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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu werfen, als es unten mühsam loszurupfen. Die Jngend ist eben unverständig,
und Hein war jung.

Seit einigen Tagen spielte er abends mit den Kindern Mühlenspiel und
Karten. Wie von ungefähr gerieten die Karten unter den Tisch, und unter der
Platte stießen ebenso unversehens die Köpfe von Antje und Hein zusammen. In
fliegender Eile teilte er ihr dort seine Erfindung mit. Und sieh! Als Hein um
folgenden Tage durch seinen Spalt aus der Unterwelt auftauchte, stieg von der
Hausdiele her auf demselben mühsamen Weg, deu einst die gespenstische Rotkappe
genommen hatte, ein blondes Mädchen daher.

Es war Antje, und Hein empfing sie -- empfing sie buchstäblich mit offnen
Armen. Da kicherte es von den Heuwülsten her, und ein zweites kleines Mädchen
zeigte ihr lachendes, von dunkeln Haar eingerahmtes Gesicht.

Die Rieke war ihrer Schwester nachgeschlichen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Unsre Rechtsprechung.

Zwei Monteure hatten dnrch heimlich angelegten
Draht von fremder Leitung zur Beleuchtung ihres Zimmers Elektrizität entwendet.
Das Landgericht zu Elberfeld verurteilte sie wegen Diebstahls. Der erste Straf¬
senat des Reichsgerichts sprach sie jedoch vor kurzem frei, weil nach unsern bis¬
herigen Gesetzen das Eigentum an elektrischer Energie des Strafschutzes entbehren
sollte, also gewissermaßen vogelfrei jedem widerrechtlichen Zugriff preisgegeben
wäre. Schon 1896 hatte der vierte Strafsenat des Reichsgerichts dieselbe Rechts-
nnsicht ausgesprochen, und der erste Strafsenat hätte sich deshalb nnr auf Grund
einer Plenarsitzung zu einer abweichenden Rechtsansicht bekennen dürfen. Das ist
vermieden worden, und niemand wird anch zu behaupten wagen, daß die ver¬
einigten Strafsenate zu einer andern und bessern Rechtsansicht gekommen untren.
Die stilistische und logische Begründung ihres Urteils über "die Strafbarkeit des
Versuchs mit untauglichen Mitteln" wird unvergeßlich bleiben (vergleiche des Ver¬
fassers Schrift "Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg." Leipzig, Fr. Will).
Grunvw, 1897). Vielleicht hätten sie sich in ähnlicher Weise für den Rechts¬
irrtum, daß Entwertung von elektrischer Energie straffrei sei, erklärt. Im
5 242 des Reichsstrafgesetzbnchs heißt es: "Wer eine fremde, bewegliche Sache
einem andern in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird
wegen Diebstahls mit Gefängnis bestraft." Nach den Reichsgerichtsnrteilen ist
dieser Paragraph um ans die Entwertung von Elektrizität lediglich deshalb nicht
anwendbar, weil die elektrische Energie keine Sache sei. Man darf doch aber
füglich nicht leugnen, daß die elektrische Energie ein recht wertvoller Vermögens¬
bestandteil sein kann. Sie ist nicht wie die Strahlen der Sowie ein Geschenk der
gütigen Natur, ihre Herstellung ist kostspielig; aber einmal hergestellt, kauu sie mit
Ausschluß andrer als Eigentum besessen werden, man muß sich freilich vorsehen,
daß sie nicht heimlich abgeleitet wird. Wenn also die elektrische Energie ein Ver-


Maßgebliches und Unmaßgebliches

zu werfen, als es unten mühsam loszurupfen. Die Jngend ist eben unverständig,
und Hein war jung.

Seit einigen Tagen spielte er abends mit den Kindern Mühlenspiel und
Karten. Wie von ungefähr gerieten die Karten unter den Tisch, und unter der
Platte stießen ebenso unversehens die Köpfe von Antje und Hein zusammen. In
fliegender Eile teilte er ihr dort seine Erfindung mit. Und sieh! Als Hein um
folgenden Tage durch seinen Spalt aus der Unterwelt auftauchte, stieg von der
Hausdiele her auf demselben mühsamen Weg, deu einst die gespenstische Rotkappe
genommen hatte, ein blondes Mädchen daher.

Es war Antje, und Hein empfing sie — empfing sie buchstäblich mit offnen
Armen. Da kicherte es von den Heuwülsten her, und ein zweites kleines Mädchen
zeigte ihr lachendes, von dunkeln Haar eingerahmtes Gesicht.

Die Rieke war ihrer Schwester nachgeschlichen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Unsre Rechtsprechung.

