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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen
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uf der Hauptstraße von Cetinje ist alle Tage Korso. Gruppe"
hochgewachsener, breitschultriger Mäuner mit mächtigen kohl¬
schwarzen Schnurrbärten stehn umher, würdigen, stolz wie Hidal¬
gos, den Fremden kaum eines neugierigen Blicks und lösen, ge¬
messen diskutierend, die Rätsel dieser Welt. Alle tragen sie ihr
kleidsames Nationalkostüm, sodaß der Wechsel der Umgebung acht Stunden
nach dem Verlassen des eleganten Lloyddampfers ebenso befremdend wirkt, wie
etwa die erste Landung in Honkongs Lüd,y ot' Victoria mit ihrer nach Hundert-
tausenden zählenden Chinesenbevölkerung oder in Japans Jokohama mit der
zierlichen, in buntseidne Gewänder gekleideten, immer freundlich-lächelnden und
sich unter Seufzern verbeugenden Eingebornenbevölkerung, die den Federn der
Globetrotter schon manchen Dithyrambus entlockt hat.

Das Hauptkleid des Montenegriners ist ein weißer Mantel, der an der
Brust offen ist und die rote mit Goldborten eingefaßte Weste sehen läßt. Um
diese ist eine seidne bunte Schärpe geschlungen, und darunter steckt in einer
rvtledernen Tasche ein oftmals schön verzierter Revolver. Die weiten blauen
Pumphosen werden unterhalb des Knies von weißen Filzbedeckungen abgelöst,
die hinten über der Wade durch Hunderte von Haken zusammengehalten werden;
die Füße stecken in den bei allen Südslawen üblichen Opankas, die aus Tier¬
haut verfertigt, mit dichter Riemenverschnürung befestigt werden und dem Fuße
auf glattem Felsen den besten Halt gewähren sollen. Auf dem Kopfe thront
ein kleines Cerevis, das schwarze Einfassung und einen roten Deckel mit den
Zeichen II- I. (Nikolaus I.) trägt.

Wer den Lssg^ 011 ed.6 xrineixlss ok xoxu1g.t,ion von Malthus gelesen
hat, der kann aus dem Straßenbilde Cetinjes allein eine Diagnose stellen.
Dieser klarköpfige, unerbittliche Gegner von "Niemandsland," dessen Trugbild
immer mehr und mehr den schwachbenervten Zeitgenossen in die Glieder zu
fahren scheint, hat den berühmten Satz aufgestellt, daß die Bevölkerungszahl
eines Landes abhängig sei von dem Ertrage des Bodens, auf dem sie lebe,
daß sie beständig wachse, wenn sich die Produktion steigere, und daß sie aus
natürlichen Gründen weit schneller wachsen könne als der Ertrag des Bodens;




Aus den schwarzen Bergen
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uf der Hauptstraße von Cetinje ist alle Tage Korso. Gruppe»
hochgewachsener, breitschultriger Mäuner mit mächtigen kohl¬
schwarzen Schnurrbärten stehn umher, würdigen, stolz wie Hidal¬
gos, den Fremden kaum eines neugierigen Blicks und lösen, ge¬
messen diskutierend, die Rätsel dieser Welt. Alle tragen sie ihr
kleidsames Nationalkostüm, sodaß der Wechsel der Umgebung acht Stunden
nach dem Verlassen des eleganten Lloyddampfers ebenso befremdend wirkt, wie
etwa die erste Landung in Honkongs Lüd,y ot' Victoria mit ihrer nach Hundert-
tausenden zählenden Chinesenbevölkerung oder in Japans Jokohama mit der
zierlichen, in buntseidne Gewänder gekleideten, immer freundlich-lächelnden und
sich unter Seufzern verbeugenden Eingebornenbevölkerung, die den Federn der
Globetrotter schon manchen Dithyrambus entlockt hat.

