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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gegenstände so würden wir ihn vielleicht dennoch versteh". Da er aber mit Absicht
Mystik treibt und ungewöhnliches sagen will, so ist jede Hoffnung auf Verständnis
ausgeschlossen. Ist mau mit dem Buche zu Ende, so hat man den Eindruck, als
hätte eine Wortmühle, wenn es dergleichen giebt, gerasselt. Greifen wir aufs
Geratewohl einen Satz heraus, er steht Seite 56. "Es ist vielleicht nicht möglich,
von diesen Dingen klar zu sprechen. Wer aber tief genug sich zu befragen und
zu leben weiß, und Ware es nur für die Zeitdauer eines Blitzes, empfindet nach
seinem unendlichen Wesen, daß dem so ist. Möglich, daß man eines Tags noch
die Gründe entdeckt, kraft deren, wenn Platon, Swedenborg oder Plotiu nicht ge¬
lebt hätten, die Seele des Bauern, der sie nicht gelesen hat, noch je von ihnen
sprechen hörte, nicht das wäre, was sie heute untrüglich ist. Aber wie es darum
auch bestellt sei, kein Gedanke verliert sich je für irgend eine Seele; und wer
wollte uns die Teile von uns nennen, die nur kraft der Gedanken leben, die nie
gedacht worden sind?" Wenn dies Sinn hat, so hat das meiste von dem, womit
wir uns bisher abgegeben haben, keinen Sinn. Wenn wir aber unsre Gedanken
aus reinem Übermut mit diesem stilisierten Unsinn beschäftigen, so müssen wir unsers
V A. P. erstandes schon sehr sicher sein.


Briefe von Justinus Karner und Arndt.

Zwei gleich wertvolle Bücher,
die in das deutsche Haus gehören. "Justinus Kerners Briefwechsel mit seinen
Freunden, herausgegeben von seinem Sohne Theobald Kerner, erläutert vou
Dr. Ernst Müller" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlngsanstalt) enthält in
zwei Bänden 852 Briefe, eine Auswahl aus mehr als 4000, die sich im Nachlaß des
Dichters vorfanden; eine Veröffentlichung sollte nicht vor Ablauf von dreißig Jahren
nach seinem Tode geschehn. Diese Briefe reichen von Kerners Studentenzeit (1805)
bis in das Jahr vor seinem Tode (1861), die meisten sind nicht von ihm, sondern
an ihn geschrieben, darunter solche von Königen und Königinnen. Keine Biographie
konnte uns besser die Erinnerung an Kerner und seinen Kreis erhalten als diese
Reihe ganz intimer Briefe, die mit ihren Anmerkungen zusammen eine Art Litteratur¬
geschichte der schwäbischen "Provinz" darstellen. -- "Ernst Moritz Arndt, ein Lebens¬
bild in Briefen, herausgegeben von Heinrich Meisner und Robert Geerds" (Berlin,
Georg Reimer) besteht aus 343 von 1787 bis 1860 geschriebnen Briefen Arndts.
Die Empfänger sind Familienglieder, Freunde und Gönner, darunter berühmte
Namen. Die Bearbeitung ist musterhaft; jedem Briefe ist eine kurze Erklärung
vorangeschickt. Viele dieser Briefe sind hier zum erstenmal gedruckt, und da sich
die Auswahl über die ganze Lebenszeit Arndts erstreckt, so darf sie als ein wichtiges
zeitgeschichtliches Urkundenwerk bezeichnet werden, dem es an dankbaren Benutzern
nicht fehlen wird.






Herausgegeben von Kohannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Gegenstände so würden wir ihn vielleicht dennoch versteh». Da er aber mit Absicht
Mystik treibt und ungewöhnliches sagen will, so ist jede Hoffnung auf Verständnis
ausgeschlossen. Ist mau mit dem Buche zu Ende, so hat man den Eindruck, als
hätte eine Wortmühle, wenn es dergleichen giebt, gerasselt. Greifen wir aufs
Geratewohl einen Satz heraus, er steht Seite 56. „Es ist vielleicht nicht möglich,
von diesen Dingen klar zu sprechen. Wer aber tief genug sich zu befragen und
zu leben weiß, und Ware es nur für die Zeitdauer eines Blitzes, empfindet nach
seinem unendlichen Wesen, daß dem so ist. Möglich, daß man eines Tags noch
die Gründe entdeckt, kraft deren, wenn Platon, Swedenborg oder Plotiu nicht ge¬
lebt hätten, die Seele des Bauern, der sie nicht gelesen hat, noch je von ihnen
sprechen hörte, nicht das wäre, was sie heute untrüglich ist. Aber wie es darum
auch bestellt sei, kein Gedanke verliert sich je für irgend eine Seele; und wer
wollte uns die Teile von uns nennen, die nur kraft der Gedanken leben, die nie
gedacht worden sind?" Wenn dies Sinn hat, so hat das meiste von dem, womit
wir uns bisher abgegeben haben, keinen Sinn. Wenn wir aber unsre Gedanken
aus reinem Übermut mit diesem stilisierten Unsinn beschäftigen, so müssen wir unsers
V A. P. erstandes schon sehr sicher sein.


Briefe von Justinus Karner und Arndt.

Zwei gleich wertvolle Bücher,
die in das deutsche Haus gehören. „Justinus Kerners Briefwechsel mit seinen
Freunden, herausgegeben von seinem Sohne Theobald Kerner, erläutert vou
Dr. Ernst Müller" (Stuttgart und Leipzig, Deutsche Verlngsanstalt) enthält in
zwei Bänden 852 Briefe, eine Auswahl aus mehr als 4000, die sich im Nachlaß des
Dichters vorfanden; eine Veröffentlichung sollte nicht vor Ablauf von dreißig Jahren
nach seinem Tode geschehn. Diese Briefe reichen von Kerners Studentenzeit (1805)
bis in das Jahr vor seinem Tode (1861), die meisten sind nicht von ihm, sondern
an ihn geschrieben, darunter solche von Königen und Königinnen. Keine Biographie
konnte uns besser die Erinnerung an Kerner und seinen Kreis erhalten als diese
Reihe ganz intimer Briefe, die mit ihren Anmerkungen zusammen eine Art Litteratur¬
geschichte der schwäbischen „Provinz" darstellen. — „Ernst Moritz Arndt, ein Lebens¬
bild in Briefen, herausgegeben von Heinrich Meisner und Robert Geerds" (Berlin,
Georg Reimer) besteht aus 343 von 1787 bis 1860 geschriebnen Briefen Arndts.
Die Empfänger sind Familienglieder, Freunde und Gönner, darunter berühmte
Namen. Die Bearbeitung ist musterhaft; jedem Briefe ist eine kurze Erklärung
vorangeschickt. Viele dieser Briefe sind hier zum erstenmal gedruckt, und da sich
die Auswahl über die ganze Lebenszeit Arndts erstreckt, so darf sie als ein wichtiges
zeitgeschichtliches Urkundenwerk bezeichnet werden, dem es an dankbaren Benutzern
nicht fehlen wird.






Herausgegeben von Kohannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/344>, abgerufen am 30.04.2024.