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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr.

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Kaiserliche Finanzen

nde Dezember meldete eine Wiener Zeitung als Gerücht, der
deutsche Kaiser habe den Kaiser von Österreich in einem eigen¬
händigen Schreiben um ein Darlehen von zwölf Millionen
Gulden gebeten. Wenn auch die Unsinnigkeit einer solchen Nach¬
richt auf der flachen Hand liegt, so hat sie dennoch ihren Grund
in einer Meinung, der man auch in gut gesinnten und wohlwollenden Kreisen
vielfach begegnet: die finanzielle Lage des Kaiserlichen Hofes sei mißlich. Woher
diese Meinung stammt, ist vollständig dunkel, sie läßt sich nur mit dem Los der
Regierenden erklären, deren gesamtes Leben von falschen Gerüchten begleitet zu
werden pflegt. Man beschäftigt sich überall und gern mit der Person und den
Verhältnissen dessen, der in irgend einem Kreise an der Spitze steht. Das beginnt
schon bei dem Bürgermeister in der kleinen Stadt und geht hinauf bis zum
Throne. Findet sich nichts, worüber man sich aufhalten kann, so erfindet
man etwas, und das aus der Luft Gegriffue setzt sich schließlich fest. Dein
König Friedrich Wilhelm IV. sagte man nach, daß er geistige Getränke über
das Maß zu sich nähme. Dabei trank er fast ausnahmslos Wasser mit etwas
Wein vermischt. Von der Königin Elisabeth, die erst nach mehrjähriger Ehe
aus freien Stücken vom katholischen zum evangelischen Glauben übergetreten war
und ihre Überzeugung sogar dem Papste gegenüber persönlich bekannt hatte,
behauptete man, sie hinge einer katholisierenden Richtung an und suchte ihren
Gemahl dafür zu gewinnen, ja man verstieg sich sogar zu der Behauptung,
der König sei heimlich zur katholischen Kirche übergetreten.

Für jeden, der mit den Verhältnissen auch nur einigermaßen vertraut ist,
steht nicht nur fest, daß die Gerüchte über finanzielle Verlegenheiten am Kaiser¬
hofe aller und jeder Unterlage entbehren, er weiß auch, daß das Gegenteil der
Fall, nämlich daß die Vermögenslage der Krone durchaus günstig ist. Allerdings


Grenzboten I 1899 9


Kaiserliche Finanzen

nde Dezember meldete eine Wiener Zeitung als Gerücht, der
deutsche Kaiser habe den Kaiser von Österreich in einem eigen¬
händigen Schreiben um ein Darlehen von zwölf Millionen
Gulden gebeten. Wenn auch die Unsinnigkeit einer solchen Nach¬
richt auf der flachen Hand liegt, so hat sie dennoch ihren Grund
in einer Meinung, der man auch in gut gesinnten und wohlwollenden Kreisen
vielfach begegnet: die finanzielle Lage des Kaiserlichen Hofes sei mißlich. Woher
diese Meinung stammt, ist vollständig dunkel, sie läßt sich nur mit dem Los der
Regierenden erklären, deren gesamtes Leben von falschen Gerüchten begleitet zu
werden pflegt. Man beschäftigt sich überall und gern mit der Person und den
Verhältnissen dessen, der in irgend einem Kreise an der Spitze steht. Das beginnt
schon bei dem Bürgermeister in der kleinen Stadt und geht hinauf bis zum
Throne. Findet sich nichts, worüber man sich aufhalten kann, so erfindet
man etwas, und das aus der Luft Gegriffue setzt sich schließlich fest. Dein
König Friedrich Wilhelm IV. sagte man nach, daß er geistige Getränke über
das Maß zu sich nähme. Dabei trank er fast ausnahmslos Wasser mit etwas
Wein vermischt. Von der Königin Elisabeth, die erst nach mehrjähriger Ehe
aus freien Stücken vom katholischen zum evangelischen Glauben übergetreten war
und ihre Überzeugung sogar dem Papste gegenüber persönlich bekannt hatte,
behauptete man, sie hinge einer katholisierenden Richtung an und suchte ihren
Gemahl dafür zu gewinnen, ja man verstieg sich sogar zu der Behauptung,
der König sei heimlich zur katholischen Kirche übergetreten.

Für jeden, der mit den Verhältnissen auch nur einigermaßen vertraut ist,
steht nicht nur fest, daß die Gerüchte über finanzielle Verlegenheiten am Kaiser¬
hofe aller und jeder Unterlage entbehren, er weiß auch, daß das Gegenteil der
Fall, nämlich daß die Vermögenslage der Krone durchaus günstig ist. Allerdings


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[0073] [Abbildung] Kaiserliche Finanzen nde Dezember meldete eine Wiener Zeitung als Gerücht, der deutsche Kaiser habe den Kaiser von Österreich in einem eigen¬ händigen Schreiben um ein Darlehen von zwölf Millionen Gulden gebeten. Wenn auch die Unsinnigkeit einer solchen Nach¬ richt auf der flachen Hand liegt, so hat sie dennoch ihren Grund in einer Meinung, der man auch in gut gesinnten und wohlwollenden Kreisen vielfach begegnet: die finanzielle Lage des Kaiserlichen Hofes sei mißlich. Woher diese Meinung stammt, ist vollständig dunkel, sie läßt sich nur mit dem Los der Regierenden erklären, deren gesamtes Leben von falschen Gerüchten begleitet zu werden pflegt. Man beschäftigt sich überall und gern mit der Person und den Verhältnissen dessen, der in irgend einem Kreise an der Spitze steht. Das beginnt schon bei dem Bürgermeister in der kleinen Stadt und geht hinauf bis zum Throne. Findet sich nichts, worüber man sich aufhalten kann, so erfindet man etwas, und das aus der Luft Gegriffue setzt sich schließlich fest. Dein König Friedrich Wilhelm IV. sagte man nach, daß er geistige Getränke über das Maß zu sich nähme. Dabei trank er fast ausnahmslos Wasser mit etwas Wein vermischt. Von der Königin Elisabeth, die erst nach mehrjähriger Ehe aus freien Stücken vom katholischen zum evangelischen Glauben übergetreten war und ihre Überzeugung sogar dem Papste gegenüber persönlich bekannt hatte, behauptete man, sie hinge einer katholisierenden Richtung an und suchte ihren Gemahl dafür zu gewinnen, ja man verstieg sich sogar zu der Behauptung, der König sei heimlich zur katholischen Kirche übergetreten. Für jeden, der mit den Verhältnissen auch nur einigermaßen vertraut ist, steht nicht nur fest, daß die Gerüchte über finanzielle Verlegenheiten am Kaiser¬ hofe aller und jeder Unterlage entbehren, er weiß auch, daß das Gegenteil der Fall, nämlich daß die Vermögenslage der Krone durchaus günstig ist. Allerdings Grenzboten I 1899 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_229685/73>, abgerufen am 06.05.2024.