Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hein Wieck

Gregorovius nicht einmal die Freude an der herrlichen Natur des Landes aufkommen.
In seinen römischen Tagebüchern schreibt er einmal, die Bildung in der Schweiz
sei importiert, nachdem sich das Volk von der deutschen Kultur losgerissen hatte,
habe es nichts eignes mehr. Die Alpenwelt ist ihm nur "ein kaltes, stummes
Wunder," und er begreift nnn, "warum die Schweizer so prosaische Menschen sind,"
die Berge am Vierwaldstnttersee findet er "wüst und formlos," Basel "eine graue,
monotone Stadt," die außer "dem tristen Gegenstand" des Holbeinschcn Toten¬
tanzes nichts Sehenswertes hat. Er sieht Schulkinder auf der Reise: "Sie singen
nicht, sie johlen oder brüllen, sie schmausen nicht, sie verschlingen." Ans der Gott-
hardpost prügeln sich ein Passagier und der Postillon und schimpfen "mit furcht¬
barem Barbarengeschrei in der schönen Landessprache." Und Gregorovius sieht
darin "eine Probe von der Erziehung des Schweizervolkes." Dieses Urteil, das der
große Geschichtschreiber der Stadt Rom sicher nicht als Mensch, sondern als Preuße
gefallt hat, schmerzt mehr aus solchem Munde, als tausend Pamphlete im Stile
Arthur Fränkels!*) ,

Nun zum Schluß! Wenn meine Zeilen vielfach unwillkürlich zu einer org,dio
xro clomo geworden sind, so bitte ich, mir das als Schweizer zu gute zu halten.
Auch so hat es vielleicht für Deutsche einiges Interesse, einen Schweizer, der
übrigens selbst durch enge Verwandtschaftsbande mit Deutschland verknüpft ist, offen
und ehrlich seine Meinung sagen zu hören. Ich weiß Wohl: lus-vos mers. rouros
xoeeldtur se extra,!


R.


Hein Menk Timm Kröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
1

user Persetter war eine Doppelpersvnlichkeit, von der die eine hoch¬
deutsch sprach und Schule hielt, die andre einen gemütlichen Lmid-
und Bienenwirt darstellte und sich plattdeutsch unterhielt.

In der Schulstube sprach Persetter meistens hochdeutsch, wenn
auch plattdeutsche Zwischenreden mit unterliefen. Wenn wir zum
Beispiel den Todschlag des Moses an dem Ägypter behandelten,
dann brummte er wohl vor sich hin: Mot dach 'n fünschen Kerl sin dem, de ol
got Moses -- wenn ein Junge gähnte, ohne die Hand vorzuhalten, verwies er
in seiner launigen Art: Klas, not't Mut lau, dat trente, un ol Lud könnt dat ni
Verträgen. -- Ab und zu ließ er auch wohl den lieben Gott plattdeutsch sprechen;
im allgemeinen aber hielt er die zum Unterricht gehörigen Reden in hochdeutscher
Sprache.

Die Thürschwellen vor der Wohnung des Persetters und vor der allgemeinen
Eingangsflur nach der Schulstube hatten zwar ein gewöhnliches Aussehen, waren



") Arthur Fränkel, Kulturbilder aus der "freien" Schweiz, 1897.
Hein Wieck

Gregorovius nicht einmal die Freude an der herrlichen Natur des Landes aufkommen.
In seinen römischen Tagebüchern schreibt er einmal, die Bildung in der Schweiz
sei importiert, nachdem sich das Volk von der deutschen Kultur losgerissen hatte,
habe es nichts eignes mehr. Die Alpenwelt ist ihm nur „ein kaltes, stummes
Wunder," und er begreift nnn, „warum die Schweizer so prosaische Menschen sind,"
die Berge am Vierwaldstnttersee findet er „wüst und formlos," Basel „eine graue,
monotone Stadt," die außer „dem tristen Gegenstand" des Holbeinschcn Toten¬
tanzes nichts Sehenswertes hat. Er sieht Schulkinder auf der Reise: „Sie singen
nicht, sie johlen oder brüllen, sie schmausen nicht, sie verschlingen." Ans der Gott-
hardpost prügeln sich ein Passagier und der Postillon und schimpfen „mit furcht¬
barem Barbarengeschrei in der schönen Landessprache." Und Gregorovius sieht
darin „eine Probe von der Erziehung des Schweizervolkes." Dieses Urteil, das der
große Geschichtschreiber der Stadt Rom sicher nicht als Mensch, sondern als Preuße
gefallt hat, schmerzt mehr aus solchem Munde, als tausend Pamphlete im Stile
Arthur Fränkels!*) ,

Nun zum Schluß! Wenn meine Zeilen vielfach unwillkürlich zu einer org,dio
xro clomo geworden sind, so bitte ich, mir das als Schweizer zu gute zu halten.
Auch so hat es vielleicht für Deutsche einiges Interesse, einen Schweizer, der
übrigens selbst durch enge Verwandtschaftsbande mit Deutschland verknüpft ist, offen
und ehrlich seine Meinung sagen zu hören. Ich weiß Wohl: lus-vos mers. rouros
xoeeldtur se extra,!


