtanzeige der Wissenschaft von dem Versuche der Stiftung einer solchen" und


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[0222] Löucivtus loquax Der Verfasser der „Malerischen Reise am Niederrhein" (Köln am Rhein, bei dem Verfasser, und Nürnberg, bei L. Weigel und A. B. Schneider, 1784) spricht sich bei der Beschreibung des kurfürstlichen Schlosses zu Bonn S. 26 dahin aus, daß man ein deutsches Schauspiel, auch bei den vorigen Regie¬ rungen, in Bonn noch nicht gehabt habe, außer was die beiden letztverstorbnen Kurfürsten Clemens August und Joseph Clemens durch ihre Musikanten und Hofbediente von Zeit zu Zeit geben ließen. Von Joseph Clemens erzählte man sogar, daß er seine Leute meist selbst, und oft sehr fühlbar, dressiert habe. Unter der letzten Regierung habe man vieles auf Franzosen und Ita¬ liener verwandt. Selbst noch unter diesem Herrn seien Gesellschaften aus jenen Nationen gewesen. Aber nun ist, sagt er, seit verschiednen Jahren alles deutsch. Sonderbarerweise hat der ungenannte Verfasser die dem Buche bei¬ gegebnen Kupfertafeln nur in französischer Sprache beschrieben. (Fortsetzung folgt) Lenectus lon^uax Plaudereien eines alten Deutschen 10 er Rausch von 1848 war zu Ende und hatte nur den bittersten Nachgeschmack zurückgelassen. Die Schlacht von 1849 war geschlagen, ohne einen Friedensschluß herbeizuführen, nicht einmal einen Waffen¬ stillstand. Erbitterung erfüllte die Unterlegnen, die abermals wie nach den Befreiungskriegen die Hoffnungen des deutschen Volkes und alle feierlichen Zusagen in Dunst aufgehen sahen, die Sieger wußten, daß die große Mehrheit mit dem Herzen auf feiten der Gegner stand. So be¬ obachteten beide Parteien einander mit dem tiefsten Mißtrauen. Freunde und An¬ hänger außerhalb der Kreise der unbedingten Reaktion zu gewinnen, darauf konnten die Regierungen wohl nicht rechnen, vielmehr bedienten sie sich ihrer Machtmittel, um die „Übelgesinnten" aller Art, so gut die „Revolutionäre in Schlafrock und Pantoffeln," wie der Minister Mcintenffel die Konstitutionellen nannte, als die Demokraten und Roten unschädlich zu machen, zu unterdrücken oder doch zu er¬ müden. Die berüchtigte Mainzer Zentraluntersuchungskommission von 1819 ff. wurde nicht erneuert, da in den Grundsätzen der Verfolgung alle Machthaber im wesentlichen einig waren. Aber es läßt sich annehmen, daß die Akten jener Kom¬ mission aufmerksam studiert wurden, die nicht nur wegen hochverräterischer Unter¬ nehmungen, Teilnahme an gefährlichen Verbindungen, sondern auch wegen „ent¬ fernter Beihilfe" zu solchen Verbindungen, wegen „Verdachts der Mitwisfenschaft," „Nichtanzeige der Wissenschaft von dem Versuche der Stiftung einer solchen" und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/222>, abgerufen am 06.05.2024.