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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Gobineaus Geschichtskonstruktion

ziehungen, die man zwischen den beiden Armeen, der italienischen und der
russischen, anzuknüpfen suche, und die Verschiebung des Schwerpunktes der
italienischen Armee nach Norden unterstützten diesen Eindruck nicht minder, wie
die Wahrnehmungen bei Abstimmungen der Großmächte unter sich.") Die
Mächte, die den Frieden wollten, würden also ihre Rechnung in diesem Sinne
machen müssen. Interessant wäre es auch, etwa vom päpstlichen Nuntius
(Jacobiui) in Wien zu erfahren, wie die italienische Prälatur über derartige
Schachzüge denke.

Die entscheidende Wendung zu den mitteleuropäischen Mächten hin machte
Italien, als die Entrüstung über die französische Besetzung Tuuesieus im Mai
1881 das Ministerium Cairoli zu Falle brachte und eine tiefe Kluft zwischen
Italien und Frankreich aufriß. Im Oktober desselben Jahres erschien das
italienische Königspaar in Wien, und am 2. Januar 1883 vollzog Italien
seinen formellen Anschluß an das deutsch-europäische Bündnis, das es von
Rußland abrückte und es gegen einen Angriff von Frankreich her sicher stellte.
Das Feld für deutsch-feindliche Koalitionen, das Fürst Bismarck immer weiter
einzuengen strebte, war wieder um einen ansehnlichen Raum verkleinert.




Gobineaus Geschichtskonstruktion
(Schluß)

MMir haben gesagt, daß wir uns die historische Kritik der Auf¬
stellungen Gobineaus, die deu Gelehrten von Fach vorbehalten
bleiben muß, nicht anmaßen wollen. Freilich bietet er Angriffs¬
punkte, die selbst dem Laien nicht verborgen bleiben können. So
z. B. läßt er die Kämpfe der Arier um das Gangesgebiet, die
in den indischen Heldengedichten gefeiert werden, im Jahre 2448 v. Chr.
vorüber sein- Noch weiter, meint er Seite 223, könne man nicht herabgehn,
wenn man nicht alle ägyptische Chronologie unmöglich machen wolle. Nun
nimmt aber Otterberg an, daß die indischen Arier in der Zeit von 1200 bis
1000 v. Chr. noch am Indus saßen ("Die Religion des Veda" S. 1). Anstatt
also um der ägyptischen Chronologie willen, die auch noch nicht so ganz
zweifellos ist, ein vieltausendjühriges Alter der indischen Kultur für not¬
wendig zu halten, muß man vielmehr, wie ja heute allgemein geschieht, die



*) z, B> in den orientalischen Kommissionen wo Italien fast immer mit Rußland
und Frankreich ging, wie Kaiser Alexander um l!,/>5, August an Wilhelm l. schrieb. Kohl,
Wegweiser >69.
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ziehungen, die man zwischen den beiden Armeen, der italienischen und der
russischen, anzuknüpfen suche, und die Verschiebung des Schwerpunktes der
italienischen Armee nach Norden unterstützten diesen Eindruck nicht minder, wie
die Wahrnehmungen bei Abstimmungen der Großmächte unter sich.") Die
Mächte, die den Frieden wollten, würden also ihre Rechnung in diesem Sinne
machen müssen. Interessant wäre es auch, etwa vom päpstlichen Nuntius
(Jacobiui) in Wien zu erfahren, wie die italienische Prälatur über derartige
Schachzüge denke.

Die entscheidende Wendung zu den mitteleuropäischen Mächten hin machte
Italien, als die Entrüstung über die französische Besetzung Tuuesieus im Mai
1881 das Ministerium Cairoli zu Falle brachte und eine tiefe Kluft zwischen
Italien und Frankreich aufriß. Im Oktober desselben Jahres erschien das
italienische Königspaar in Wien, und am 2. Januar 1883 vollzog Italien
seinen formellen Anschluß an das deutsch-europäische Bündnis, das es von
Rußland abrückte und es gegen einen Angriff von Frankreich her sicher stellte.
Das Feld für deutsch-feindliche Koalitionen, das Fürst Bismarck immer weiter
einzuengen strebte, war wieder um einen ansehnlichen Raum verkleinert.




