Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite


Rassen und Kriege

le neusten kriegswissenschaftlichen Arbeiten lassen von Jahr zu
Jahr deutlicher erkennen, daß sie nicht nur dem rein fachmännischer
und technischen, sondern auch dem Studium der Völkerpsychologie
eine erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden. Das entspricht auch ganz
den veränderten Bedingungen, nnter denen die stehenden Volks¬
heere herangebildet werden. Der spanisch-amerikanische Krieg hat die Über¬
legenheit der amerikanischen Waffen zur See und zu Lande dargethan. Die
Rückwirkung des kurzen, blutigen Ringens auf die den Gang der Ereignisse
mit Spannung beobachtenden europäischen Nationen konnte nicht ausbleiben.
Spanien hatte ein stehendes, diszipliniertes Heer, dem die Vereinigten Staaten
nnr Milizen und Freiwillige entgegenstellen konnten; beide Völker schienen
kriegerisch und selbstbewußt genug, einen erbitterten Kampf wahrscheinlich zu
macheu. Man erwartete, daß die Spanier dem Mukeeübermut zu Anfang
manche heilsame Lektion erteilen würden; auf die Dauer müsse natürlich der
Dollar den Ausschlag geben.

Aber es kam anders. Als Mac Kinley, uuter dem Zwang einer eigen¬
tümlichen Form von Tyrannei, die in Republiken ihr Wesen treibt, höchst
ungern das bekannte Ultimatum nach Madrid telegraphierte,*) das mit stolzem
Schweigen beantwortet wurde, brach ohne eigentliche Kriegserklärung der merk¬
würdigste Nassenkampf aus, der seltsamste und zugleich lehrreichste, den das
Jahrhundert gesehen hat. Der Anfang war entschieden das drolligste Schau¬
spiel, das man sich denken konnte. Zwei bis an die Zähne ungerttstete Gegner
suchten einander an Planlosigkeit und Schwerfälligkeit zu überbieten. Das zog



-) Es wird dagegen von einigen glaubwürdigen, dem Präsidenten nahestehenden Personen
behauptet, seine Abneigung gegen den Krieg sei "rein äußerlich" gewesen.
Grenzboten N 1899 22


Rassen und Kriege

le neusten kriegswissenschaftlichen Arbeiten lassen von Jahr zu
Jahr deutlicher erkennen, daß sie nicht nur dem rein fachmännischer
und technischen, sondern auch dem Studium der Völkerpsychologie
eine erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden. Das entspricht auch ganz
den veränderten Bedingungen, nnter denen die stehenden Volks¬
heere herangebildet werden. Der spanisch-amerikanische Krieg hat die Über¬
legenheit der amerikanischen Waffen zur See und zu Lande dargethan. Die
Rückwirkung des kurzen, blutigen Ringens auf die den Gang der Ereignisse
mit Spannung beobachtenden europäischen Nationen konnte nicht ausbleiben.
Spanien hatte ein stehendes, diszipliniertes Heer, dem die Vereinigten Staaten
nnr Milizen und Freiwillige entgegenstellen konnten; beide Völker schienen
kriegerisch und selbstbewußt genug, einen erbitterten Kampf wahrscheinlich zu
macheu. Man erwartete, daß die Spanier dem Mukeeübermut zu Anfang
manche heilsame Lektion erteilen würden; auf die Dauer müsse natürlich der
Dollar den Ausschlag geben.

Aber es kam anders. Als Mac Kinley, uuter dem Zwang einer eigen¬
tümlichen Form von Tyrannei, die in Republiken ihr Wesen treibt, höchst
ungern das bekannte Ultimatum nach Madrid telegraphierte,*) das mit stolzem
Schweigen beantwortet wurde, brach ohne eigentliche Kriegserklärung der merk¬
würdigste Nassenkampf aus, der seltsamste und zugleich lehrreichste, den das
Jahrhundert gesehen hat. Der Anfang war entschieden das drolligste Schau¬
spiel, das man sich denken konnte. Zwei bis an die Zähne ungerttstete Gegner
suchten einander an Planlosigkeit und Schwerfälligkeit zu überbieten. Das zog



