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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Hein wieck

Dem muß natürlich vorgebeugt werden! Und so wird mau sich denn hinter
die Mächtigen stecken, wird es ihnen vorahnend zeigen, wie die dann allein im
alten Verbände verbleibende politische Polizei, wenn sie nicht mehr so wie jetzt
auf Kosten ihrer Stiefgeschwister gestärkt werden kann, am Ende einmal irgend eine
sozialdemokratische Versammlung übersehen und uicht rechtzeitig entdecken könnte;
man wird dem auf seinen Schätzen brütenden Finanzminister allerlei düstere Bilder
zeigen von kommenden Fordermigen für eigne Unterrichtsanstalten, wo die an¬
gehenden Geheimpolizisten in Kriminalgeschichte, Gaunersprache usw. gründlich für
ihren Beruf unterwiesen und vorgebildet werden, und den vereinten Bemühungen
dieser Art wird es wohl glücklich gelingen, die so notwendige Reform der Kriminal¬
polizei an Haupt und Gliedern noch eine geraume Zeit zu verhindern.




Hein Menk Timm Rröger Eine Stall- und Scheunengeschichte von
(Fortsetzung)
11

ein fühlte sich gedemütigt vor den Menschen, er fühlte sich ver¬
einsamt und suchte daher Anschluß bei Wesen, vor denen er sich nicht
zu schämen brauchte. Deu Kuhstall und die Kühe hatte er lassen
müssen, dafür war er Schutzherr der Pferde geworden.

Diese neuen Freunde mußten ihm viel ersetzen, denn er empfand
so halb und halb, daß es mit ihm und der Antje ganz aus sei.
Und wenn er gewußt hätte, was die Mutter ihr von dem kommenden Freier
Reimer Witt gesagt hatte, und wenn er den Eindruck gekannt hätte, den diese
Mitteilung auf Antje gemacht hatte, so würde er daran gar nicht mehr gezweifelt
haben. Ihr war es plötzlich klar geworden, wie lächerlich und dumm ihr Ver¬
hältnis zu Hein war, er aber verblieb noch immer in der unwürdigen Rolle eines
gemißhandelten, verliebten Narren und reckte vom Pferdeställe her oder von dem
Verschlage daneben, wo seine Bettlade stand, seine Arme nach der Richtung, wo
er seine Flamme vermutete. Immer wieder vergegenwärtigte er sich das Drum
und Dran ihrer Erscheinung: ihr Haar, ihre Augen, die Kattimschürze, den Klang
ihrer Stimme, aber immer seltener wurde ihm das alles gezeigt, und dann mit einem
Gesicht, woraus hervorging, daß ihr auf sein Gefallen nichts mehr ankomme.
Bei dem Essen saß sie stocksteif vor ihrem Teller -- mit einem Wort: sie verstand
ihn zu schneiden. Und mit einer Hartherzigkeit, mit einer Grausamkeit, mit einer
Lieblosigkeit und -- ach! -- mit einer Unerbittlichkeit, wie es nnr ein Weib, selbst
ein angehendes, das sich zu fühlen beginnt, fertig bringt.

Hein stand dieser Entschiedenheit mit der Demut gegenüber, die einen verliebten
Knaben entwürdigt, ihn bemitleidenswert macht, wie er denn in der That von der
Rieke, die um so trostreicher blickte, bemitleidet wurde. Hein hätte blind sein müssen,


Hein wieck

Dem muß natürlich vorgebeugt werden! Und so wird mau sich denn hinter
die Mächtigen stecken, wird es ihnen vorahnend zeigen, wie die dann allein im
alten Verbände verbleibende politische Polizei, wenn sie nicht mehr so wie jetzt
auf Kosten ihrer Stiefgeschwister gestärkt werden kann, am Ende einmal irgend eine
sozialdemokratische Versammlung übersehen und uicht rechtzeitig entdecken könnte;
man wird dem auf seinen Schätzen brütenden Finanzminister allerlei düstere Bilder
zeigen von kommenden Fordermigen für eigne Unterrichtsanstalten, wo die an¬
gehenden Geheimpolizisten in Kriminalgeschichte, Gaunersprache usw. gründlich für
ihren Beruf unterwiesen und vorgebildet werden, und den vereinten Bemühungen
dieser Art wird es wohl glücklich gelingen, die so notwendige Reform der Kriminal¬
polizei an Haupt und Gliedern noch eine geraume Zeit zu verhindern.




Hein Menk Timm Rröger Eine Stall- und Scheunengeschichte von
(Fortsetzung)
11

ein fühlte sich gedemütigt vor den Menschen, er fühlte sich ver¬
einsamt und suchte daher Anschluß bei Wesen, vor denen er sich nicht
zu schämen brauchte. Deu Kuhstall und die Kühe hatte er lassen
müssen, dafür war er Schutzherr der Pferde geworden.

