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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Zslam und Zivilisation

Ironie finden. Denn die Erleichterung ist in Wirklichkeit eine Erschwerung.
Fiir den aber, der von der angeblichen Erleichterung des Reiseverkehrs noch
keinen Gebrauch gemacht hat, bedarf es noch eines längern Verweilens bei den
zusammenstellbaren Fahrscheinheften, um die mit ihrer Benutzung verbundnen
Schwierigkeiten in das rechte Licht zu stellen.

(Schluß folgt)




^)Siam und Zivilisation

le wichtigste Frage für alle ehrlichen und ernsten Reformbestre-
bungen in der Türkei ist immer gewesen: Ist die muhammedanische
Religion schlechthin unvereinbar mit europäischer Zivilisation,
oder ist eine Anpassung und ein Zusammenwirken beider trotz
ihres anscheinenden Gegensatzes möglich? Daß die Zukunft der
Türkeuherrschaft und des Osmanentums in Europa von der Beantwortung
dieser Frage abhängt, ist ohne weiteres klar. Die Antwort kann sich nur aus
einem geschichtlichen Rückblick ergeben.

Da ist denn zunächst die Thatsache festzustellen, daß Christentum und
Islam nicht immer in feindlichem Gegensatz zu einander gestanden haben.
Nachdem der erste muhammedanische Fanatismus verflogen war, haben die
Beherrscher des Abendlandes und des Morgenlandes, Karl der Große und der
Kauf Harun, in freundlichem Verkehr miteinander gestanden, und der Kampf
ist erst wieder entbrannt, als das Papsttum daran ging, seine Ansprüche auf die
geistliche und weltliche Oberherrschaft über die bewohnte Erde zu verwirklichen.
Nicht der feindliche Gegensatz der Religionen ist die Ursache der Kreuzzüge
gewesen, sondern erst aus dem langjährigen blutigen Ringen um den Besitz
Palästinas und Syriens ist die Jahrhunderte überdauernde Feindschaft und der
bis heute unausgeglichnc Gegensatz hervorgegangen. Die Grenzregioncn der
drei alten Kontinente sind Gefilde, auf denen sich seit den ältesten Zeiten ent¬
scheidende Völkerkümpfe und in ihrem Gefolge der Ausgleich verschiedner Kul¬
turen vollzogen haben. Einbrüche und Wanderungen der Völker der Steppe
in die Kulturwelt des Westens haben auch ohne religiösen Gegensatz während
der ganzen ersten Hülste des Mittelalters stattgefunden; die eigentliche Ursache
der Kreuzzüge lag darin, daß der griechische Kaiser im Jahre 1095 durch den
Papst die Hilfe des Abendlandes gegen das Vordringen der seldschukischen
Türken anrief, und der Papst dieses Gesuch in der wirtschaftlichen, sozialen,


Zslam und Zivilisation

Ironie finden. Denn die Erleichterung ist in Wirklichkeit eine Erschwerung.
Fiir den aber, der von der angeblichen Erleichterung des Reiseverkehrs noch
keinen Gebrauch gemacht hat, bedarf es noch eines längern Verweilens bei den
zusammenstellbaren Fahrscheinheften, um die mit ihrer Benutzung verbundnen
Schwierigkeiten in das rechte Licht zu stellen.

(Schluß folgt)




^)Siam und Zivilisation

le wichtigste Frage für alle ehrlichen und ernsten Reformbestre-
bungen in der Türkei ist immer gewesen: Ist die muhammedanische
Religion schlechthin unvereinbar mit europäischer Zivilisation,
oder ist eine Anpassung und ein Zusammenwirken beider trotz
ihres anscheinenden Gegensatzes möglich? Daß die Zukunft der
Türkeuherrschaft und des Osmanentums in Europa von der Beantwortung
dieser Frage abhängt, ist ohne weiteres klar. Die Antwort kann sich nur aus
einem geschichtlichen Rückblick ergeben.