Gobineaus Geschichtskonstruktion
(Schluß)

MMir haben gesagt, daß wir uns die historische Kritik der Auf¬
stellungen Gobineaus, die deu Gelehrten von Fach vorbehalten
bleiben muß, nicht anmaßen wollen. Freilich bietet er Angriffs¬
punkte, die selbst dem Laien nicht verborgen bleiben können. So
z. B. läßt er die Kämpfe der Arier um das Gangesgebiet, die
in den indischen Heldengedichten gefeiert werden, im Jahre 2448 v. Chr.
vorüber sein- Noch weiter, meint er Seite 223, könne man nicht herabgehn,
wenn man nicht alle ägyptische Chronologie unmöglich machen wolle. Nun
nimmt aber Otterberg an, daß die indischen Arier in der Zeit von 1200 bis
1000 v. Chr. noch am Indus saßen („Die Religion des Veda" S. 1). Anstatt
also um der ägyptischen Chronologie willen, die auch noch nicht so ganz
zweifellos ist, ein vieltausendjühriges Alter der indischen Kultur für not¬
wendig zu halten, muß man vielmehr, wie ja heute allgemein geschieht, die



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[0594] Gobineaus Geschichtskonstruktion ziehungen, die man zwischen den beiden Armeen, der italienischen und der russischen, anzuknüpfen suche, und die Verschiebung des Schwerpunktes der italienischen Armee nach Norden unterstützten diesen Eindruck nicht minder, wie die Wahrnehmungen bei Abstimmungen der Großmächte unter sich.") Die Mächte, die den Frieden wollten, würden also ihre Rechnung in diesem Sinne machen müssen. Interessant wäre es auch, etwa vom päpstlichen Nuntius (Jacobiui) in Wien zu erfahren, wie die italienische Prälatur über derartige Schachzüge denke. Die entscheidende Wendung zu den mitteleuropäischen Mächten hin machte Italien, als die Entrüstung über die französische Besetzung Tuuesieus im Mai 1881 das Ministerium Cairoli zu Falle brachte und eine tiefe Kluft zwischen Italien und Frankreich aufriß. Im Oktober desselben Jahres erschien das italienische Königspaar in Wien, und am 2. Januar 1883 vollzog Italien seinen formellen Anschluß an das deutsch-europäische Bündnis, das es von Rußland abrückte und es gegen einen Angriff von Frankreich her sicher stellte. Das Feld für deutsch-feindliche Koalitionen, das Fürst Bismarck immer weiter einzuengen strebte, war wieder um einen ansehnlichen Raum verkleinert. Gobineaus Geschichtskonstruktion (Schluß) MMir haben gesagt, daß wir uns die historische Kritik der Auf¬ stellungen Gobineaus, die deu Gelehrten von Fach vorbehalten bleiben muß, nicht anmaßen wollen. Freilich bietet er Angriffs¬ punkte, die selbst dem Laien nicht verborgen bleiben können. So z. B. läßt er die Kämpfe der Arier um das Gangesgebiet, die in den indischen Heldengedichten gefeiert werden, im Jahre 2448 v. Chr. vorüber sein- Noch weiter, meint er Seite 223, könne man nicht herabgehn, wenn man nicht alle ägyptische Chronologie unmöglich machen wolle. Nun nimmt aber Otterberg an, daß die indischen Arier in der Zeit von 1200 bis 1000 v. Chr. noch am Indus saßen („Die Religion des Veda" S. 1). Anstatt also um der ägyptischen Chronologie willen, die auch noch nicht so ganz zweifellos ist, ein vieltausendjühriges Alter der indischen Kultur für not¬ wendig zu halten, muß man vielmehr, wie ja heute allgemein geschieht, die *) z, B> in den orientalischen Kommissionen wo Italien fast immer mit Rußland und Frankreich ging, wie Kaiser Alexander um l!,/>5, August an Wilhelm l. schrieb. Kohl, Wegweiser >69.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/594>, abgerufen am 07.05.2024.