R.


Hein Menk Timm Kröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
1

user Persetter war eine Doppelpersvnlichkeit, von der die eine hoch¬
deutsch sprach und Schule hielt, die andre einen gemütlichen Lmid-
und Bienenwirt darstellte und sich plattdeutsch unterhielt.

In der Schulstube sprach Persetter meistens hochdeutsch, wenn
auch plattdeutsche Zwischenreden mit unterliefen. Wenn wir zum
Beispiel den Todschlag des Moses an dem Ägypter behandelten,
dann brummte er wohl vor sich hin: Mot dach 'n fünschen Kerl sin dem, de ol
got Moses — wenn ein Junge gähnte, ohne die Hand vorzuhalten, verwies er
in seiner launigen Art: Klas, not't Mut lau, dat trente, un ol Lud könnt dat ni
Verträgen. — Ab und zu ließ er auch wohl den lieben Gott plattdeutsch sprechen;
im allgemeinen aber hielt er die zum Unterricht gehörigen Reden in hochdeutscher
Sprache.

Die Thürschwellen vor der Wohnung des Persetters und vor der allgemeinen
Eingangsflur nach der Schulstube hatten zwar ein gewöhnliches Aussehen, waren



") Arthur Fränkel, Kulturbilder aus der „freien" Schweiz, 1897.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/230756"/>
          <fw type="header" place="top"> Hein Wieck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1036" prev="#ID_1035"> Gregorovius nicht einmal die Freude an der herrlichen Natur des Landes aufkommen.<lb/>
In seinen römischen Tagebüchern schreibt er einmal, die Bildung in der Schweiz<lb/>
sei importiert, nachdem sich das Volk von der deutschen Kultur losgerissen hatte,<lb/>
habe es nichts eignes mehr. Die Alpenwelt ist ihm nur &#x201E;ein kaltes, stummes<lb/>
Wunder," und er begreift nnn, &#x201E;warum die Schweizer so prosaische Menschen sind,"<lb/>
die Berge am Vierwaldstnttersee findet er &#x201E;wüst und formlos," Basel &#x201E;eine graue,<lb/>
monotone Stadt," die außer &#x201E;dem tristen Gegenstand" des Holbeinschcn Toten¬<lb/>
tanzes nichts Sehenswertes hat. Er sieht Schulkinder auf der Reise: &#x201E;Sie singen<lb/>
nicht, sie johlen oder brüllen, sie schmausen nicht, sie verschlingen." Ans der Gott-<lb/>
hardpost prügeln sich ein Passagier und der Postillon und schimpfen &#x201E;mit furcht¬<lb/>
barem Barbarengeschrei in der schönen Landessprache." Und Gregorovius sieht<lb/>
darin &#x201E;eine Probe von der Erziehung des Schweizervolkes." Dieses Urteil, das der<lb/>
große Geschichtschreiber der Stadt Rom sicher nicht als Mensch, sondern als Preuße<lb/>
gefallt hat, schmerzt mehr aus solchem Munde, als tausend Pamphlete im Stile<lb/>
Arthur Fränkels!*) ,</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1037"> Nun zum Schluß! Wenn meine Zeilen vielfach unwillkürlich zu einer org,dio<lb/>
xro clomo geworden sind, so bitte ich, mir das als Schweizer zu gute zu halten.<lb/>
Auch so hat es vielleicht für Deutsche einiges Interesse, einen Schweizer, der<lb/>
übrigens selbst durch enge Verwandtschaftsbande mit Deutschland verknüpft ist, offen<lb/>
und ehrlich seine Meinung sagen zu hören. Ich weiß Wohl: lus-vos mers. rouros<lb/>
xoeeldtur se extra,!</p><lb/>
          <note type="byline"> R.</note><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hein Menk<note type="byline"> Timm Kröger</note> Line Stall- und Scheunengeschichte von </head><lb/>
          <div n="2">
            <head> 1</head><lb/>
            <p xml:id="ID_1038"> user Persetter war eine Doppelpersvnlichkeit, von der die eine hoch¬<lb/>
deutsch sprach und Schule hielt, die andre einen gemütlichen Lmid-<lb/>
und Bienenwirt darstellte und sich plattdeutsch unterhielt.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1039"> In der Schulstube sprach Persetter meistens hochdeutsch, wenn<lb/>