Diese neuen Freunde mußten ihm viel ersetzen, denn er empfand
so halb und halb, daß es mit ihm und der Antje ganz aus sei.
Und wenn er gewußt hätte, was die Mutter ihr von dem kommenden Freier
Reimer Witt gesagt hatte, und wenn er den Eindruck gekannt hätte, den diese
Mitteilung auf Antje gemacht hatte, so würde er daran gar nicht mehr gezweifelt
haben. Ihr war es plötzlich klar geworden, wie lächerlich und dumm ihr Ver¬
hältnis zu Hein war, er aber verblieb noch immer in der unwürdigen Rolle eines
gemißhandelten, verliebten Narren und reckte vom Pferdeställe her oder von dem
Verschlage daneben, wo seine Bettlade stand, seine Arme nach der Richtung, wo
er seine Flamme vermutete. Immer wieder vergegenwärtigte er sich das Drum
und Dran ihrer Erscheinung: ihr Haar, ihre Augen, die Kattimschürze, den Klang
ihrer Stimme, aber immer seltener wurde ihm das alles gezeigt, und dann mit einem
Gesicht, woraus hervorging, daß ihr auf sein Gefallen nichts mehr ankomme.
Bei dem Essen saß sie stocksteif vor ihrem Teller — mit einem Wort: sie verstand
ihn zu schneiden. Und mit einer Hartherzigkeit, mit einer Grausamkeit, mit einer
Lieblosigkeit und — ach! — mit einer Unerbittlichkeit, wie es nnr ein Weib, selbst
ein angehendes, das sich zu fühlen beginnt, fertig bringt.

Hein stand dieser Entschiedenheit mit der Demut gegenüber, die einen verliebten
Knaben entwürdigt, ihn bemitleidenswert macht, wie er denn in der That von der
Rieke, die um so trostreicher blickte, bemitleidet wurde. Hein hätte blind sein müssen,


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[0613] Hein wieck Dem muß natürlich vorgebeugt werden! Und so wird mau sich denn hinter die Mächtigen stecken, wird es ihnen vorahnend zeigen, wie die dann allein im alten Verbände verbleibende politische Polizei, wenn sie nicht mehr so wie jetzt auf Kosten ihrer Stiefgeschwister gestärkt werden kann, am Ende einmal irgend eine sozialdemokratische Versammlung übersehen und uicht rechtzeitig entdecken könnte; man wird dem auf seinen Schätzen brütenden Finanzminister allerlei düstere Bilder zeigen von kommenden Fordermigen für eigne Unterrichtsanstalten, wo die an¬ gehenden Geheimpolizisten in Kriminalgeschichte, Gaunersprache usw. gründlich für ihren Beruf unterwiesen und vorgebildet werden, und den vereinten Bemühungen dieser Art wird es wohl glücklich gelingen, die so notwendige Reform der Kriminal¬ polizei an Haupt und Gliedern noch eine geraume Zeit zu verhindern. Hein Menk Timm Rröger Eine Stall- und Scheunengeschichte von (Fortsetzung) 11 ein fühlte sich gedemütigt vor den Menschen, er fühlte sich ver¬ einsamt und suchte daher Anschluß bei Wesen, vor denen er sich nicht zu schämen brauchte. Deu Kuhstall und die Kühe hatte er lassen müssen, dafür war er Schutzherr der Pferde geworden. Diese neuen Freunde mußten ihm viel ersetzen, denn er empfand so halb und halb, daß es mit ihm und der Antje ganz aus sei. Und wenn er gewußt hätte, was die Mutter ihr von dem kommenden Freier Reimer Witt gesagt hatte, und wenn er den Eindruck gekannt hätte, den diese Mitteilung auf Antje gemacht hatte, so würde er daran gar nicht mehr gezweifelt haben. Ihr war es plötzlich klar geworden, wie lächerlich und dumm ihr Ver¬ hältnis zu Hein war, er aber verblieb noch immer in der unwürdigen Rolle eines gemißhandelten, verliebten Narren und reckte vom Pferdeställe her oder von dem Verschlage daneben, wo seine Bettlade stand, seine Arme nach der Richtung, wo er seine Flamme vermutete. Immer wieder vergegenwärtigte er sich das Drum und Dran ihrer Erscheinung: ihr Haar, ihre Augen, die Kattimschürze, den Klang ihrer Stimme, aber immer seltener wurde ihm das alles gezeigt, und dann mit einem Gesicht, woraus hervorging, daß ihr auf sein Gefallen nichts mehr ankomme. Bei dem Essen saß sie stocksteif vor ihrem Teller — mit einem Wort: sie verstand ihn zu schneiden. Und mit einer Hartherzigkeit, mit einer Grausamkeit, mit einer Lieblosigkeit und — ach! — mit einer Unerbittlichkeit, wie es nnr ein Weib, selbst ein angehendes, das sich zu fühlen beginnt, fertig bringt. Hein stand dieser Entschiedenheit mit der Demut gegenüber, die einen verliebten Knaben entwürdigt, ihn bemitleidenswert macht, wie er denn in der That von der Rieke, die um so trostreicher blickte, bemitleidet wurde. Hein hätte blind sein müssen,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/613>, abgerufen am 30.04.2024.