Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


3menen3 Icx^UÄX
Plaudereien eines alten Deutschen 12

rag, die schöne Stadt, heißt es nicht nur in dem alten Soldatenliede
von der Belagerung durch den General Schwerin. In vielen
Sprachen und Mundarten habe ich die Bewunderung sich nußern
hören, namentlich auf den Aussichtspunkten auf der Kleinen Seite,
und nur ein junger Mann, der nicht einmal "mit Spreewasser ge¬
tauft" war, faßte den Eindruck der türmereichen alten Stadt an der
muntern Moldau in die Worte zusammen: "Alters keen Berlin, weeß Gott!" In
der That hat Prag die verschiedensten Anziehungspunkte durch malerische Lage,
altertümliche und historisch denkwürdige Gebäude. Doch konnte und kann nun das
Urteil hören, das; in der Mischung der Bevölkerung ein starkes Element lieber ent¬
behrt werden würde. Die einen fanden zuviel Deutsche, die andern zuviel Tschechen
und noch andre zuviel Juden vor. Zu Anfang der fünfziger Jahre war von
Streitigkeiten zwischen Deutschen und Tschechen wohl kaum die Rede. Österreich
war noch ein vorwiegend deutscher Staat, die Unruhen im Jahre 1848 waren
von Tschechen ausgegangen, und diese hüteten sich wohl, an jene Ereignisse zu
mahnen. Im Gegenteil hatte das herrschende System in Österreich und in Ungarn
keine ergebnem Diener als sie. Bekannt ist, daß General Benedek als Gmivernenr
in Pest-Ofen einem deutschen Beamten gegenüber sein Erstaunen darüber nussprach,
daß dieser wahrend einer mehrjährigen Dienstzeit noch nicht tschechisch gelernt habe.
Dort sollen sie mit besondrer Hingebung "germanisiert" nud den Zentralismus
verhaßt gemacht, sich insbesondre auch als Spitzel oder Naderer verwendbar gezeigt
haben.

Daran wurde ich gleich bei meinem ersten Besuch des Hradschin gemahnt.
Als wir an das Fenster kamen, durch das die beiden Räte Martinitz und Slävata
gestürzt worden waren, machte der Führer mit verschmitztem Gesicht eine mir nur
halb verständliche Bemerkung, die anzudeuten schien, daß eine solche Justiz auch
"och heutzutage angewandt zu werden verdiene. Mein Begleiter warf mir einen
warnenden Blick zu und bestätigte nachher, daß er glaube, ich hätte zu einer un¬
vorsichtigen Äußerung verlockt werden sollen. Übrigens wurde damals in Prag
tschechisch mir in den untern Schichten gesprochen, fast jedermann bediente sich schlecht
und recht des Deutschen, und in den tschechischen Theatervorstellungen, die wöchent¬
lich einmal stattfanden, wirkten nur untergeordnete Mitglieder des deutschen
Theaters mit. Und daß die Furcht vor polizeilicher Überwachung beide Volks¬
stämme beherrschte, wurde mir deutlich, als ich mich um die Bethlehemskapelle er¬
kundigte, in der einst Huß gepredigt habe" soll. Die herumstehenden Leute thäte"




3menen3 Icx^UÄX
Plaudereien eines alten Deutschen 12

rag, die schöne Stadt, heißt es nicht nur in dem alten Soldatenliede
von der Belagerung durch den General Schwerin. In vielen
Sprachen und Mundarten habe ich die Bewunderung sich nußern
hören, namentlich auf den Aussichtspunkten auf der Kleinen Seite,
und nur ein junger Mann, der nicht einmal „mit Spreewasser ge¬
tauft" war, faßte den Eindruck der türmereichen alten Stadt an der
muntern Moldau in die Worte zusammen: „Alters keen Berlin, weeß Gott!" In
der That hat Prag die verschiedensten Anziehungspunkte durch malerische Lage,
altertümliche und historisch denkwürdige Gebäude. Doch konnte und kann nun das
Urteil hören, das; in der Mischung der Bevölkerung ein starkes Element lieber ent¬
behrt werden würde. Die einen fanden zuviel Deutsche, die andern zuviel Tschechen
und noch andre zuviel Juden vor. Zu Anfang der fünfziger Jahre war von
Streitigkeiten zwischen Deutschen und Tschechen wohl kaum die Rede. Österreich
war noch ein vorwiegend deutscher Staat, die Unruhen im Jahre 1848 waren
von Tschechen ausgegangen, und diese hüteten sich wohl, an jene Ereignisse zu
mahnen. Im Gegenteil hatte das herrschende System in Österreich und in Ungarn
keine ergebnem Diener als sie. Bekannt ist, daß General Benedek als Gmivernenr
in Pest-Ofen einem deutschen Beamten gegenüber sein Erstaunen darüber nussprach,
daß dieser wahrend einer mehrjährigen Dienstzeit noch nicht tschechisch gelernt habe.
Dort sollen sie mit besondrer Hingebung „germanisiert" nud den Zentralismus
verhaßt gemacht, sich insbesondre auch als Spitzel oder Naderer verwendbar gezeigt
haben.