auch plattdeutsche Zwischenreden mit unterliefen. Wenn wir zum<lb/>
Beispiel den Todschlag des Moses an dem Ägypter behandelten,<lb/>
dann brummte er wohl vor sich hin: Mot dach 'n fünschen Kerl sin dem, de ol<lb/>
got Moses &#x2014; wenn ein Junge gähnte, ohne die Hand vorzuhalten, verwies er<lb/>
in seiner launigen Art: Klas, not't Mut lau, dat trente, un ol Lud könnt dat ni<lb/>
Verträgen. &#x2014; Ab und zu ließ er auch wohl den lieben Gott plattdeutsch sprechen;<lb/>
im allgemeinen aber hielt er die zum Unterricht gehörigen Reden in hochdeutscher<lb/>
Sprache.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1040" next="#ID_1041"> Die Thürschwellen vor der Wohnung des Persetters und vor der allgemeinen<lb/>
Eingangsflur nach der Schulstube hatten zwar ein gewöhnliches Aussehen, waren</p><lb/>
            <note xml:id="FID_75" place="foot"> ") Arthur Fränkel, Kulturbilder aus der &#x201E;freien" Schweiz, 1897.</note><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] Hein Wieck Gregorovius nicht einmal die Freude an der herrlichen Natur des Landes aufkommen. In seinen römischen Tagebüchern schreibt er einmal, die Bildung in der Schweiz sei importiert, nachdem sich das Volk von der deutschen Kultur losgerissen hatte, habe es nichts eignes mehr. Die Alpenwelt ist ihm nur „ein kaltes, stummes Wunder," und er begreift nnn, „warum die Schweizer so prosaische Menschen sind," die Berge am Vierwaldstnttersee findet er „wüst und formlos," Basel „eine graue, monotone Stadt," die außer „dem tristen Gegenstand" des Holbeinschcn Toten¬ tanzes nichts Sehenswertes hat. Er sieht Schulkinder auf der Reise: „Sie singen nicht, sie johlen oder brüllen, sie schmausen nicht, sie verschlingen." Ans der Gott- hardpost prügeln sich ein Passagier und der Postillon und schimpfen „mit furcht¬ barem Barbarengeschrei in der schönen Landessprache." Und Gregorovius sieht darin „eine Probe von der Erziehung des Schweizervolkes." Dieses Urteil, das der große Geschichtschreiber der Stadt Rom sicher nicht als Mensch, sondern als Preuße gefallt hat, schmerzt mehr aus solchem Munde, als tausend Pamphlete im Stile Arthur Fränkels!*) , Nun zum Schluß! Wenn meine Zeilen vielfach unwillkürlich zu einer org,dio xro clomo geworden sind, so bitte ich, mir das als Schweizer zu gute zu halten. Auch so hat es vielleicht für Deutsche einiges Interesse, einen Schweizer, der übrigens selbst durch enge Verwandtschaftsbande mit Deutschland verknüpft ist, offen und ehrlich seine Meinung sagen zu hören. Ich weiß Wohl: lus-vos mers. rouros xoeeldtur se extra,! R. Hein Menk Timm Kröger Line Stall- und Scheunengeschichte von 1 user Persetter war eine Doppelpersvnlichkeit, von der die eine hoch¬ deutsch sprach und Schule hielt, die andre einen gemütlichen Lmid- und Bienenwirt darstellte und sich plattdeutsch unterhielt. In der Schulstube sprach Persetter meistens hochdeutsch, wenn auch plattdeutsche Zwischenreden mit unterliefen. Wenn wir zum Beispiel den Todschlag des Moses an dem Ägypter behandelten, dann brummte er wohl vor sich hin: Mot dach 'n fünschen Kerl sin dem, de ol got Moses — wenn ein Junge gähnte, ohne die Hand vorzuhalten, verwies er in seiner launigen Art: Klas, not't Mut lau, dat trente, un ol Lud könnt dat ni Verträgen. — Ab und zu ließ er auch wohl den lieben Gott plattdeutsch sprechen; im allgemeinen aber hielt er die zum Unterricht gehörigen Reden in hochdeutscher Sprache. Die Thürschwellen vor der Wohnung des Persetters und vor der allgemeinen Eingangsflur nach der Schulstube hatten zwar ein gewöhnliches Aussehen, waren ") Arthur Fränkel, Kulturbilder aus der „freien" Schweiz, 1897.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/326>, abgerufen am 30.04.2024.