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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Aus den schwarzen Bergen

Pflicht eines jeden Schweizer Bürgers. Nur des Deutschen Reichs gepanzerte
Faust schützt das Land vor der französischen Einverleibung und damit auch
die Schweizer "Freiheit"!

Zum Schluß möchte ich betonen, daß mir abgesehen von der echt deutschen
nationalen Schwäche und vaterlandsfeindlichen Franzosenliebe der Schweizer
in seiner knorrigen Art als süddeutscher Volksgenosse durchaus lieb und wert
ist. Jeder deutsche Stamm hat seine Fehler. Ich glaube nicht, daß der ale¬
mannische Schweizer einen Vergleich zu scheuen hat. Politisch ist er sicherlich
reifer als durchschnittlich der Reichsdeutsche, insofern er in seiner Demokratie
einen regen Anteil am öffentlichen Leben nimmt. Nur müssen wir uns ent¬
schieden verbitten, daß die Schweizer auf uns Reichsdeutsche als "Fürsten¬
knechte" hochmütig herabsehen, denn wir gestehn der Republik einen absoluten
Vorrang vor der Monarchie nicht zu. Vielleicht wird auch der Schweizer noch
national empfindlicher, als er jetzt ist. Der Österreicher hat in der Zeit der
Bedrängnis auch sein deutsches Herz entdeckt. Die kosmopolitische Schwäche
ist ein altes deutsches Übel, das durch die Trennung vom Reiche verschlimmert
worden ist, und der Schweizer leidet seiner ganzen geschichtlichen Entwicklung
nach am meisten an diesem Gebrechen. Zu seiner Heilung beizutragen war
meine Absicht und ist unsre gemeinsame nationale Pflicht, die mit der leidigen
Anrd von Strantz Parteipolitik nichts zu schaffen hat.




Aus den schwarzen Bergen
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eun ich Podgoritza, das nur zehn Minuten von der türkisch¬
albanischen Grenze und sieben Stunden Wagenfahrt von Cetinje
entfernt im Süden des Landes liegt, mit irgend einer der Städte
vergleichen sollte, in denen ich für kürzere oder längere Zeit ge¬
rastet habe, so würde ich Tiflis, die Hauptstadt von Trans-
kaukasien, nennen. Hier wie dort das schmutzige, verfallende Viertel der ehe¬
maligen Herren, hier der Türken, dort der Grusiner, Armenier und Perser,
und daneben die moderne, europäische, junge Stadt, die Energie und Macht¬
fülle der Russen in imponierenderm Maßstabe aus dem Boden gestampft haben,
als die montenegrinische Schwäche und Halbzivilisation in Podgoritza. In
der östlichen wie der westlichen Stadt wohnen viele Völker wie in einen Schmelz¬
tiegel zusammengeworfen, aber durch Unterschiede der Rasse oder noch mehr
der Religion verhindert, sich zu einem einigen Ganzen zu vermischen. Hier


Aus den schwarzen Bergen

Pflicht eines jeden Schweizer Bürgers. Nur des Deutschen Reichs gepanzerte
Faust schützt das Land vor der französischen Einverleibung und damit auch
die Schweizer „Freiheit"!

Zum Schluß möchte ich betonen, daß mir abgesehen von der echt deutschen
nationalen Schwäche und vaterlandsfeindlichen Franzosenliebe der Schweizer
in seiner knorrigen Art als süddeutscher Volksgenosse durchaus lieb und wert
ist. Jeder deutsche Stamm hat seine Fehler. Ich glaube nicht, daß der ale¬
mannische Schweizer einen Vergleich zu scheuen hat. Politisch ist er sicherlich
reifer als durchschnittlich der Reichsdeutsche, insofern er in seiner Demokratie
einen regen Anteil am öffentlichen Leben nimmt. Nur müssen wir uns ent¬
schieden verbitten, daß die Schweizer auf uns Reichsdeutsche als „Fürsten¬
knechte" hochmütig herabsehen, denn wir gestehn der Republik einen absoluten
Vorrang vor der Monarchie nicht zu. Vielleicht wird auch der Schweizer noch
national empfindlicher, als er jetzt ist. Der Österreicher hat in der Zeit der
Bedrängnis auch sein deutsches Herz entdeckt. Die kosmopolitische Schwäche
ist ein altes deutsches Übel, das durch die Trennung vom Reiche verschlimmert
worden ist, und der Schweizer leidet seiner ganzen geschichtlichen Entwicklung
nach am meisten an diesem Gebrechen. Zu seiner Heilung beizutragen war
meine Absicht und ist unsre gemeinsame nationale Pflicht, die mit der leidigen
Anrd von Strantz Parteipolitik nichts zu schaffen hat.