Daran wurde ich gleich bei meinem ersten Besuch des Hradschin gemahnt.
Als wir an das Fenster kamen, durch das die beiden Räte Martinitz und Slävata
gestürzt worden waren, machte der Führer mit verschmitztem Gesicht eine mir nur
halb verständliche Bemerkung, die anzudeuten schien, daß eine solche Justiz auch
»och heutzutage angewandt zu werden verdiene. Mein Begleiter warf mir einen
warnenden Blick zu und bestätigte nachher, daß er glaube, ich hätte zu einer un¬
vorsichtigen Äußerung verlockt werden sollen. Übrigens wurde damals in Prag
tschechisch mir in den untern Schichten gesprochen, fast jedermann bediente sich schlecht
und recht des Deutschen, und in den tschechischen Theatervorstellungen, die wöchent¬
lich einmal stattfanden, wirkten nur untergeordnete Mitglieder des deutschen
Theaters mit. Und daß die Furcht vor polizeilicher Überwachung beide Volks¬
stämme beherrschte, wurde mir deutlich, als ich mich um die Bethlehemskapelle er¬
kundigte, in der einst Huß gepredigt habe» soll. Die herumstehenden Leute thäte»


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0442" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230128"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_229685/figures/grenzboten_341869_229685_230128_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> 3menen3 Icx^UÄX<lb/><note type="byline"> Plaudereien eines alten Deutschen</note> 12</head><lb/>
          <p xml:id="ID_1772"> rag, die schöne Stadt, heißt es nicht nur in dem alten Soldatenliede<lb/>
von der Belagerung durch den General Schwerin. In vielen<lb/>
Sprachen und Mundarten habe ich die Bewunderung sich nußern<lb/>
hören, namentlich auf den Aussichtspunkten auf der Kleinen Seite,<lb/>
und nur ein junger Mann, der nicht einmal &#x201E;mit Spreewasser ge¬<lb/>
tauft" war, faßte den Eindruck der türmereichen alten Stadt an der<lb/>
muntern Moldau in die Worte zusammen: &#x201E;Alters keen Berlin, weeß Gott!" In<lb/>
der That hat Prag die verschiedensten Anziehungspunkte durch malerische Lage,<lb/>
altertümliche und historisch denkwürdige Gebäude. Doch konnte und kann nun das<lb/>
Urteil hören, das; in der Mischung der Bevölkerung ein starkes Element lieber ent¬<lb/>
behrt werden würde. Die einen fanden zuviel Deutsche, die andern zuviel Tschechen<lb/>
und noch andre zuviel Juden vor. Zu Anfang der fünfziger Jahre war von<lb/>
Streitigkeiten zwischen Deutschen und Tschechen wohl kaum die Rede. Österreich<lb/>
war noch ein vorwiegend deutscher Staat, die Unruhen im Jahre 1848 waren<lb/>
von Tschechen ausgegangen, und diese hüteten sich wohl, an jene Ereignisse zu<lb/>
mahnen. Im Gegenteil hatte das herrschende System in Österreich und in Ungarn<lb/>
keine ergebnem Diener als sie. Bekannt ist, daß General Benedek als Gmivernenr<lb/>
in Pest-Ofen einem deutschen Beamten gegenüber sein Erstaunen darüber nussprach,<lb/>
daß dieser wahrend einer mehrjährigen Dienstzeit noch nicht tschechisch gelernt habe.<lb/>
Dort sollen sie mit besondrer Hingebung &#x201E;germanisiert" nud den Zentralismus<lb/>
verhaßt gemacht, sich insbesondre auch als Spitzel oder Naderer verwendbar gezeigt<lb/>
haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1773" next="#ID_1774"> Daran wurde ich gleich bei meinem ersten Besuch des Hradschin gemahnt.<lb/>
Als wir an das Fenster kamen, durch das die beiden Räte Martinitz und Slävata<lb/>
gestürzt worden waren, machte der Führer mit verschmitztem Gesicht eine mir nur<lb/>
halb verständliche Bemerkung, die anzudeuten schien, daß eine solche Justiz auch<lb/>
»och heutzutage angewandt zu werden verdiene. Mein Begleiter warf mir einen<lb/>