Zwei Monteure hatten dnrch heimlich angelegten
Draht von fremder Leitung zur Beleuchtung ihres Zimmers Elektrizität entwendet.
Das Landgericht zu Elberfeld verurteilte sie wegen Diebstahls. Der erste Straf¬
senat des Reichsgerichts sprach sie jedoch vor kurzem frei, weil nach unsern bis¬
herigen Gesetzen das Eigentum an elektrischer Energie des Strafschutzes entbehren
sollte, also gewissermaßen vogelfrei jedem widerrechtlichen Zugriff preisgegeben
wäre. Schon 1896 hatte der vierte Strafsenat des Reichsgerichts dieselbe Rechts-
nnsicht ausgesprochen, und der erste Strafsenat hätte sich deshalb nnr auf Grund
einer Plenarsitzung zu einer abweichenden Rechtsansicht bekennen dürfen. Das ist
vermieden worden, und niemand wird anch zu behaupten wagen, daß die ver¬
einigten Strafsenate zu einer andern und bessern Rechtsansicht gekommen untren.
Die stilistische und logische Begründung ihres Urteils über „die Strafbarkeit des
Versuchs mit untauglichen Mitteln" wird unvergeßlich bleiben (vergleiche des Ver¬
fassers Schrift „Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg." Leipzig, Fr. Will).
Grunvw, 1897). Vielleicht hätten sie sich in ähnlicher Weise für den Rechts¬
irrtum, daß Entwertung von elektrischer Energie straffrei sei, erklärt. Im
5 242 des Reichsstrafgesetzbnchs heißt es: „Wer eine fremde, bewegliche Sache
einem andern in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird
wegen Diebstahls mit Gefängnis bestraft." Nach den Reichsgerichtsnrteilen ist
dieser Paragraph um ans die Entwertung von Elektrizität lediglich deshalb nicht
anwendbar, weil die elektrische Energie keine Sache sei. Man darf doch aber
füglich nicht leugnen, daß die elektrische Energie ein recht wertvoller Vermögens¬
bestandteil sein kann. Sie ist nicht wie die Strahlen der Sowie ein Geschenk der
gütigen Natur, ihre Herstellung ist kostspielig; aber einmal hergestellt, kauu sie mit
Ausschluß andrer als Eigentum besessen werden, man muß sich freilich vorsehen,
daß sie nicht heimlich abgeleitet wird. Wenn also die elektrische Energie ein Ver-


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[0451] Maßgebliches und Unmaßgebliches zu werfen, als es unten mühsam loszurupfen. Die Jngend ist eben unverständig, und Hein war jung. Seit einigen Tagen spielte er abends mit den Kindern Mühlenspiel und Karten. Wie von ungefähr gerieten die Karten unter den Tisch, und unter der Platte stießen ebenso unversehens die Köpfe von Antje und Hein zusammen. In fliegender Eile teilte er ihr dort seine Erfindung mit. Und sieh! Als Hein um folgenden Tage durch seinen Spalt aus der Unterwelt auftauchte, stieg von der Hausdiele her auf demselben mühsamen Weg, deu einst die gespenstische Rotkappe genommen hatte, ein blondes Mädchen daher. Es war Antje, und Hein empfing sie — empfing sie buchstäblich mit offnen Armen. Da kicherte es von den Heuwülsten her, und ein zweites kleines Mädchen zeigte ihr lachendes, von dunkeln Haar eingerahmtes Gesicht. Die Rieke war ihrer Schwester nachgeschlichen. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Unsre Rechtsprechung. Zwei Monteure hatten dnrch heimlich angelegten Draht von fremder Leitung zur Beleuchtung ihres Zimmers Elektrizität entwendet. Das Landgericht zu Elberfeld verurteilte sie wegen Diebstahls. Der erste Straf¬ senat des Reichsgerichts sprach sie jedoch vor kurzem frei, weil nach unsern bis¬ herigen Gesetzen das Eigentum an elektrischer Energie des Strafschutzes entbehren sollte, also gewissermaßen vogelfrei jedem widerrechtlichen Zugriff preisgegeben wäre. Schon 1896 hatte der vierte Strafsenat des Reichsgerichts dieselbe Rechts- nnsicht ausgesprochen, und der erste Strafsenat hätte sich deshalb nnr auf Grund einer Plenarsitzung zu einer abweichenden Rechtsansicht bekennen dürfen. Das ist vermieden worden, und niemand wird anch zu behaupten wagen, daß die ver¬ einigten Strafsenate zu einer andern und bessern Rechtsansicht gekommen untren. Die stilistische und logische Begründung ihres Urteils über „die Strafbarkeit des Versuchs mit untauglichen Mitteln" wird unvergeßlich bleiben (vergleiche des Ver¬ fassers Schrift „Dunkler Drang nach einem guten Rechtsweg." Leipzig, Fr. Will). Grunvw, 1897). Vielleicht hätten sie sich in ähnlicher Weise für den Rechts¬ irrtum, daß Entwertung von elektrischer Energie straffrei sei, erklärt. Im 5 242 des Reichsstrafgesetzbnchs heißt es: „Wer eine fremde, bewegliche Sache einem andern in der Absicht wegnimmt, dieselbe sich rechtswidrig zuzueignen, wird wegen Diebstahls mit Gefängnis bestraft." Nach den Reichsgerichtsnrteilen ist dieser Paragraph um ans die Entwertung von Elektrizität lediglich deshalb nicht anwendbar, weil die elektrische Energie keine Sache sei. Man darf doch aber füglich nicht leugnen, daß die elektrische Energie ein recht wertvoller Vermögens¬ bestandteil sein kann. Sie ist nicht wie die Strahlen der Sowie ein Geschenk der gütigen Natur, ihre Herstellung ist kostspielig; aber einmal hergestellt, kauu sie mit Ausschluß andrer als Eigentum besessen werden, man muß sich freilich vorsehen, daß sie nicht heimlich abgeleitet wird. Wenn also die elektrische Energie ein Ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/451>, abgerufen am 30.04.2024.