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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Litterarisches Lebe" am Rhein

Z2

Max von Arnim (1832) geißelt sie die damaligen litterarischen und musika¬
lischen Zustände in Deutschland mit bitterm Spott und beißender Satire. So
sagt sie von Ludwig Rellstab:




Während im achtzehnten Jahrhundert einzelne Persönlichkeiten den Gang
der Litteratur bestimmten (zunächst Klopstock, Lessing und Wieland, dann
Hamann und Herder, dann Goethe und Schiller, dann die Romantiker, endlich
Uhland, Rückert, Heine und Platen), vermochte gegen Ende der dreißiger Jahre
dieses Jahrhunderts keine einzige Persönlichkeit einen weitgreifenden und
bleibenden Einfluß zu gewinnen. Selbst Gutzkow, Freiligrath, Geibel und
Redwitz gelang es nicht, der gesamten Litteratur ihren Stempel auszudrücken,
vielmehr sind es die großen Heroen des vorigen Jahrhunderts, deren Einfluß
noch erkennbar fortwirkt. In jener Zeit bildeten sich daher litterarische Vereine
mit poetischen Zwecken, die ersichtlich darauf ausgingen, einen wirksamen Ein¬
fluß auf ihre Mitglieder auszuüben und in den Gang der Litteratur einzu¬
greifen. In Berlin fanden sich seit 1827 außer den dort lebenden Dichtern
Platen, Strachwitz, Hesse, Geibel vorübergehend zusammen in einer "freien
Vereinigung." Bettina von Arnim begründete dort den litterarischen Kreis
"Lindenblatt." In München bestand ein "Verein für deutsche Dichtkunst,"
deren Mitglieder August Becker, Julius Grosse, Hermann Lingg usw. erfolg¬
reichen Einfluß auf einander ausübten. Im Wupperthal sind später die Dichter
Oelbermcmn, Sichel, Schults, Roher, Steller, Nittershaus zwar nicht zu einer
Vereinigung zusammengetreten, allein die Gleichheit ihrer Bildung und ihres
Standes hat ihren Dichtungen einen gleichartigen Charakter aufgedrückt. Nur
Friedrich Roher macht eine Ausnahme, der seine Dichtungen vorzugsweise an
die Antike anlehnt und sich dem historischen Schauspiel zuwendet.

Am Rhein war es gegen Ende der dreißiger Jahre Gottfried Kinkel, der
seinem Kreise auch eiuen eignen Stempel aufzudrücken bestrebt war, und der
wenigstens für einen Teil seiner Umgebung nicht ohne Einfluß geblieben ist.

Das Jahr 1842 war schon die Zeit, wo Kinkel von der Politik beun¬
ruhigt wurde. In seinem Gedichte "Die sieben Berge" sagt er:

Nun ist mir längst vorbei die Zeit
Romantisch zu phantasieren,
Und wo ich hinaus in die Welt nur seh,
Muß ich politisieren.
Und wenn ich einmal einen Jungen krieg,
Dem will ich die Berge deuten,
Und will ihn warnen mein Leben lang
Vor den berühmten Leuten,

Und "Aus dem Kerker" schrieb er 1850:


f

Litterarisches Lebe» am Rhein

Z2

Max von Arnim (1832) geißelt sie die damaligen litterarischen und musika¬
lischen Zustände in Deutschland mit bitterm Spott und beißender Satire. So
sagt sie von Ludwig Rellstab:




Während im achtzehnten Jahrhundert einzelne Persönlichkeiten den Gang
der Litteratur bestimmten (zunächst Klopstock, Lessing und Wieland, dann
Hamann und Herder, dann Goethe und Schiller, dann die Romantiker, endlich
Uhland, Rückert, Heine und Platen), vermochte gegen Ende der dreißiger Jahre
dieses Jahrhunderts keine einzige Persönlichkeit einen weitgreifenden und
bleibenden Einfluß zu gewinnen. Selbst Gutzkow, Freiligrath, Geibel und
Redwitz gelang es nicht, der gesamten Litteratur ihren Stempel auszudrücken,
vielmehr sind es die großen Heroen des vorigen Jahrhunderts, deren Einfluß
noch erkennbar fortwirkt. In jener Zeit bildeten sich daher litterarische Vereine
mit poetischen Zwecken, die ersichtlich darauf ausgingen, einen wirksamen Ein¬
fluß auf ihre Mitglieder auszuüben und in den Gang der Litteratur einzu¬
greifen. In Berlin fanden sich seit 1827 außer den dort lebenden Dichtern
Platen, Strachwitz, Hesse, Geibel vorübergehend zusammen in einer „freien
Vereinigung." Bettina von Arnim begründete dort den litterarischen Kreis
„Lindenblatt." In München bestand ein „Verein für deutsche Dichtkunst,"
deren Mitglieder August Becker, Julius Grosse, Hermann Lingg usw. erfolg¬
reichen Einfluß auf einander ausübten. Im Wupperthal sind später die Dichter
Oelbermcmn, Sichel, Schults, Roher, Steller, Nittershaus zwar nicht zu einer
Vereinigung zusammengetreten, allein die Gleichheit ihrer Bildung und ihres
Standes hat ihren Dichtungen einen gleichartigen Charakter aufgedrückt. Nur
Friedrich Roher macht eine Ausnahme, der seine Dichtungen vorzugsweise an
die Antike anlehnt und sich dem historischen Schauspiel zuwendet.

