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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Der Römerstaat

Gänsekiel immer in loyale Tinte taucht, und falls er mit Leitartikeln bom¬
bardiert, nur auf die böse Pforte mit ihren schießlustigen Grenzsoldaten zielt,
oder auf die apostolische Majestät in der Hofburg, die Montenegro nur die
fchlechtgeschützten Häfen von Dulcigno und Antivari überließ, seinen natürlichen
Hafen, die Vocche von Cattaro. aber besetzt hält, da sie keinerlei Neigung ver¬
spürt, sich durch ein natürlich befestigtes Sebastopol Handel und Gemütlichkeit
in der Adria stören zu lassen, und deren Heerführer einst unter den Klängen
des Nadetzkymarsches in der Herzegowina einrückten und die serbischen "Brüder"
die gute deutsche Klinge Montecuccolis und Prinz Eugens fühlen ließen.


V. L,


Der Römerstaat
^. Religion
lSchluß)

orin bestand nun der ethische Gehalt der römischen Religion?
Darin, daß die Götter für Schützer einer heiligen, ewigen und
unveränderlichen Ordnung angesehen wurden, die jede Verletzung
dieser Ordnung rächten. Um von etwas ganz Äußerlichen zu
beginnen, so wurden z. B. Mißgeburten und Zwitter als etwas
Abscheuliches, der Naturordnung, d. h. eben der göttlichen Ordnung Wider¬
sprechendes getötet und vergraben oder ins Wasser geworfen (Livius 27, 37
und 39, 22). Vor allem aber wurden die Forderungen der Gerechtigkeit auch
im Verkehr mit den Auswärtigen auf das ängstlichste erfüllt. Nie hätte man
einen Einfall in Feindesland ohne gegründete Ursache und ohne vorhergehende
Kriegserklärung gewagt. Diese aber war eine sehr umständliche Sache und
konnte nach dem zu beobachtenden religiös geweihten Ritus gar nicht leicht¬
fertig erlassen werden. Hatte man Ursache zur Beschwerde gegen einen Nachbar¬
staat, so mußte sich nach Livius 1, 32 der xatsr xatraws mit drei andern
Fetialen dahin verfügen und bei Überschreitung der Grenze mit verhülltem
Haupte beten: "Höre es, Jupiter, hört es, ihr Grenzgötter, höre es auch das
Recht! (kg-s). Ich bin der Staatsbote der römische" Volkes und komme ge¬
rechten und frommen Sinnes als Gesandter; möge meinen Worten Glauben
geschenkt werden!" Und zum Jupiter gewandt: "Wenn ich ungerechter- und
gottloserweise die Auslieferung (der und der Gegenstünde oder Personen)
fordere, so laß mich niemals mehr des Vaterlands teilhaft werden!" Dasselbe
verkündigt er dem ersten Bürger des feindlichen Staates, den er trifft, das-


Der Römerstaat

Gänsekiel immer in loyale Tinte taucht, und falls er mit Leitartikeln bom¬
bardiert, nur auf die böse Pforte mit ihren schießlustigen Grenzsoldaten zielt,
oder auf die apostolische Majestät in der Hofburg, die Montenegro nur die
fchlechtgeschützten Häfen von Dulcigno und Antivari überließ, seinen natürlichen
Hafen, die Vocche von Cattaro. aber besetzt hält, da sie keinerlei Neigung ver¬
spürt, sich durch ein natürlich befestigtes Sebastopol Handel und Gemütlichkeit
in der Adria stören zu lassen, und deren Heerführer einst unter den Klängen
des Nadetzkymarsches in der Herzegowina einrückten und die serbischen „Brüder"
die gute deutsche Klinge Montecuccolis und Prinz Eugens fühlen ließen.