warnenden Blick zu und bestätigte nachher, daß er glaube, ich hätte zu einer un¬<lb/>
vorsichtigen Äußerung verlockt werden sollen. Übrigens wurde damals in Prag<lb/>
tschechisch mir in den untern Schichten gesprochen, fast jedermann bediente sich schlecht<lb/>
und recht des Deutschen, und in den tschechischen Theatervorstellungen, die wöchent¬<lb/>
lich einmal stattfanden, wirkten nur untergeordnete Mitglieder des deutschen<lb/>
Theaters mit. Und daß die Furcht vor polizeilicher Überwachung beide Volks¬<lb/>
stämme beherrschte, wurde mir deutlich, als ich mich um die Bethlehemskapelle er¬<lb/>
kundigte, in der einst Huß gepredigt habe» soll. Die herumstehenden Leute thäte»</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0442] [Abbildung] 3menen3 Icx^UÄX Plaudereien eines alten Deutschen 12 rag, die schöne Stadt, heißt es nicht nur in dem alten Soldatenliede von der Belagerung durch den General Schwerin. In vielen Sprachen und Mundarten habe ich die Bewunderung sich nußern hören, namentlich auf den Aussichtspunkten auf der Kleinen Seite, und nur ein junger Mann, der nicht einmal „mit Spreewasser ge¬ tauft" war, faßte den Eindruck der türmereichen alten Stadt an der muntern Moldau in die Worte zusammen: „Alters keen Berlin, weeß Gott!" In der That hat Prag die verschiedensten Anziehungspunkte durch malerische Lage, altertümliche und historisch denkwürdige Gebäude. Doch konnte und kann nun das Urteil hören, das; in der Mischung der Bevölkerung ein starkes Element lieber ent¬ behrt werden würde. Die einen fanden zuviel Deutsche, die andern zuviel Tschechen und noch andre zuviel Juden vor. Zu Anfang der fünfziger Jahre war von Streitigkeiten zwischen Deutschen und Tschechen wohl kaum die Rede. Österreich war noch ein vorwiegend deutscher Staat, die Unruhen im Jahre 1848 waren von Tschechen ausgegangen, und diese hüteten sich wohl, an jene Ereignisse zu mahnen. Im Gegenteil hatte das herrschende System in Österreich und in Ungarn keine ergebnem Diener als sie. Bekannt ist, daß General Benedek als Gmivernenr in Pest-Ofen einem deutschen Beamten gegenüber sein Erstaunen darüber nussprach, daß dieser wahrend einer mehrjährigen Dienstzeit noch nicht tschechisch gelernt habe. Dort sollen sie mit besondrer Hingebung „germanisiert" nud den Zentralismus verhaßt gemacht, sich insbesondre auch als Spitzel oder Naderer verwendbar gezeigt haben. Daran wurde ich gleich bei meinem ersten Besuch des Hradschin gemahnt. Als wir an das Fenster kamen, durch das die beiden Räte Martinitz und Slävata gestürzt worden waren, machte der Führer mit verschmitztem Gesicht eine mir nur halb verständliche Bemerkung, die anzudeuten schien, daß eine solche Justiz auch »och heutzutage angewandt zu werden verdiene. Mein Begleiter warf mir einen warnenden Blick zu und bestätigte nachher, daß er glaube, ich hätte zu einer un¬ vorsichtigen Äußerung verlockt werden sollen. Übrigens wurde damals in Prag tschechisch mir in den untern Schichten gesprochen, fast jedermann bediente sich schlecht und recht des Deutschen, und in den tschechischen Theatervorstellungen, die wöchent¬ lich einmal stattfanden, wirkten nur untergeordnete Mitglieder des deutschen Theaters mit. Und daß die Furcht vor polizeilicher Überwachung beide Volks¬ stämme beherrschte, wurde mir deutlich, als ich mich um die Bethlehemskapelle er¬ kundigte, in der einst Huß gepredigt habe» soll. Die herumstehenden Leute thäte»

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/442
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/442>, abgerufen am 07.05.2024.