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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Islam und Zivilisation

politischen und kirchlichen Krisis, in der Europa während des Investiturstreits
stand, zu einem Hebel seiner Weltherrschaftspläne zu machen dachte. Für den
griechischen Kaiser war der nun auf dem Kriegsschauplatz auftretende Bundes¬
genosse aber viel zu stark*) und damit eine größere Gefahr als die von Osten
drohende. Da auch die muhammedanische Welt in die sich feindlich gegenüber¬
stehenden Ägypter unter den Fatimiden und die Asiaten unter den Abbassiden
geschieden war, so ergab sich daraus eine wunderbar verworrne politische Lage.
Nachdem die verschiedensten Kombinationen versucht worden waren, alle sich als
unhaltbar erwiesen und die Kräfte sich in dem großen Ringen erschöpft hatten,
konnten die neu auftretenden osmanischen Türken als Sieger die Trümmerstätte
dieser Kämpfe behaupten. Den Deutschen hatte sich zeitweise eine große Aussicht
in diesen Völkerkämpfen eröffnet. Bei dem dritten Kreuzzuge waren die Serben,
Walcichen und Bulgaren bereit, sich dem deutschen Reiche anzuschließen, und
es hing nur von dem Kaiser Barbarossa ab, seineu Kreuzzug mit der Eroberung
Konstaminopels und damit des griechischen Kaiserreichs zu beginnen. "Es war
eine der größten Fragen, die jemals einem deutschen Kaiser vorgelegen haben.
Friedrich wies das Anerbieten ab, er wollte Jerusalem sehen. Er handelte
moralisch groß, aber politisch thöricht. Eine Herrschaft unter deutscher Ober¬
hoheit Hütte der Nation unendliche Aussichten eröffnet."**) Der Sohn und Nach¬
folger Barbarossas, Heinrich VI., hat den Gedanken der Eroberung Konstanti-
nopels ernstlich erwogen, aber sein Tod machte diesen Entwürfen und Deutsch¬
lands Größe 1197 ein Ende. Die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1204
dnrch die Kreuzfahrer unter venetianischer Leitung führte nicht mehr zu heilsamen
und dauernden Erfolgen, denn den Eroberern fehlte die Kraft zu lebensvollen
Neugestaltungen; 1261 wurde es durch die Griechen mit geringer Mühe zurück¬
erobert. Ein Jahrhundert später setzten die Osmanen über den Hellespont
und begründeten in den Ländern des durch und durch zerrütteten byzantinischen
Reiches die Türkenherrschaft in Europa, zunächst mit dem Sitz in Adrianopel.

1

Um die Fragen zu entscheiden, inwiefern und aus welchen Gründen der
Islam kulturfeindlich ist, müssen wir den Blick auf die Zeit vor den Kreuz¬
zügen richten. In dieser Zeit sind die muhammedanischen Völker ganz un¬
streitig die Träger höherer Zivilisation und religiöser Toleranz, während größere
Roheit und Neligionsfanatismus auf feiten der Christen sind. Insbesondre
die Deutschen sind bis zum Jahre 1050 ein reines Ackerbauvolk, erst seit 1100.
also seit dem Beginn der Kreuzzüge, scheidet sich der Krieger vom Bauern: die




") Dazu kam, daß die Normannen, die Todfeinde der Griechen, einen wesentlichen Bestand¬
teil des Kreuzhecres ausmachten,
Ranke, Weltgeschichte, Bd, VI II,
Islam und Zivilisation

politischen und kirchlichen Krisis, in der Europa während des Investiturstreits
stand, zu einem Hebel seiner Weltherrschaftspläne zu machen dachte. Für den
griechischen Kaiser war der nun auf dem Kriegsschauplatz auftretende Bundes¬
genosse aber viel zu stark*) und damit eine größere Gefahr als die von Osten
drohende. Da auch die muhammedanische Welt in die sich feindlich gegenüber¬
stehenden Ägypter unter den Fatimiden und die Asiaten unter den Abbassiden
geschieden war, so ergab sich daraus eine wunderbar verworrne politische Lage.
Nachdem die verschiedensten Kombinationen versucht worden waren, alle sich als
unhaltbar erwiesen und die Kräfte sich in dem großen Ringen erschöpft hatten,
konnten die neu auftretenden osmanischen Türken als Sieger die Trümmerstätte
dieser Kämpfe behaupten. Den Deutschen hatte sich zeitweise eine große Aussicht
in diesen Völkerkämpfen eröffnet. Bei dem dritten Kreuzzuge waren die Serben,
Walcichen und Bulgaren bereit, sich dem deutschen Reiche anzuschließen, und
es hing nur von dem Kaiser Barbarossa ab, seineu Kreuzzug mit der Eroberung
Konstaminopels und damit des griechischen Kaiserreichs zu beginnen. „Es war
eine der größten Fragen, die jemals einem deutschen Kaiser vorgelegen haben.
Friedrich wies das Anerbieten ab, er wollte Jerusalem sehen. Er handelte
moralisch groß, aber politisch thöricht. Eine Herrschaft unter deutscher Ober¬
hoheit Hütte der Nation unendliche Aussichten eröffnet."**) Der Sohn und Nach¬
folger Barbarossas, Heinrich VI., hat den Gedanken der Eroberung Konstanti-
nopels ernstlich erwogen, aber sein Tod machte diesen Entwürfen und Deutsch¬
lands Größe 1197 ein Ende. Die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1204
dnrch die Kreuzfahrer unter venetianischer Leitung führte nicht mehr zu heilsamen
und dauernden Erfolgen, denn den Eroberern fehlte die Kraft zu lebensvollen
Neugestaltungen; 1261 wurde es durch die Griechen mit geringer Mühe zurück¬
erobert. Ein Jahrhundert später setzten die Osmanen über den Hellespont
und begründeten in den Ländern des durch und durch zerrütteten byzantinischen
Reiches die Türkenherrschaft in Europa, zunächst mit dem Sitz in Adrianopel.

