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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Nation und Staat

sein als nicht sein will, so ist hierdurch allein schon anerkannt, daß sich Gott
um eben dieses Menschen willen für das zweite entscheiden mußte. Wäre
Holbach in seinem Leben auch nur einmal Dorfschulze gewesen, so würde er
nicht mehr so kühn gewesen sein, das "wenn ich König wäre" auszusprechen.
Und wenn nun ein so kluger Mann wie er nicht einmal ein Dorf zu be¬
glücken versteht, so muß er zugestehn, daß es selbst für einen Gott keine so
ganz leichte und einfache Sache gewesen sein kann, eine Welt zu schaffen, die
den Beifall aller ihrer Bewohner Hütte.




Nation und Htaat
E. von der Brügger von(Schluß)

u allen Zeiten haben die Staaten einen mehr oder minder starken
Trieb nach Ausdehnung und Eroberung gehabt. Aber die trei¬
benden Kräfte ändern sich. Früher suchten ehrgeizige Fürsten
durch Heiraten, durch Kriege ihre Gebiete zu mehren, sich fremde
Länder zu unterwerfen. Seit die Völker als mitbestimmende
Gewalten neben den Willen des Fürsten getreten sind, haben sie auf die äußere
Politik auch dort Einfluß gewonnen, wo sie dazu nicht ausdrücklich durch eine
Verfassung berufen sind. Wenn sie auf neue Landerwerbungen aus sind, so
treibt sie oft das materielle, wirtschaftliche Bedürfnis, wie bei den ungeheuern
kolonialen Unternehmungen unsrer Zeit. Oft aber werden sie anch von idealen
Zielen gelockt, unter denen der Ruhm eine zwar weniger große Rolle als
zur Zeit des fürstlichen Absolutismus, aber doch eine beachtenswerte Rolle
spielt. Ein stärkeres ideales Motiv ist das sogenannte Nationalitätsprinzip.

Soweit sich die Bedeutung dieses Prinzips praktisch aus der politischen
Geschichte unsers Jahrhunderts erkennen läßt, liegt sie in der Anerkennung
des Anspruchs der Nationen auf selbständiges und einheitliches Staatsleben.
Die Erfahrung lehrt uns freilich auch, daß Staaten, die sich, wie Frankreich
unter Napoleon III., auf dieses Prinzip beriefen, es mehr als politisches
Agitationsmittel, denn als feste Richtschnur ihres Handelns benutzten; und
wie unsicher es in seinem Wesen ist, geht aus der Unmöglichkeit hervor, die
Frage zu lösen, was man unter einer Nation zu versteh" habe, die zu jenem
Anspruch berechtigt wäre. Gleichwohl hat diese Idee die Völker seit hundert
Jahren erfaßt und dahin gedrängt, die kleinen unter einander verwandten


Grenzboten I 189!) 87
Nation und Staat

sein als nicht sein will, so ist hierdurch allein schon anerkannt, daß sich Gott
um eben dieses Menschen willen für das zweite entscheiden mußte. Wäre
Holbach in seinem Leben auch nur einmal Dorfschulze gewesen, so würde er
nicht mehr so kühn gewesen sein, das „wenn ich König wäre" auszusprechen.
Und wenn nun ein so kluger Mann wie er nicht einmal ein Dorf zu be¬
glücken versteht, so muß er zugestehn, daß es selbst für einen Gott keine so
ganz leichte und einfache Sache gewesen sein kann, eine Welt zu schaffen, die
den Beifall aller ihrer Bewohner Hütte.




Nation und Htaat
E. von der Brügger von(Schluß)

u allen Zeiten haben die Staaten einen mehr oder minder starken
Trieb nach Ausdehnung und Eroberung gehabt. Aber die trei¬
benden Kräfte ändern sich. Früher suchten ehrgeizige Fürsten
durch Heiraten, durch Kriege ihre Gebiete zu mehren, sich fremde
Länder zu unterwerfen. Seit die Völker als mitbestimmende
Gewalten neben den Willen des Fürsten getreten sind, haben sie auf die äußere
Politik auch dort Einfluß gewonnen, wo sie dazu nicht ausdrücklich durch eine
Verfassung berufen sind. Wenn sie auf neue Landerwerbungen aus sind, so
treibt sie oft das materielle, wirtschaftliche Bedürfnis, wie bei den ungeheuern
kolonialen Unternehmungen unsrer Zeit. Oft aber werden sie anch von idealen
Zielen gelockt, unter denen der Ruhm eine zwar weniger große Rolle als
zur Zeit des fürstlichen Absolutismus, aber doch eine beachtenswerte Rolle
spielt. Ein stärkeres ideales Motiv ist das sogenannte Nationalitätsprinzip.

Soweit sich die Bedeutung dieses Prinzips praktisch aus der politischen
Geschichte unsers Jahrhunderts erkennen läßt, liegt sie in der Anerkennung
des Anspruchs der Nationen auf selbständiges und einheitliches Staatsleben.
Die Erfahrung lehrt uns freilich auch, daß Staaten, die sich, wie Frankreich
unter Napoleon III., auf dieses Prinzip beriefen, es mehr als politisches
Agitationsmittel, denn als feste Richtschnur ihres Handelns benutzten; und
wie unsicher es in seinem Wesen ist, geht aus der Unmöglichkeit hervor, die
Frage zu lösen, was man unter einer Nation zu versteh« habe, die zu jenem
Anspruch berechtigt wäre. Gleichwohl hat diese Idee die Völker seit hundert
Jahren erfaßt und dahin gedrängt, die kleinen unter einander verwandten


Grenzboten I 189!) 87
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/697>, abgerufen am 07.05.2024.