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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dazu lachte er, obqleichs ihm im Innersten damit ernst war; und um dieses
Lachens willen, und weil der himmlische Bub aus der Apotheke kam, haßte ihn Line
als die Verkörperung ihres häuslichen Unglücks.

Jäh wandte sie sich auch jetzt vou ihm ab und trat in die Werkstatt zurück.
Was sollte sie in der Hexenküche? Der Vater war nicht da. und wäre er auch
drüben gewesen, daß Notwendige hatte er gewiß nicht gethan.

Ich muß mit dir reden, .Karl, begann sie -- aber da kam der Bote des
Rats zum zweitenmal mit ungeduldiger Frage. Stumm holte sie ein Schächtelchen
vom Sims, nahm das zugeschnittne Seidenpapier aus dem Kasten und legte dann
rasch und gleichmäßig, wie man gewohnte Arbeit thut, wechselweise Karte und
Schutzblatt hinein.

Erst als der Junge mit deu Karten fort war, sah sie dem Bruder wieder
ins Gesicht, doch knüpfte sie nicht am abgerissenen Ende an, sondern fragte: Sind
denn die Johaunisfestprogramme fort? und dn Karl dies verneinte, fügte sie schnell
hinzu: Dann trag sie hinüber, die Lvgcnherreu mußt du warm halten, ich besorg
unterdessen das Abendbrot.

Als er aber gegangen war, kümmerte sie sich nicht um das Essen; sie setzte sich
an den Arbeitstisch, ergriff Stichel und Scheibe und schrieb mit sicherer Hand weiter
an der Gehcimsache für das Amt, die nicht in eine Druckerei gesollt hatte.

cMscchuna, folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Englische Kuckuckseier. Welcher vernünftige Mann hält es für möglich,
daß irgend eine gute oder schlechte englische Zeitschrift Aufsätze eines deutschen
Admirals aufnähme, worin deu Engländern gepredigt würde, sie hätten keine größere
Berechtigung, die See zu beherrschen, als irgend ein andrer Großstaat? Wer das
schrankenlose Nationalgefühl der Großbriten einigermaßen kennt, muß die Frage
verneinen. Aber daß ein englischer Admiral in einer deutschen Zeitschrift systema¬
tisch den Wert der Seemacht für Dentschland und für andre Festlandsstaaten herunter¬
setzen darf, so etwas kann eben nnr bei uns, im Volke der Denker, vorkommen.
Der Engländer kommt dabei natürlich ans seine Kosten; er verwirrt verschiedne
unklare Köpfe und erschwert deuen die Arbeit, die die Unkundigen über die Un-
entbehrlichkeit der Seemacht zu belehren suchen. Zerstören ist bekanntlich leichter
als aufbauen; ein Admiral, der der deutschen Opposition zuruft, Deutschland
brauche keine Panzerschiffe, wird bei ihr jedesmal mehr Beifall finden, als wer
mit guten Gründen für die Flottenvermehrnng eintritt. Im Reichstage spielte
deshalb der erste Aufsatz des englischen Vizeadmirals a. D. P. H. Colomb, der im
Aprilheft der "Deutschen Revue" erschiene" ist, eine Rolle, weil man sich auf der
Linken einbildete, in den bizarren Ideen des Verfassers ein Mittel gegen den Neu¬
bau von Panzerschiffen gefunden zu haben. Colomb, der ohne Zweifel ein sehr
kluger Mann ist, auch in Fragen deS Straßenrechts zur See und in unteren schon
sehr verständige Ansichten geäußert hat, hatte nämlich das Märchen vom gepanzerten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Dazu lachte er, obqleichs ihm im Innersten damit ernst war; und um dieses
Lachens willen, und weil der himmlische Bub aus der Apotheke kam, haßte ihn Line
als die Verkörperung ihres häuslichen Unglücks.

Jäh wandte sie sich auch jetzt vou ihm ab und trat in die Werkstatt zurück.
Was sollte sie in der Hexenküche? Der Vater war nicht da. und wäre er auch
drüben gewesen, daß Notwendige hatte er gewiß nicht gethan.

Ich muß mit dir reden, .Karl, begann sie — aber da kam der Bote des
Rats zum zweitenmal mit ungeduldiger Frage. Stumm holte sie ein Schächtelchen
vom Sims, nahm das zugeschnittne Seidenpapier aus dem Kasten und legte dann
rasch und gleichmäßig, wie man gewohnte Arbeit thut, wechselweise Karte und
Schutzblatt hinein.

Erst als der Junge mit deu Karten fort war, sah sie dem Bruder wieder
ins Gesicht, doch knüpfte sie nicht am abgerissenen Ende an, sondern fragte: Sind
denn die Johaunisfestprogramme fort? und dn Karl dies verneinte, fügte sie schnell
hinzu: Dann trag sie hinüber, die Lvgcnherreu mußt du warm halten, ich besorg
unterdessen das Abendbrot.

Als er aber gegangen war, kümmerte sie sich nicht um das Essen; sie setzte sich
an den Arbeitstisch, ergriff Stichel und Scheibe und schrieb mit sicherer Hand weiter
an der Gehcimsache für das Amt, die nicht in eine Druckerei gesollt hatte.

cMscchuna, folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Englische Kuckuckseier. Welcher vernünftige Mann hält es für möglich,
daß irgend eine gute oder schlechte englische Zeitschrift Aufsätze eines deutschen
Admirals aufnähme, worin deu Engländern gepredigt würde, sie hätten keine größere
Berechtigung, die See zu beherrschen, als irgend ein andrer Großstaat? Wer das
schrankenlose Nationalgefühl der Großbriten einigermaßen kennt, muß die Frage
verneinen. Aber daß ein englischer Admiral in einer deutschen Zeitschrift systema¬
tisch den Wert der Seemacht für Dentschland und für andre Festlandsstaaten herunter¬
setzen darf, so etwas kann eben nnr bei uns, im Volke der Denker, vorkommen.
Der Engländer kommt dabei natürlich ans seine Kosten; er verwirrt verschiedne
unklare Köpfe und erschwert deuen die Arbeit, die die Unkundigen über die Un-
entbehrlichkeit der Seemacht zu belehren suchen. Zerstören ist bekanntlich leichter
als aufbauen; ein Admiral, der der deutschen Opposition zuruft, Deutschland
brauche keine Panzerschiffe, wird bei ihr jedesmal mehr Beifall finden, als wer
mit guten Gründen für die Flottenvermehrnng eintritt. Im Reichstage spielte
deshalb der erste Aufsatz des englischen Vizeadmirals a. D. P. H. Colomb, der im
Aprilheft der „Deutschen Revue" erschiene» ist, eine Rolle, weil man sich auf der
Linken einbildete, in den bizarren Ideen des Verfassers ein Mittel gegen den Neu¬
bau von Panzerschiffen gefunden zu haben. Colomb, der ohne Zweifel ein sehr
kluger Mann ist, auch in Fragen deS Straßenrechts zur See und in unteren schon
sehr verständige Ansichten geäußert hat, hatte nämlich das Märchen vom gepanzerten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/69>, abgerufen am 06.05.2024.