1

Um die Fragen zu entscheiden, inwiefern und aus welchen Gründen der
Islam kulturfeindlich ist, müssen wir den Blick auf die Zeit vor den Kreuz¬
zügen richten. In dieser Zeit sind die muhammedanischen Völker ganz un¬
streitig die Träger höherer Zivilisation und religiöser Toleranz, während größere
Roheit und Neligionsfanatismus auf feiten der Christen sind. Insbesondre
die Deutschen sind bis zum Jahre 1050 ein reines Ackerbauvolk, erst seit 1100.
also seit dem Beginn der Kreuzzüge, scheidet sich der Krieger vom Bauern: die




») Dazu kam, daß die Normannen, die Todfeinde der Griechen, einen wesentlichen Bestand¬
teil des Kreuzhecres ausmachten,
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[0316] Islam und Zivilisation politischen und kirchlichen Krisis, in der Europa während des Investiturstreits stand, zu einem Hebel seiner Weltherrschaftspläne zu machen dachte. Für den griechischen Kaiser war der nun auf dem Kriegsschauplatz auftretende Bundes¬ genosse aber viel zu stark*) und damit eine größere Gefahr als die von Osten drohende. Da auch die muhammedanische Welt in die sich feindlich gegenüber¬ stehenden Ägypter unter den Fatimiden und die Asiaten unter den Abbassiden geschieden war, so ergab sich daraus eine wunderbar verworrne politische Lage. Nachdem die verschiedensten Kombinationen versucht worden waren, alle sich als unhaltbar erwiesen und die Kräfte sich in dem großen Ringen erschöpft hatten, konnten die neu auftretenden osmanischen Türken als Sieger die Trümmerstätte dieser Kämpfe behaupten. Den Deutschen hatte sich zeitweise eine große Aussicht in diesen Völkerkämpfen eröffnet. Bei dem dritten Kreuzzuge waren die Serben, Walcichen und Bulgaren bereit, sich dem deutschen Reiche anzuschließen, und es hing nur von dem Kaiser Barbarossa ab, seineu Kreuzzug mit der Eroberung Konstaminopels und damit des griechischen Kaiserreichs zu beginnen. „Es war eine der größten Fragen, die jemals einem deutschen Kaiser vorgelegen haben. Friedrich wies das Anerbieten ab, er wollte Jerusalem sehen. Er handelte moralisch groß, aber politisch thöricht. Eine Herrschaft unter deutscher Ober¬ hoheit Hütte der Nation unendliche Aussichten eröffnet."**) Der Sohn und Nach¬ folger Barbarossas, Heinrich VI., hat den Gedanken der Eroberung Konstanti- nopels ernstlich erwogen, aber sein Tod machte diesen Entwürfen und Deutsch¬ lands Größe 1197 ein Ende. Die Eroberung Konstantinopels im Jahre 1204 dnrch die Kreuzfahrer unter venetianischer Leitung führte nicht mehr zu heilsamen und dauernden Erfolgen, denn den Eroberern fehlte die Kraft zu lebensvollen Neugestaltungen; 1261 wurde es durch die Griechen mit geringer Mühe zurück¬ erobert. Ein Jahrhundert später setzten die Osmanen über den Hellespont und begründeten in den Ländern des durch und durch zerrütteten byzantinischen Reiches die Türkenherrschaft in Europa, zunächst mit dem Sitz in Adrianopel. 1 Um die Fragen zu entscheiden, inwiefern und aus welchen Gründen der Islam kulturfeindlich ist, müssen wir den Blick auf die Zeit vor den Kreuz¬ zügen richten. In dieser Zeit sind die muhammedanischen Völker ganz un¬ streitig die Träger höherer Zivilisation und religiöser Toleranz, während größere Roheit und Neligionsfanatismus auf feiten der Christen sind. Insbesondre die Deutschen sind bis zum Jahre 1050 ein reines Ackerbauvolk, erst seit 1100. also seit dem Beginn der Kreuzzüge, scheidet sich der Krieger vom Bauern: die ») Dazu kam, daß die Normannen, die Todfeinde der Griechen, einen wesentlichen Bestand¬ teil des Kreuzhecres ausmachten, Ranke, Weltgeschichte, Bd, VI II,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/316>, abgerufen am 07.05.2024.