Am Rhein war es gegen Ende der dreißiger Jahre Gottfried Kinkel, der
seinem Kreise auch eiuen eignen Stempel aufzudrücken bestrebt war, und der
wenigstens für einen Teil seiner Umgebung nicht ohne Einfluß geblieben ist.

Das Jahr 1842 war schon die Zeit, wo Kinkel von der Politik beun¬
ruhigt wurde. In seinem Gedichte „Die sieben Berge" sagt er:

Nun ist mir längst vorbei die Zeit
Romantisch zu phantasieren,
Und wo ich hinaus in die Welt nur seh,
Muß ich politisieren.
Und wenn ich einmal einen Jungen krieg,
Dem will ich die Berge deuten,
Und will ihn warnen mein Leben lang
Vor den berühmten Leuten,

Und „Aus dem Kerker" schrieb er 1850:


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[0100] Litterarisches Lebe» am Rhein Z2 Max von Arnim (1832) geißelt sie die damaligen litterarischen und musika¬ lischen Zustände in Deutschland mit bitterm Spott und beißender Satire. So sagt sie von Ludwig Rellstab: Während im achtzehnten Jahrhundert einzelne Persönlichkeiten den Gang der Litteratur bestimmten (zunächst Klopstock, Lessing und Wieland, dann Hamann und Herder, dann Goethe und Schiller, dann die Romantiker, endlich Uhland, Rückert, Heine und Platen), vermochte gegen Ende der dreißiger Jahre dieses Jahrhunderts keine einzige Persönlichkeit einen weitgreifenden und bleibenden Einfluß zu gewinnen. Selbst Gutzkow, Freiligrath, Geibel und Redwitz gelang es nicht, der gesamten Litteratur ihren Stempel auszudrücken, vielmehr sind es die großen Heroen des vorigen Jahrhunderts, deren Einfluß noch erkennbar fortwirkt. In jener Zeit bildeten sich daher litterarische Vereine mit poetischen Zwecken, die ersichtlich darauf ausgingen, einen wirksamen Ein¬ fluß auf ihre Mitglieder auszuüben und in den Gang der Litteratur einzu¬ greifen. In Berlin fanden sich seit 1827 außer den dort lebenden Dichtern Platen, Strachwitz, Hesse, Geibel vorübergehend zusammen in einer „freien Vereinigung." Bettina von Arnim begründete dort den litterarischen Kreis „Lindenblatt." In München bestand ein „Verein für deutsche Dichtkunst," deren Mitglieder August Becker, Julius Grosse, Hermann Lingg usw. erfolg¬ reichen Einfluß auf einander ausübten. Im Wupperthal sind später die Dichter Oelbermcmn, Sichel, Schults, Roher, Steller, Nittershaus zwar nicht zu einer Vereinigung zusammengetreten, allein die Gleichheit ihrer Bildung und ihres Standes hat ihren Dichtungen einen gleichartigen Charakter aufgedrückt. Nur Friedrich Roher macht eine Ausnahme, der seine Dichtungen vorzugsweise an die Antike anlehnt und sich dem historischen Schauspiel zuwendet. Am Rhein war es gegen Ende der dreißiger Jahre Gottfried Kinkel, der seinem Kreise auch eiuen eignen Stempel aufzudrücken bestrebt war, und der wenigstens für einen Teil seiner Umgebung nicht ohne Einfluß geblieben ist. Das Jahr 1842 war schon die Zeit, wo Kinkel von der Politik beun¬ ruhigt wurde. In seinem Gedichte „Die sieben Berge" sagt er: Nun ist mir längst vorbei die Zeit Romantisch zu phantasieren, Und wo ich hinaus in die Welt nur seh, Muß ich politisieren. Und wenn ich einmal einen Jungen krieg, Dem will ich die Berge deuten, Und will ihn warnen mein Leben lang Vor den berühmten Leuten, Und „Aus dem Kerker" schrieb er 1850: f

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/100>, abgerufen am 30.04.2024.