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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Hein Menk Timm Aröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
(Fortsetzung)
7

emesfeneu Schritts, in althergebrachter Rangordnung verließ man
nach dem Essen die Stube, der neue Knhjnnge, in der Gesinde¬
hierarchie als Dienstmann unterster Stufe, an letzter Stelle. Als er,
dem Strom folgend, über den Vorplatz ging, hörte er seinen Namen:
Hein. Er kam aus der Spalte der leise aufgeklinkten Hausthür. --
Riekes Stimme: Hein, komm flink mal her. -- Er folgte der Auf¬
forderung und fand sich schnell draußen im Dunkel des Herbstabends unter Eichen.
Es war rauh und windig geworden, es rauschte und fegte dnrch die vom Herbst
abgegrasten Krone", riesenhafte Äste ächzten und stöhnten unter den Stößen einer
ungestümen Windsbraut. Hein sah anfangs keine Hand vor Augen. Dann fühlte
er die warmen Händchen des listigen Kindes.

Da such!

Ein Stoß schnellte ihn, ehe er sichs versah, in der Richtung ans einen raben¬
schwarzen Punkt, den er als Bank erkannte, und ließ ihn fortstolpern auf ein
Wesen, das dort Platz genommen hatte. In halb fallender Bewegung umarmte er
eine mit weicher Wolle bekleidete Gestalt.

Es war Antje.

Er fühlte sofort ihren Atem, ihre Nähe. Er ließ es denn auch bei der
ursprünglich nur halb freiwilligen Umarmung gern bewenden, als schon die Gefahr,
sie zu erdrücken, vorüber war; ja er zog sogar das Köpfchen, dessen blonde? Haar
er nnr mit seinem Gedankenblick, mit diesem aber um so freudiger umfaßte, an
seine Brust. Ihre Lippen fühlte er auf seinen Lippen. Er wußte uicht, wie es
gekommen war, aber es war schön, ein geahntes aber kaum ersehntes, ein un¬
beschreibliches Glück, wobei er dunkel seine Pflicht fühlte, es voll auszukosten.

Die durchtriebne Rieke sah und hörte nichts oder that wenigstens fo. Sie
klappte mit der Hängepforte, die voni Vorgarten nach der Straße führte: Was
macht ihr, weshalb kommt ihr nicht, wir wollen "gefangen" spielen. Die Glück¬
lichen hörten nicht auf den Schelm. Aber plötzlich entschlüpfte die Antje dem jungen
Liebhaber unter den Hände". Die Hausthür bewegte sich, ein Kichern der ver¬
schwindenden Ricke -- Hein war allein.

Und der kleine Kuhknecht sah zu den Bäumen, die sich am düstern Nacht-




Hein Menk Timm Aröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
(Fortsetzung)
7

emesfeneu Schritts, in althergebrachter Rangordnung verließ man
nach dem Essen die Stube, der neue Knhjnnge, in der Gesinde¬
hierarchie als Dienstmann unterster Stufe, an letzter Stelle. Als er,
dem Strom folgend, über den Vorplatz ging, hörte er seinen Namen:
Hein. Er kam aus der Spalte der leise aufgeklinkten Hausthür. —
Riekes Stimme: Hein, komm flink mal her. — Er folgte der Auf¬
forderung und fand sich schnell draußen im Dunkel des Herbstabends unter Eichen.
Es war rauh und windig geworden, es rauschte und fegte dnrch die vom Herbst
abgegrasten Krone«, riesenhafte Äste ächzten und stöhnten unter den Stößen einer
ungestümen Windsbraut. Hein sah anfangs keine Hand vor Augen. Dann fühlte
er die warmen Händchen des listigen Kindes.

Da such!

Ein Stoß schnellte ihn, ehe er sichs versah, in der Richtung ans einen raben¬
schwarzen Punkt, den er als Bank erkannte, und ließ ihn fortstolpern auf ein
Wesen, das dort Platz genommen hatte. In halb fallender Bewegung umarmte er
eine mit weicher Wolle bekleidete Gestalt.

Es war Antje.