Da ist denn zunächst die Thatsache festzustellen, daß Christentum und
Islam nicht immer in feindlichem Gegensatz zu einander gestanden haben.
Nachdem der erste muhammedanische Fanatismus verflogen war, haben die
Beherrscher des Abendlandes und des Morgenlandes, Karl der Große und der
Kauf Harun, in freundlichem Verkehr miteinander gestanden, und der Kampf
ist erst wieder entbrannt, als das Papsttum daran ging, seine Ansprüche auf die
geistliche und weltliche Oberherrschaft über die bewohnte Erde zu verwirklichen.
Nicht der feindliche Gegensatz der Religionen ist die Ursache der Kreuzzüge
gewesen, sondern erst aus dem langjährigen blutigen Ringen um den Besitz
Palästinas und Syriens ist die Jahrhunderte überdauernde Feindschaft und der
bis heute unausgeglichnc Gegensatz hervorgegangen. Die Grenzregioncn der
drei alten Kontinente sind Gefilde, auf denen sich seit den ältesten Zeiten ent¬
scheidende Völkerkümpfe und in ihrem Gefolge der Ausgleich verschiedner Kul¬
turen vollzogen haben. Einbrüche und Wanderungen der Völker der Steppe
in die Kulturwelt des Westens haben auch ohne religiösen Gegensatz während
der ganzen ersten Hülste des Mittelalters stattgefunden; die eigentliche Ursache
der Kreuzzüge lag darin, daß der griechische Kaiser im Jahre 1095 durch den
Papst die Hilfe des Abendlandes gegen das Vordringen der seldschukischen
Türken anrief, und der Papst dieses Gesuch in der wirtschaftlichen, sozialen,


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[0315] Zslam und Zivilisation Ironie finden. Denn die Erleichterung ist in Wirklichkeit eine Erschwerung. Fiir den aber, der von der angeblichen Erleichterung des Reiseverkehrs noch keinen Gebrauch gemacht hat, bedarf es noch eines längern Verweilens bei den zusammenstellbaren Fahrscheinheften, um die mit ihrer Benutzung verbundnen Schwierigkeiten in das rechte Licht zu stellen. (Schluß folgt) ^)Siam und Zivilisation le wichtigste Frage für alle ehrlichen und ernsten Reformbestre- bungen in der Türkei ist immer gewesen: Ist die muhammedanische Religion schlechthin unvereinbar mit europäischer Zivilisation, oder ist eine Anpassung und ein Zusammenwirken beider trotz ihres anscheinenden Gegensatzes möglich? Daß die Zukunft der Türkeuherrschaft und des Osmanentums in Europa von der Beantwortung dieser Frage abhängt, ist ohne weiteres klar. Die Antwort kann sich nur aus einem geschichtlichen Rückblick ergeben. Da ist denn zunächst die Thatsache festzustellen, daß Christentum und Islam nicht immer in feindlichem Gegensatz zu einander gestanden haben. Nachdem der erste muhammedanische Fanatismus verflogen war, haben die Beherrscher des Abendlandes und des Morgenlandes, Karl der Große und der Kauf Harun, in freundlichem Verkehr miteinander gestanden, und der Kampf ist erst wieder entbrannt, als das Papsttum daran ging, seine Ansprüche auf die geistliche und weltliche Oberherrschaft über die bewohnte Erde zu verwirklichen. Nicht der feindliche Gegensatz der Religionen ist die Ursache der Kreuzzüge gewesen, sondern erst aus dem langjährigen blutigen Ringen um den Besitz Palästinas und Syriens ist die Jahrhunderte überdauernde Feindschaft und der bis heute unausgeglichnc Gegensatz hervorgegangen. Die Grenzregioncn der drei alten Kontinente sind Gefilde, auf denen sich seit den ältesten Zeiten ent¬ scheidende Völkerkümpfe und in ihrem Gefolge der Ausgleich verschiedner Kul¬ turen vollzogen haben. Einbrüche und Wanderungen der Völker der Steppe in die Kulturwelt des Westens haben auch ohne religiösen Gegensatz während der ganzen ersten Hülste des Mittelalters stattgefunden; die eigentliche Ursache der Kreuzzüge lag darin, daß der griechische Kaiser im Jahre 1095 durch den Papst die Hilfe des Abendlandes gegen das Vordringen der seldschukischen Türken anrief, und der Papst dieses Gesuch in der wirtschaftlichen, sozialen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/315>, abgerufen am 07.05.2024.