V. L,


Der Römerstaat
^. Religion
lSchluß)

orin bestand nun der ethische Gehalt der römischen Religion?
Darin, daß die Götter für Schützer einer heiligen, ewigen und
unveränderlichen Ordnung angesehen wurden, die jede Verletzung
dieser Ordnung rächten. Um von etwas ganz Äußerlichen zu
beginnen, so wurden z. B. Mißgeburten und Zwitter als etwas
Abscheuliches, der Naturordnung, d. h. eben der göttlichen Ordnung Wider¬
sprechendes getötet und vergraben oder ins Wasser geworfen (Livius 27, 37
und 39, 22). Vor allem aber wurden die Forderungen der Gerechtigkeit auch
im Verkehr mit den Auswärtigen auf das ängstlichste erfüllt. Nie hätte man
einen Einfall in Feindesland ohne gegründete Ursache und ohne vorhergehende
Kriegserklärung gewagt. Diese aber war eine sehr umständliche Sache und
konnte nach dem zu beobachtenden religiös geweihten Ritus gar nicht leicht¬
fertig erlassen werden. Hatte man Ursache zur Beschwerde gegen einen Nachbar¬
staat, so mußte sich nach Livius 1, 32 der xatsr xatraws mit drei andern
Fetialen dahin verfügen und bei Überschreitung der Grenze mit verhülltem
Haupte beten: „Höre es, Jupiter, hört es, ihr Grenzgötter, höre es auch das
Recht! (kg-s). Ich bin der Staatsbote der römische» Volkes und komme ge¬
rechten und frommen Sinnes als Gesandter; möge meinen Worten Glauben
geschenkt werden!" Und zum Jupiter gewandt: „Wenn ich ungerechter- und
gottloserweise die Auslieferung (der und der Gegenstünde oder Personen)
fordere, so laß mich niemals mehr des Vaterlands teilhaft werden!" Dasselbe
verkündigt er dem ersten Bürger des feindlichen Staates, den er trifft, das-


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[0358] Der Römerstaat Gänsekiel immer in loyale Tinte taucht, und falls er mit Leitartikeln bom¬ bardiert, nur auf die böse Pforte mit ihren schießlustigen Grenzsoldaten zielt, oder auf die apostolische Majestät in der Hofburg, die Montenegro nur die fchlechtgeschützten Häfen von Dulcigno und Antivari überließ, seinen natürlichen Hafen, die Vocche von Cattaro. aber besetzt hält, da sie keinerlei Neigung ver¬ spürt, sich durch ein natürlich befestigtes Sebastopol Handel und Gemütlichkeit in der Adria stören zu lassen, und deren Heerführer einst unter den Klängen des Nadetzkymarsches in der Herzegowina einrückten und die serbischen „Brüder" die gute deutsche Klinge Montecuccolis und Prinz Eugens fühlen ließen. V. L, Der Römerstaat ^. Religion lSchluß) orin bestand nun der ethische Gehalt der römischen Religion? Darin, daß die Götter für Schützer einer heiligen, ewigen und unveränderlichen Ordnung angesehen wurden, die jede Verletzung dieser Ordnung rächten. Um von etwas ganz Äußerlichen zu beginnen, so wurden z. B. Mißgeburten und Zwitter als etwas Abscheuliches, der Naturordnung, d. h. eben der göttlichen Ordnung Wider¬ sprechendes getötet und vergraben oder ins Wasser geworfen (Livius 27, 37 und 39, 22). Vor allem aber wurden die Forderungen der Gerechtigkeit auch im Verkehr mit den Auswärtigen auf das ängstlichste erfüllt. Nie hätte man einen Einfall in Feindesland ohne gegründete Ursache und ohne vorhergehende Kriegserklärung gewagt. Diese aber war eine sehr umständliche Sache und konnte nach dem zu beobachtenden religiös geweihten Ritus gar nicht leicht¬ fertig erlassen werden. Hatte man Ursache zur Beschwerde gegen einen Nachbar¬ staat, so mußte sich nach Livius 1, 32 der xatsr xatraws mit drei andern Fetialen dahin verfügen und bei Überschreitung der Grenze mit verhülltem Haupte beten: „Höre es, Jupiter, hört es, ihr Grenzgötter, höre es auch das Recht! (kg-s). Ich bin der Staatsbote der römische» Volkes und komme ge¬ rechten und frommen Sinnes als Gesandter; möge meinen Worten Glauben geschenkt werden!" Und zum Jupiter gewandt: „Wenn ich ungerechter- und gottloserweise die Auslieferung (der und der Gegenstünde oder Personen) fordere, so laß mich niemals mehr des Vaterlands teilhaft werden!" Dasselbe verkündigt er dem ersten Bürger des feindlichen Staates, den er trifft, das-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/358>, abgerufen am 30.04.2024.