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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Brandfackel ins Lund schleudere und den Bürgerkrieg entzünde." Sie appellierten
bei dieser Stellungnahme schon wieder an den "alten gesunden Sinn und den
biedern Charakter der Bürgerschaft." Und in dieser Bürgerschaft war der kleine
Vulkan in der That ausgebrannt. Das entrüstete Gebaren des politischen Klubs
und des Bürgerbuudes über die Reaktion der Regierung und über die oktroyierte
Verfassung verlor sich allmählich zur stummen Resignation. Ein köuigstrcues neues
Kreisblatt übernahm die politische Führung, während sich die Meute der oppo¬
sitionellen Presse lautlos seitwärts in die Büsche schlug.

Die Stadtverordneten und der Magistrat streckten schon die Hände nach dem
Sonnenschein der Königsgunst aus. Seit sie die Entlassung Brandenburgs ge¬
fordert hatten, waren uur zwei Wochen verflossen; jetzt beschlossen dieselben Männer,
durch eine Deputation dem Herrscher den tiefen Dank für die dem Lande verliehene
Verfassung auszusprechen (1. Dezember).

Friedrich Wilhelm IV. hatte ein besseres Gedächtnis als diese Herren, die
am 17. Dezember zu ihm traten. Es war im Mnrmorsaale des Potsdamer Schlosses.
Neben den Naumburger Deputierten standen die Gesandten von Unna und Soest.
Den Bürgern dieser zwei alten Westfalenstädte, deren Treue nie gewankt hatte,
konnte der König mit herzlichem Danke die Hand schütteln. Als er sich aber zu
den Naumburgern wandte, glitt über sein Gesicht ein eigentümliches, ironisches
Lächeln; und er sagte dann, wie er sich nach den letzten Vorfällen in Naumburg
wundern müsse, daß jetzt eine Deputation mit einer loyalen Dankadresse vor ihm
erscheine. Er freue sich aber doch über diese Ergebenheit, aus der er folgere, daß
doch nicht aller Sinn für Gesetz in der Stadt untergegangen sei. "Die Gegend
um Naumburg ist so schön, so schloß er, daß man sich in derselben nur wohl fühlt;
ich will wünschen, daß ich mich in Zukunft stets so Wohl in der Stadt befinde, als
ich gern in jener Gegend gewesen bini"




Maßgebliches und Unmaßgebliches
"Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen."

Die Grenzboten und ihr Verleger haben durchaus keine Ursache, für die Ham¬
burger Nachrichten und ihren Chefredakteur Herrn Dr. H. Hofmann ins Zeug zu
gehen, aber die Ehrlichkeit gebietet ihnen heute, eine Lanze für ihn einzulegen.
Seit einigen Wochen hat sich, vornehmlich im Leipziger Tageblatt, in den Berliner
Neuesten Nachrichten und im Bismarck-Jahrbuche 1898/99 (VI. Band), blutige Fehde
erhoben um die Behauptung des Herausgebers (I. Peuzler) und des Verlegers
(W, Fiedler) des siebenbändigen Werkes "Fürst Bismarck nach seiner Entlassung"
(1897/98), das dort abgedruckte Material an Artikeln der Hamburger Nachrichten
sei insofern "authentisch," als diese Artikel sämtlich nach den Ausweisen des Dr. Hof¬
mann ans Anregung des Fürsten Bismarck entstanden seien, womit ja natürlich gar
nicht gesagt ist, daß der Fürst für die wörtliche Fassung jedes einzelnen Artikels in
Anspruch genommen werden könne. Dem gegenüber hat Fürst Herbert Bismarck


Grenzboten II .1899 14
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Brandfackel ins Lund schleudere und den Bürgerkrieg entzünde." Sie appellierten
bei dieser Stellungnahme schon wieder an den „alten gesunden Sinn und den
biedern Charakter der Bürgerschaft." Und in dieser Bürgerschaft war der kleine
Vulkan in der That ausgebrannt. Das entrüstete Gebaren des politischen Klubs
und des Bürgerbuudes über die Reaktion der Regierung und über die oktroyierte
Verfassung verlor sich allmählich zur stummen Resignation. Ein köuigstrcues neues
Kreisblatt übernahm die politische Führung, während sich die Meute der oppo¬
sitionellen Presse lautlos seitwärts in die Büsche schlug.

Die Stadtverordneten und der Magistrat streckten schon die Hände nach dem
Sonnenschein der Königsgunst aus. Seit sie die Entlassung Brandenburgs ge¬
fordert hatten, waren uur zwei Wochen verflossen; jetzt beschlossen dieselben Männer,
durch eine Deputation dem Herrscher den tiefen Dank für die dem Lande verliehene
Verfassung auszusprechen (1. Dezember).

Friedrich Wilhelm IV. hatte ein besseres Gedächtnis als diese Herren, die
am 17. Dezember zu ihm traten. Es war im Mnrmorsaale des Potsdamer Schlosses.
Neben den Naumburger Deputierten standen die Gesandten von Unna und Soest.
Den Bürgern dieser zwei alten Westfalenstädte, deren Treue nie gewankt hatte,
konnte der König mit herzlichem Danke die Hand schütteln. Als er sich aber zu
den Naumburgern wandte, glitt über sein Gesicht ein eigentümliches, ironisches
Lächeln; und er sagte dann, wie er sich nach den letzten Vorfällen in Naumburg
wundern müsse, daß jetzt eine Deputation mit einer loyalen Dankadresse vor ihm
erscheine. Er freue sich aber doch über diese Ergebenheit, aus der er folgere, daß
doch nicht aller Sinn für Gesetz in der Stadt untergegangen sei. „Die Gegend
um Naumburg ist so schön, so schloß er, daß man sich in derselben nur wohl fühlt;
ich will wünschen, daß ich mich in Zukunft stets so Wohl in der Stadt befinde, als
ich gern in jener Gegend gewesen bini"




Maßgebliches und Unmaßgebliches
„Der Mohr hat seine Schuldigkeit gethan, der Mohr kann gehen."

Die Grenzboten und ihr Verleger haben durchaus keine Ursache, für die Ham¬
burger Nachrichten und ihren Chefredakteur Herrn Dr. H. Hofmann ins Zeug zu
gehen, aber die Ehrlichkeit gebietet ihnen heute, eine Lanze für ihn einzulegen.
Seit einigen Wochen hat sich, vornehmlich im Leipziger Tageblatt, in den Berliner
Neuesten Nachrichten und im Bismarck-Jahrbuche 1898/99 (VI. Band), blutige Fehde
erhoben um die Behauptung des Herausgebers (I. Peuzler) und des Verlegers
(W, Fiedler) des siebenbändigen Werkes „Fürst Bismarck nach seiner Entlassung"
(1897/98), das dort abgedruckte Material an Artikeln der Hamburger Nachrichten
sei insofern „authentisch," als diese Artikel sämtlich nach den Ausweisen des Dr. Hof¬
mann ans Anregung des Fürsten Bismarck entstanden seien, womit ja natürlich gar
nicht gesagt ist, daß der Fürst für die wörtliche Fassung jedes einzelnen Artikels in
Anspruch genommen werden könne. Dem gegenüber hat Fürst Herbert Bismarck


Grenzboten II .1899 14
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/113>, abgerufen am 30.04.2024.