Aus den schwarzen Bergen
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eun ich Podgoritza, das nur zehn Minuten von der türkisch¬
albanischen Grenze und sieben Stunden Wagenfahrt von Cetinje
entfernt im Süden des Landes liegt, mit irgend einer der Städte
vergleichen sollte, in denen ich für kürzere oder längere Zeit ge¬
rastet habe, so würde ich Tiflis, die Hauptstadt von Trans-
kaukasien, nennen. Hier wie dort das schmutzige, verfallende Viertel der ehe¬
maligen Herren, hier der Türken, dort der Grusiner, Armenier und Perser,
und daneben die moderne, europäische, junge Stadt, die Energie und Macht¬
fülle der Russen in imponierenderm Maßstabe aus dem Boden gestampft haben,
als die montenegrinische Schwäche und Halbzivilisation in Podgoritza. In
der östlichen wie der westlichen Stadt wohnen viele Völker wie in einen Schmelz¬
tiegel zusammengeworfen, aber durch Unterschiede der Rasse oder noch mehr
der Religion verhindert, sich zu einem einigen Ganzen zu vermischen. Hier


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[0592] Aus den schwarzen Bergen Pflicht eines jeden Schweizer Bürgers. Nur des Deutschen Reichs gepanzerte Faust schützt das Land vor der französischen Einverleibung und damit auch die Schweizer „Freiheit"! Zum Schluß möchte ich betonen, daß mir abgesehen von der echt deutschen nationalen Schwäche und vaterlandsfeindlichen Franzosenliebe der Schweizer in seiner knorrigen Art als süddeutscher Volksgenosse durchaus lieb und wert ist. Jeder deutsche Stamm hat seine Fehler. Ich glaube nicht, daß der ale¬ mannische Schweizer einen Vergleich zu scheuen hat. Politisch ist er sicherlich reifer als durchschnittlich der Reichsdeutsche, insofern er in seiner Demokratie einen regen Anteil am öffentlichen Leben nimmt. Nur müssen wir uns ent¬ schieden verbitten, daß die Schweizer auf uns Reichsdeutsche als „Fürsten¬ knechte" hochmütig herabsehen, denn wir gestehn der Republik einen absoluten Vorrang vor der Monarchie nicht zu. Vielleicht wird auch der Schweizer noch national empfindlicher, als er jetzt ist. Der Österreicher hat in der Zeit der Bedrängnis auch sein deutsches Herz entdeckt. Die kosmopolitische Schwäche ist ein altes deutsches Übel, das durch die Trennung vom Reiche verschlimmert worden ist, und der Schweizer leidet seiner ganzen geschichtlichen Entwicklung nach am meisten an diesem Gebrechen. Zu seiner Heilung beizutragen war meine Absicht und ist unsre gemeinsame nationale Pflicht, die mit der leidigen Anrd von Strantz Parteipolitik nichts zu schaffen hat. Aus den schwarzen Bergen 3 eun ich Podgoritza, das nur zehn Minuten von der türkisch¬ albanischen Grenze und sieben Stunden Wagenfahrt von Cetinje entfernt im Süden des Landes liegt, mit irgend einer der Städte vergleichen sollte, in denen ich für kürzere oder längere Zeit ge¬ rastet habe, so würde ich Tiflis, die Hauptstadt von Trans- kaukasien, nennen. Hier wie dort das schmutzige, verfallende Viertel der ehe¬ maligen Herren, hier der Türken, dort der Grusiner, Armenier und Perser, und daneben die moderne, europäische, junge Stadt, die Energie und Macht¬ fülle der Russen in imponierenderm Maßstabe aus dem Boden gestampft haben, als die montenegrinische Schwäche und Halbzivilisation in Podgoritza. In der östlichen wie der westlichen Stadt wohnen viele Völker wie in einen Schmelz¬ tiegel zusammengeworfen, aber durch Unterschiede der Rasse oder noch mehr der Religion verhindert, sich zu einem einigen Ganzen zu vermischen. Hier

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/592>, abgerufen am 30.04.2024.