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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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ver Arm der Gerechtigkeit

sieht, sondern er soll durch die Kunst lernen, die Natur zu sehen." Jede neue
Entwicklung der Malerei sei naturalistisch gewesen, die Naturkraft mache den
Naturalismus der Kunst unwiderstehlich. Aber höher noch als die Natur¬
anschauung, das Material der Kunst, sei die Kraft, die darin ihr innerstes
Wesen ausspreche, die künstlerische Persönlichkeit. Dieses persönliche Maß zu
schätzen habe das Publikum meist uicht die Fähigkeit. "Je stärker ausgeprägt
eine Individualität ist, um so mehr erhebt sie sich über den Durchschnitts¬
geschmack. Vielleicht sind noch zu keiner Zeit die großen Meister so einsam
gestanden, wie in diesem neunzehnten Jahrhundert des großen Publikums."

Die Lehre von dem das Publikum nach sich ziehenden Künstler erinnert
an Konrad Fiedlers Bücher und den Mareesschen Kreis. Solange die Künstler
Vöcklin oder Adolf Hildebrand sind, wird man sich die Lehre gefallen lassen.
Aber wo und wie soll das Publikum, wenn es sich gegen die Neuerungen der
Künstler auflehnt, zuerst merken, daß sie von "wahren, für die Dauer
schaffenden Meistern" ausgehn und nicht von Modemalern oder Eintags-
vrigiualen? In diesem Falle könnte der Satz von dem Rechte der künstle¬
rischen Persönlichkeit doch auch einmal umgekehrt für das Publikum recht un¬
angenehm und gefährlich werden.

Aber wir haben festzuhalten, daß das zu bildende Publikum bei Tschudi
nicht dasselbe ist wie bei Lichtwark. Dann werden wir auch folgenden Satz
Tschudis, mit dem wir diese Bemerkungen schließen wollen, leider richtig finden
müssen. "Es ist das Unglück unsrer Zeit, daß jenes kleine, aber durch die
dauernde und enge Fühlung mit der Kunst in hohem Grade empfängliche
Publikum verschwunden ist und durch die breite Menge ersetzt wurde, die es
kaum je zu einer wirklichen künstlerischen Kultur, aber sicher nie zur Fähigkeit
b A. p. ringen wird, dein Genie auf seinem Wege zu folgen."




Der Arm der Gerechtigkeit
(Schluß)

Zeit
Mits ist überhaupt eine ganz andre Lokalkenntnis nötig, als sie die
Mehrzahl der Kriminnlbenmtcn für ihren Beruf mitbringt. Leute, die
in irgend einem kleinen Nest Ostpreußens oder Schlesiens aufgewachsen
sind, dann lange Jahre in einem vielleicht nicht größern Städtchen
an der Westgrenze in Garnison gelegen haben und von hier aus
dann nach Berlin als Schutzmann berufen und als solcher einige
spater in die Kriminalabteilung eingestellt worden sind, sollen nun den Kampf
dem Verbrechertum auf einem Terrain führen, das ihnen gänzlich unbekannt ist.


ver Arm der Gerechtigkeit

sieht, sondern er soll durch die Kunst lernen, die Natur zu sehen." Jede neue
Entwicklung der Malerei sei naturalistisch gewesen, die Naturkraft mache den
Naturalismus der Kunst unwiderstehlich. Aber höher noch als die Natur¬
anschauung, das Material der Kunst, sei die Kraft, die darin ihr innerstes
Wesen ausspreche, die künstlerische Persönlichkeit. Dieses persönliche Maß zu
schätzen habe das Publikum meist uicht die Fähigkeit. „Je stärker ausgeprägt
eine Individualität ist, um so mehr erhebt sie sich über den Durchschnitts¬
geschmack. Vielleicht sind noch zu keiner Zeit die großen Meister so einsam
gestanden, wie in diesem neunzehnten Jahrhundert des großen Publikums."

Die Lehre von dem das Publikum nach sich ziehenden Künstler erinnert
an Konrad Fiedlers Bücher und den Mareesschen Kreis. Solange die Künstler
Vöcklin oder Adolf Hildebrand sind, wird man sich die Lehre gefallen lassen.
Aber wo und wie soll das Publikum, wenn es sich gegen die Neuerungen der
Künstler auflehnt, zuerst merken, daß sie von „wahren, für die Dauer
schaffenden Meistern" ausgehn und nicht von Modemalern oder Eintags-
vrigiualen? In diesem Falle könnte der Satz von dem Rechte der künstle¬
rischen Persönlichkeit doch auch einmal umgekehrt für das Publikum recht un¬
angenehm und gefährlich werden.

Aber wir haben festzuhalten, daß das zu bildende Publikum bei Tschudi
nicht dasselbe ist wie bei Lichtwark. Dann werden wir auch folgenden Satz
Tschudis, mit dem wir diese Bemerkungen schließen wollen, leider richtig finden
müssen. „Es ist das Unglück unsrer Zeit, daß jenes kleine, aber durch die
dauernde und enge Fühlung mit der Kunst in hohem Grade empfängliche
Publikum verschwunden ist und durch die breite Menge ersetzt wurde, die es
kaum je zu einer wirklichen künstlerischen Kultur, aber sicher nie zur Fähigkeit
b A. p. ringen wird, dein Genie auf seinem Wege zu folgen."




Der Arm der Gerechtigkeit
(Schluß)

Zeit
Mits ist überhaupt eine ganz andre Lokalkenntnis nötig, als sie die
Mehrzahl der Kriminnlbenmtcn für ihren Beruf mitbringt. Leute, die
in irgend einem kleinen Nest Ostpreußens oder Schlesiens aufgewachsen
sind, dann lange Jahre in einem vielleicht nicht größern Städtchen
an der Westgrenze in Garnison gelegen haben und von hier aus
dann nach Berlin als Schutzmann berufen und als solcher einige
spater in die Kriminalabteilung eingestellt worden sind, sollen nun den Kampf
dem Verbrechertum auf einem Terrain führen, das ihnen gänzlich unbekannt ist.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/605>, abgerufen am 30.04.2024.