-) Es wird dagegen von einigen glaubwürdigen, dem Präsidenten nahestehenden Personen
behauptet, seine Abneigung gegen den Krieg sei „rein äußerlich" gewesen.
Grenzboten N 1899 22
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0177" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230609"/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_230431/figures/grenzboten_341869_230431_230609_000.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Rassen und Kriege</head><lb/>
          <p xml:id="ID_553"> le neusten kriegswissenschaftlichen Arbeiten lassen von Jahr zu<lb/>
Jahr deutlicher erkennen, daß sie nicht nur dem rein fachmännischer<lb/>
und technischen, sondern auch dem Studium der Völkerpsychologie<lb/>
eine erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden. Das entspricht auch ganz<lb/>
den veränderten Bedingungen, nnter denen die stehenden Volks¬<lb/>
heere herangebildet werden. Der spanisch-amerikanische Krieg hat die Über¬<lb/>
legenheit der amerikanischen Waffen zur See und zu Lande dargethan. Die<lb/>
Rückwirkung des kurzen, blutigen Ringens auf die den Gang der Ereignisse<lb/>
mit Spannung beobachtenden europäischen Nationen konnte nicht ausbleiben.<lb/>
Spanien hatte ein stehendes, diszipliniertes Heer, dem die Vereinigten Staaten<lb/>
nnr Milizen und Freiwillige entgegenstellen konnten; beide Völker schienen<lb/>
kriegerisch und selbstbewußt genug, einen erbitterten Kampf wahrscheinlich zu<lb/>
macheu. Man erwartete, daß die Spanier dem Mukeeübermut zu Anfang<lb/>
manche heilsame Lektion erteilen würden; auf die Dauer müsse natürlich der<lb/>
Dollar den Ausschlag geben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_554" next="#ID_555"> Aber es kam anders. Als Mac Kinley, uuter dem Zwang einer eigen¬<lb/>
tümlichen Form von Tyrannei, die in Republiken ihr Wesen treibt, höchst<lb/>
ungern das bekannte Ultimatum nach Madrid telegraphierte,*) das mit stolzem<lb/>
Schweigen beantwortet wurde, brach ohne eigentliche Kriegserklärung der merk¬<lb/>
würdigste Nassenkampf aus, der seltsamste und zugleich lehrreichste, den das<lb/>
Jahrhundert gesehen hat. Der Anfang war entschieden das drolligste Schau¬<lb/>
spiel, das man sich denken konnte. Zwei bis an die Zähne ungerttstete Gegner<lb/>
suchten einander an Planlosigkeit und Schwerfälligkeit zu überbieten. Das zog</p><lb/>
          <note xml:id="FID_24" place="foot"> -) Es wird dagegen von einigen glaubwürdigen, dem Präsidenten nahestehenden Personen<lb/>
behauptet, seine Abneigung gegen den Krieg sei &#x201E;rein äußerlich" gewesen.</note><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten N 1899 22</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0177] [Abbildung] Rassen und Kriege le neusten kriegswissenschaftlichen Arbeiten lassen von Jahr zu Jahr deutlicher erkennen, daß sie nicht nur dem rein fachmännischer und technischen, sondern auch dem Studium der Völkerpsychologie eine erhöhte Aufmerksamkeit zuwenden. Das entspricht auch ganz den veränderten Bedingungen, nnter denen die stehenden Volks¬ heere herangebildet werden. Der spanisch-amerikanische Krieg hat die Über¬ legenheit der amerikanischen Waffen zur See und zu Lande dargethan. Die Rückwirkung des kurzen, blutigen Ringens auf die den Gang der Ereignisse mit Spannung beobachtenden europäischen Nationen konnte nicht ausbleiben. Spanien hatte ein stehendes, diszipliniertes Heer, dem die Vereinigten Staaten nnr Milizen und Freiwillige entgegenstellen konnten; beide Völker schienen kriegerisch und selbstbewußt genug, einen erbitterten Kampf wahrscheinlich zu macheu. Man erwartete, daß die Spanier dem Mukeeübermut zu Anfang manche heilsame Lektion erteilen würden; auf die Dauer müsse natürlich der Dollar den Ausschlag geben. Aber es kam anders. Als Mac Kinley, uuter dem Zwang einer eigen¬ tümlichen Form von Tyrannei, die in Republiken ihr Wesen treibt, höchst ungern das bekannte Ultimatum nach Madrid telegraphierte,*) das mit stolzem Schweigen beantwortet wurde, brach ohne eigentliche Kriegserklärung der merk¬ würdigste Nassenkampf aus, der seltsamste und zugleich lehrreichste, den das Jahrhundert gesehen hat. Der Anfang war entschieden das drolligste Schau¬ spiel, das man sich denken konnte. Zwei bis an die Zähne ungerttstete Gegner suchten einander an Planlosigkeit und Schwerfälligkeit zu überbieten. Das zog -) Es wird dagegen von einigen glaubwürdigen, dem Präsidenten nahestehenden Personen behauptet, seine Abneigung gegen den Krieg sei „rein äußerlich" gewesen. Grenzboten N 1899 22

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/177
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/177>, abgerufen am 30.04.2024.