Das Hauptkleid des Montenegriners ist ein weißer Mantel, der an der
Brust offen ist und die rote mit Goldborten eingefaßte Weste sehen läßt. Um
diese ist eine seidne bunte Schärpe geschlungen, und darunter steckt in einer
rvtledernen Tasche ein oftmals schön verzierter Revolver. Die weiten blauen
Pumphosen werden unterhalb des Knies von weißen Filzbedeckungen abgelöst,
die hinten über der Wade durch Hunderte von Haken zusammengehalten werden;
die Füße stecken in den bei allen Südslawen üblichen Opankas, die aus Tier¬
haut verfertigt, mit dichter Riemenverschnürung befestigt werden und dem Fuße
auf glattem Felsen den besten Halt gewähren sollen. Auf dem Kopfe thront
ein kleines Cerevis, das schwarze Einfassung und einen roten Deckel mit den
Zeichen II- I. (Nikolaus I.) trägt.

Wer den Lssg^ 011 ed.6 xrineixlss ok xoxu1g.t,ion von Malthus gelesen
hat, der kann aus dem Straßenbilde Cetinjes allein eine Diagnose stellen.
Dieser klarköpfige, unerbittliche Gegner von „Niemandsland," dessen Trugbild
immer mehr und mehr den schwachbenervten Zeitgenossen in die Glieder zu
fahren scheint, hat den berühmten Satz aufgestellt, daß die Bevölkerungszahl
eines Landes abhängig sei von dem Ertrage des Bodens, auf dem sie lebe,
daß sie beständig wachse, wenn sich die Produktion steigere, und daß sie aus
natürlichen Gründen weit schneller wachsen könne als der Ertrag des Bodens;


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[0430] [Abbildung] Aus den schwarzen Bergen 2 uf der Hauptstraße von Cetinje ist alle Tage Korso. Gruppe» hochgewachsener, breitschultriger Mäuner mit mächtigen kohl¬ schwarzen Schnurrbärten stehn umher, würdigen, stolz wie Hidal¬ gos, den Fremden kaum eines neugierigen Blicks und lösen, ge¬ messen diskutierend, die Rätsel dieser Welt. Alle tragen sie ihr kleidsames Nationalkostüm, sodaß der Wechsel der Umgebung acht Stunden nach dem Verlassen des eleganten Lloyddampfers ebenso befremdend wirkt, wie etwa die erste Landung in Honkongs Lüd,y ot' Victoria mit ihrer nach Hundert- tausenden zählenden Chinesenbevölkerung oder in Japans Jokohama mit der zierlichen, in buntseidne Gewänder gekleideten, immer freundlich-lächelnden und sich unter Seufzern verbeugenden Eingebornenbevölkerung, die den Federn der Globetrotter schon manchen Dithyrambus entlockt hat. Das Hauptkleid des Montenegriners ist ein weißer Mantel, der an der Brust offen ist und die rote mit Goldborten eingefaßte Weste sehen läßt. Um diese ist eine seidne bunte Schärpe geschlungen, und darunter steckt in einer rvtledernen Tasche ein oftmals schön verzierter Revolver. Die weiten blauen Pumphosen werden unterhalb des Knies von weißen Filzbedeckungen abgelöst, die hinten über der Wade durch Hunderte von Haken zusammengehalten werden; die Füße stecken in den bei allen Südslawen üblichen Opankas, die aus Tier¬ haut verfertigt, mit dichter Riemenverschnürung befestigt werden und dem Fuße auf glattem Felsen den besten Halt gewähren sollen. Auf dem Kopfe thront ein kleines Cerevis, das schwarze Einfassung und einen roten Deckel mit den Zeichen II- I. (Nikolaus I.) trägt. Wer den Lssg^ 011 ed.6 xrineixlss ok xoxu1g.t,ion von Malthus gelesen hat, der kann aus dem Straßenbilde Cetinjes allein eine Diagnose stellen. Dieser klarköpfige, unerbittliche Gegner von „Niemandsland," dessen Trugbild immer mehr und mehr den schwachbenervten Zeitgenossen in die Glieder zu fahren scheint, hat den berühmten Satz aufgestellt, daß die Bevölkerungszahl eines Landes abhängig sei von dem Ertrage des Bodens, auf dem sie lebe, daß sie beständig wachse, wenn sich die Produktion steigere, und daß sie aus natürlichen Gründen weit schneller wachsen könne als der Ertrag des Bodens;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/430>, abgerufen am 30.04.2024.