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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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vom litterarischen Jung-Elsaß

scharf von Sternenhimmel abzeichnende Wartturm, die sogenannte Kuka krönt.
Hier ist die passende Szenerie sür eine Uhlandsche Ballade. Hier wird sich
des Dichters Phantasie die grinsenden Türkenköpfe hinzaubern, die noch zu
Ebels, Stieglitzens und WMnsons Zeiten von den siegreich heimkehrenden
Bergessöhnen als Trophäen aufgesteckt wurden -- der bleiche Mond bescheint
die verzerrten Züge der Opfer -- Fledermäuse schwirren -- in der Ferne
krächzt der Rabe, und das Poetenohr wird auch die Seufzer verlassener
Haremsschönen, die einsam auf schwellenden Ottomanen trauern, vernehmen;
denn auch hohe Würdenträger der Pforte waren vor dem fürchterlichen Jatagan
der Feinde nicht sicher. Hier hing denn auch das Haupt des Kam Mustapha,
des Paschas von Skutari, den des Landes größter Wladika, Peter I., einst im
Engpasse von Krussa in dreitägiger Schlacht besiegt, gefangen genommen und
getötet hatte.

Dicht unter dem schaurigen Wachtturm, gerade vor uus, steht die an¬
spruchslose Klosterkirche, dort schläft der stolze Sieger, den spätere Zeiten
kanonisiert haben, und bei dessen Gebeinen die Nachkommen noch heute schwören.
Wenn dann die helle Klosterglocke die zwölfte Stunde verkündet, dann verläßt
der heilige Petar Petrowitsch die Holzkiste, in der er liegt, und er wie die
Pascha von Albanien führen -- sich über die gegenseitige Unglüubigkeit tolerant
hinwegsetzend -- einen Gespenstertanz auf, und im Kreise herum stehen krumm¬
beinige Türkenskelette, die ihren abgehauenen Schädel unter dem Arme tragen
und mit ihren Knochen ein unheimlich-klapperndes Beifallsgeräusch vollführen.
Dies alles sieht man wirklich -- vor dem Kloster um die zwölfte Stunde --
nicht uur, wenn man Poet ist, sondern auch, wenn man der Slibowitze viele
im Hotel zu Cetinje aus das Wohl der Tschernagora getrunken hat.


O. x.


Vom litterarischen Jung-Glsaß

n Schutz und Trutz des staatliche", gesellschaftlichen und sozialen
Lebens sind wohl politische und polizeiliche Maßregeln nötig
und am Platze; aber eine innerliche Förderung der Kultur muß
von andrer Seite kommen. In erster Linie sind die Schule und
die Erziehung überhaupt, daun aber das gesamte Geistesleben,
und darin die nicht zu unterschätzenden künstlerischen Bestrebungen solche
starken innern Kräfte, besonders bei der Wiederangliederung eines Lcindchens
an eine größere nationale Kultur. Man kann freilich diese Vorgänge von


vom litterarischen Jung-Elsaß

scharf von Sternenhimmel abzeichnende Wartturm, die sogenannte Kuka krönt.
Hier ist die passende Szenerie sür eine Uhlandsche Ballade. Hier wird sich
des Dichters Phantasie die grinsenden Türkenköpfe hinzaubern, die noch zu
Ebels, Stieglitzens und WMnsons Zeiten von den siegreich heimkehrenden
Bergessöhnen als Trophäen aufgesteckt wurden — der bleiche Mond bescheint
die verzerrten Züge der Opfer — Fledermäuse schwirren — in der Ferne
krächzt der Rabe, und das Poetenohr wird auch die Seufzer verlassener
Haremsschönen, die einsam auf schwellenden Ottomanen trauern, vernehmen;
denn auch hohe Würdenträger der Pforte waren vor dem fürchterlichen Jatagan
der Feinde nicht sicher. Hier hing denn auch das Haupt des Kam Mustapha,
des Paschas von Skutari, den des Landes größter Wladika, Peter I., einst im
Engpasse von Krussa in dreitägiger Schlacht besiegt, gefangen genommen und
getötet hatte.

