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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Verstorbne Abgeordnete Ludwig Bcnnberger in seinem Bismarck Posthumns
(Berlin, Harmonie, 1899. Sonderabdruck ans der Wochenschrift "Die Nation")
eine eingehende Würdigung der "Gedanken und Erinnerungen," die den stark sub¬
jektiven Charakter dieser Darstellung besonders betont, und eine ausführliche Be¬
sprechung der englischen Ausgabe von Busch, die trotz einer gewissen Antipathie
gegen den Verfasser dem Werte des Buches im ganzen gerecht wird und es treffend
mis "einen weit angelegten Aufbau von Momentphotographien, man konnte
sogen, Momentphonographien" von "rücksichtslosem Naturalismus" bezeichnet und
zugiebt: "Die dem Kanzler nachgesagten Äußerungen tragen durchweg den Stempel
der Echtheit. Sie widersprechen auch durchaus nicht solchen, die andern nähern
Beobachtern längst nicht neu waren" (Seite 16 f.). Viel tiefer und gerechter haben
drei unsrer namhaftesten Historiker Gustav Schmoller, Max Lenz und Erich
Marcks in Aufsätzen und Reden, die jetzt zusammengefaßt herausgegeben worden
sino (Zu Bismarcks Gedächtnis. Von Gustav Schmoller, Max Lenz, Erich
Marcks. Leipzig, Duncker und Humblot, 1839), das Wesen und Wirken Bismarcks
zu beurteilen versucht; Marcks, der feinsinnige Biograph Wilhelms I., hat danach
im Aprilheft der Dentschen Rundschau auch eine eindringende Darstellung seines
Entwicklungsganges nach den Gedanken und Erinnerungen begonnen. In der
Grundauffassuug, daß Bismarck nicht nur von einer rein preußischen Interessenpolitik
ausgegangen sei, sondern auch bis 1366 nur eine solche verfolgt und erst seitdem
zum deutschen Staatsmann geworden sei, stimmt Marcks mit Lenz überein. Mir
will scheinen, daß diese Auffassung die Wandlung z" spät ansetze, und schließlich:
Preußen war vor 1866 das werdende Deutsche Reich, nicht ein Mittelstaat wie
andre. Schmollers Verdienst ist, neben einer wundervollen, echt historischen Charakte¬
ristik der Persönlichkeit, die meisterhafte Würdigung der Stellung Bismarcks zur
Volkswirtschafts- und Sozialpolitik.

So sehen wir die verschiedenartigsten Kräfte, berufne und unberufne, an
der Arbeit, die Erkenntnis und Beurteilung der großartigen Erscheinung, die wir
Bismarck nennen, zu fördern, aber nur berufnen und freiwaltenden Kräften, die
sich bei aller Pietät keiner andern Zensur unterwerfen als der des wissenschaftlichen
Urteils, wird ihre Lösung gelingen.




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Plaudereien eines alten Deutschen
13

in Frühjahre 1864 siedelte ich mich in Wien an und wurde, wie
das so vielen ergangen ist, sogleich von der Stadt bestrickt. Es war
eine echte Frühlingszeit, alles grünte und blühte in strahlendem Sonnen-
schein, der anch die altersgrauen Mauern zu durchleuchten schien.
Auf Gassen und Plätzen wogte eine frohbewegte Menge, und die
längst in allen Sprachen verherrlichten frischen, "feschem" Wienerinnen
wiesen in den Farben ihrer Sommeranzüge, blau und weiß, auf den besondern


Löu.Sven8 lociNÄX

Verstorbne Abgeordnete Ludwig Bcnnberger in seinem Bismarck Posthumns
(Berlin, Harmonie, 1899. Sonderabdruck ans der Wochenschrift „Die Nation")
eine eingehende Würdigung der „Gedanken und Erinnerungen," die den stark sub¬
jektiven Charakter dieser Darstellung besonders betont, und eine ausführliche Be¬
sprechung der englischen Ausgabe von Busch, die trotz einer gewissen Antipathie
gegen den Verfasser dem Werte des Buches im ganzen gerecht wird und es treffend
mis „einen weit angelegten Aufbau von Momentphotographien, man konnte
sogen, Momentphonographien" von „rücksichtslosem Naturalismus" bezeichnet und
zugiebt: „Die dem Kanzler nachgesagten Äußerungen tragen durchweg den Stempel
der Echtheit. Sie widersprechen auch durchaus nicht solchen, die andern nähern
Beobachtern längst nicht neu waren" (Seite 16 f.). Viel tiefer und gerechter haben
drei unsrer namhaftesten Historiker Gustav Schmoller, Max Lenz und Erich
Marcks in Aufsätzen und Reden, die jetzt zusammengefaßt herausgegeben worden
sino (Zu Bismarcks Gedächtnis. Von Gustav Schmoller, Max Lenz, Erich
Marcks. Leipzig, Duncker und Humblot, 1839), das Wesen und Wirken Bismarcks
zu beurteilen versucht; Marcks, der feinsinnige Biograph Wilhelms I., hat danach
im Aprilheft der Dentschen Rundschau auch eine eindringende Darstellung seines
Entwicklungsganges nach den Gedanken und Erinnerungen begonnen. In der
Grundauffassuug, daß Bismarck nicht nur von einer rein preußischen Interessenpolitik
ausgegangen sei, sondern auch bis 1366 nur eine solche verfolgt und erst seitdem
zum deutschen Staatsmann geworden sei, stimmt Marcks mit Lenz überein. Mir
will scheinen, daß diese Auffassung die Wandlung z» spät ansetze, und schließlich:
Preußen war vor 1866 das werdende Deutsche Reich, nicht ein Mittelstaat wie
andre. Schmollers Verdienst ist, neben einer wundervollen, echt historischen Charakte¬
ristik der Persönlichkeit, die meisterhafte Würdigung der Stellung Bismarcks zur
Volkswirtschafts- und Sozialpolitik.

So sehen wir die verschiedenartigsten Kräfte, berufne und unberufne, an
der Arbeit, die Erkenntnis und Beurteilung der großartigen Erscheinung, die wir
Bismarck nennen, zu fördern, aber nur berufnen und freiwaltenden Kräften, die
sich bei aller Pietät keiner andern Zensur unterwerfen als der des wissenschaftlichen
Urteils, wird ihre Lösung gelingen.




LeneLw3 lo^na-x
Plaudereien eines alten Deutschen
13

in Frühjahre 1864 siedelte ich mich in Wien an und wurde, wie
das so vielen ergangen ist, sogleich von der Stadt bestrickt. Es war
eine echte Frühlingszeit, alles grünte und blühte in strahlendem Sonnen-
schein, der anch die altersgrauen Mauern zu durchleuchten schien.
Auf Gassen und Plätzen wogte eine frohbewegte Menge, und die
längst in allen Sprachen verherrlichten frischen, „feschem" Wienerinnen
wiesen in den Farben ihrer Sommeranzüge, blau und weiß, auf den besondern


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/159>, abgerufen am 30.04.2024.