Er fühlte sofort ihren Atem, ihre Nähe. Er ließ es denn auch bei der
ursprünglich nur halb freiwilligen Umarmung gern bewenden, als schon die Gefahr,
sie zu erdrücken, vorüber war; ja er zog sogar das Köpfchen, dessen blonde? Haar
er nnr mit seinem Gedankenblick, mit diesem aber um so freudiger umfaßte, an
seine Brust. Ihre Lippen fühlte er auf seinen Lippen. Er wußte uicht, wie es
gekommen war, aber es war schön, ein geahntes aber kaum ersehntes, ein un¬
beschreibliches Glück, wobei er dunkel seine Pflicht fühlte, es voll auszukosten.

Die durchtriebne Rieke sah und hörte nichts oder that wenigstens fo. Sie
klappte mit der Hängepforte, die voni Vorgarten nach der Straße führte: Was
macht ihr, weshalb kommt ihr nicht, wir wollen „gefangen" spielen. Die Glück¬
lichen hörten nicht auf den Schelm. Aber plötzlich entschlüpfte die Antje dem jungen
Liebhaber unter den Hände». Die Hausthür bewegte sich, ein Kichern der ver¬
schwindenden Ricke — Hein war allein.

Und der kleine Kuhknecht sah zu den Bäumen, die sich am düstern Nacht-


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[0445] [Abbildung] Hein Menk Timm Aröger Line Stall- und Scheunengeschichte von (Fortsetzung) 7 emesfeneu Schritts, in althergebrachter Rangordnung verließ man nach dem Essen die Stube, der neue Knhjnnge, in der Gesinde¬ hierarchie als Dienstmann unterster Stufe, an letzter Stelle. Als er, dem Strom folgend, über den Vorplatz ging, hörte er seinen Namen: Hein. Er kam aus der Spalte der leise aufgeklinkten Hausthür. — Riekes Stimme: Hein, komm flink mal her. — Er folgte der Auf¬ forderung und fand sich schnell draußen im Dunkel des Herbstabends unter Eichen. Es war rauh und windig geworden, es rauschte und fegte dnrch die vom Herbst abgegrasten Krone«, riesenhafte Äste ächzten und stöhnten unter den Stößen einer ungestümen Windsbraut. Hein sah anfangs keine Hand vor Augen. Dann fühlte er die warmen Händchen des listigen Kindes. Da such! Ein Stoß schnellte ihn, ehe er sichs versah, in der Richtung ans einen raben¬ schwarzen Punkt, den er als Bank erkannte, und ließ ihn fortstolpern auf ein Wesen, das dort Platz genommen hatte. In halb fallender Bewegung umarmte er eine mit weicher Wolle bekleidete Gestalt. Es war Antje. Er fühlte sofort ihren Atem, ihre Nähe. Er ließ es denn auch bei der ursprünglich nur halb freiwilligen Umarmung gern bewenden, als schon die Gefahr, sie zu erdrücken, vorüber war; ja er zog sogar das Köpfchen, dessen blonde? Haar er nnr mit seinem Gedankenblick, mit diesem aber um so freudiger umfaßte, an seine Brust. Ihre Lippen fühlte er auf seinen Lippen. Er wußte uicht, wie es gekommen war, aber es war schön, ein geahntes aber kaum ersehntes, ein un¬ beschreibliches Glück, wobei er dunkel seine Pflicht fühlte, es voll auszukosten. Die durchtriebne Rieke sah und hörte nichts oder that wenigstens fo. Sie klappte mit der Hängepforte, die voni Vorgarten nach der Straße führte: Was macht ihr, weshalb kommt ihr nicht, wir wollen „gefangen" spielen. Die Glück¬ lichen hörten nicht auf den Schelm. Aber plötzlich entschlüpfte die Antje dem jungen Liebhaber unter den Hände». Die Hausthür bewegte sich, ein Kichern der ver¬ schwindenden Ricke — Hein war allein. Und der kleine Kuhknecht sah zu den Bäumen, die sich am düstern Nacht-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/445>, abgerufen am 30.04.2024.