Dicht unter dem schaurigen Wachtturm, gerade vor uus, steht die an¬
spruchslose Klosterkirche, dort schläft der stolze Sieger, den spätere Zeiten
kanonisiert haben, und bei dessen Gebeinen die Nachkommen noch heute schwören.
Wenn dann die helle Klosterglocke die zwölfte Stunde verkündet, dann verläßt
der heilige Petar Petrowitsch die Holzkiste, in der er liegt, und er wie die
Pascha von Albanien führen — sich über die gegenseitige Unglüubigkeit tolerant
hinwegsetzend — einen Gespenstertanz auf, und im Kreise herum stehen krumm¬
beinige Türkenskelette, die ihren abgehauenen Schädel unter dem Arme tragen
und mit ihren Knochen ein unheimlich-klapperndes Beifallsgeräusch vollführen.
Dies alles sieht man wirklich — vor dem Kloster um die zwölfte Stunde —
nicht uur, wenn man Poet ist, sondern auch, wenn man der Slibowitze viele
im Hotel zu Cetinje aus das Wohl der Tschernagora getrunken hat.


O. x.


Vom litterarischen Jung-Glsaß

n Schutz und Trutz des staatliche», gesellschaftlichen und sozialen
Lebens sind wohl politische und polizeiliche Maßregeln nötig
und am Platze; aber eine innerliche Förderung der Kultur muß
von andrer Seite kommen. In erster Linie sind die Schule und
die Erziehung überhaupt, daun aber das gesamte Geistesleben,
und darin die nicht zu unterschätzenden künstlerischen Bestrebungen solche
starken innern Kräfte, besonders bei der Wiederangliederung eines Lcindchens
an eine größere nationale Kultur. Man kann freilich diese Vorgänge von


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[0439] vom litterarischen Jung-Elsaß scharf von Sternenhimmel abzeichnende Wartturm, die sogenannte Kuka krönt. Hier ist die passende Szenerie sür eine Uhlandsche Ballade. Hier wird sich des Dichters Phantasie die grinsenden Türkenköpfe hinzaubern, die noch zu Ebels, Stieglitzens und WMnsons Zeiten von den siegreich heimkehrenden Bergessöhnen als Trophäen aufgesteckt wurden — der bleiche Mond bescheint die verzerrten Züge der Opfer — Fledermäuse schwirren — in der Ferne krächzt der Rabe, und das Poetenohr wird auch die Seufzer verlassener Haremsschönen, die einsam auf schwellenden Ottomanen trauern, vernehmen; denn auch hohe Würdenträger der Pforte waren vor dem fürchterlichen Jatagan der Feinde nicht sicher. Hier hing denn auch das Haupt des Kam Mustapha, des Paschas von Skutari, den des Landes größter Wladika, Peter I., einst im Engpasse von Krussa in dreitägiger Schlacht besiegt, gefangen genommen und getötet hatte. Dicht unter dem schaurigen Wachtturm, gerade vor uus, steht die an¬ spruchslose Klosterkirche, dort schläft der stolze Sieger, den spätere Zeiten kanonisiert haben, und bei dessen Gebeinen die Nachkommen noch heute schwören. Wenn dann die helle Klosterglocke die zwölfte Stunde verkündet, dann verläßt der heilige Petar Petrowitsch die Holzkiste, in der er liegt, und er wie die Pascha von Albanien führen — sich über die gegenseitige Unglüubigkeit tolerant hinwegsetzend — einen Gespenstertanz auf, und im Kreise herum stehen krumm¬ beinige Türkenskelette, die ihren abgehauenen Schädel unter dem Arme tragen und mit ihren Knochen ein unheimlich-klapperndes Beifallsgeräusch vollführen. Dies alles sieht man wirklich — vor dem Kloster um die zwölfte Stunde — nicht uur, wenn man Poet ist, sondern auch, wenn man der Slibowitze viele im Hotel zu Cetinje aus das Wohl der Tschernagora getrunken hat. O. x. Vom litterarischen Jung-Glsaß n Schutz und Trutz des staatliche», gesellschaftlichen und sozialen Lebens sind wohl politische und polizeiliche Maßregeln nötig und am Platze; aber eine innerliche Förderung der Kultur muß von andrer Seite kommen. In erster Linie sind die Schule und die Erziehung überhaupt, daun aber das gesamte Geistesleben, und darin die nicht zu unterschätzenden künstlerischen Bestrebungen solche starken innern Kräfte, besonders bei der Wiederangliederung eines Lcindchens an eine größere nationale Kultur. Man kann freilich diese Vorgänge von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/439>, abgerufen am 30.04.2024.