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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Herr Wieck kaut, Herr Wieck ists zufrieden.

Und Heims Jugend kommt, auf den Strahlen des Vollmonds, der inzwischen
heraufgekommen ist und den jungen Wind gebändigt hat. Leicht geschürzt schreitet
sie durch das Giebelfenster auf den Dachboden und lapp -- lapp -- die Leiter
herab. Sie hat glänzende Angen und braune Haare.

Wer bist du?

Ich bin deine Jugend!

Was für ein Ding hast dn in der Hand? Es leuchtet wie die Hoffnung
im Elend.

Hein Wieck ist ein Somnambuler und spricht daher gewählt, wie ein solcher.

Es ist ein Symbol der Erinnerung und ein Spiegel des Kommenden.

Darf ich schauen?

Was für eine Frage, Hein Wieck? Ich kam, um dirs zu zeigen.

So träumte Hein Wieck.

Wunderlich, dachte er am frühen Morgen, als er sein letztes Hemd in der
Schlacht von Kolding einschnürte. -- Ich sah mich in der Wiege. Die Sonne
schien durch den kahlen Schlehdorn, ich griff nach den Strahlengarben und nach
den tanzenden Lichtstäubchen. Der Vater schwenkte mich hoch, und die Mutter ließ
mich auf ihrem breiten Schoß springen. Während sie mir das Hemdchen überzog,
griff ich nach ihren langen, schwarzen Flechten.

Was der Spiegel des Kommenden ihm gezeigt hatte, das verriet Hein nicht
einmal den vier Wänden seiner Kammer.

Aber er mußte lachen, wenn er daran dachte -- immer lachen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Hans Delbrück gegen Moritz Busch. Die Preußischen Jahrbücher gelten
trotz mancher Paradoxien ihres jetzigen Herausgebers, der die Ehre hat, Treitschkes
Nachfolger zu sein, für ein vornehmes Blatt. Dieser alte gute Ruf muß erschüttert
werden durch Artikel wie den, den das Juniheft über die jüngste "Bismarck-Historio-
grnphie" und besonders über die Tagebuchblätter von M. Busch gebracht hat.
Zwar der energischen Abwehr der sogenannten Bismarckpresse und der "Bismarck-
pfaffen" wird jeder Unbefangne zustimmen. "Eine Art von Bismarckicmeru, heißt
es da, ist aufgekommen und führt das laute Wort, svdnß alle feinern und edlern
Geister sich abgestoßen fühlen. Man spricht von einer "Bismarckpresse", aber
niemand möchte gern mit ihr zu thun haben. Der "Bismarckknltus" ist nicht im
Steigen, sondern im Rückgange, die Kreise selber, die als seine Träger gelten
wollen, diskreditieren ihn. . . . Was ist bellte aus der hehren nationalen Idee in
der "Bismarckpresse", den "Hamburger Nachrichten", "Berliner" und "Leipziger
Neuesten Nachrichten" geworden? Angewidert wendet man sich ab und fragt: Hat
dieses Geschlecht wirklich ein Recht, sich ans den großen Namen Bismarck zu be¬
rufen?" Dieses Urteil ist scharf, auch im Ausdruck, aber reichlich verdient. Auch


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Herr Wieck kaut, Herr Wieck ists zufrieden.

Und Heims Jugend kommt, auf den Strahlen des Vollmonds, der inzwischen
heraufgekommen ist und den jungen Wind gebändigt hat. Leicht geschürzt schreitet
sie durch das Giebelfenster auf den Dachboden und lapp — lapp — die Leiter
herab. Sie hat glänzende Angen und braune Haare.

Wer bist du?

Ich bin deine Jugend!

Was für ein Ding hast dn in der Hand? Es leuchtet wie die Hoffnung
im Elend.

Hein Wieck ist ein Somnambuler und spricht daher gewählt, wie ein solcher.

Es ist ein Symbol der Erinnerung und ein Spiegel des Kommenden.

Darf ich schauen?

Was für eine Frage, Hein Wieck? Ich kam, um dirs zu zeigen.

So träumte Hein Wieck.

Wunderlich, dachte er am frühen Morgen, als er sein letztes Hemd in der
Schlacht von Kolding einschnürte. — Ich sah mich in der Wiege. Die Sonne
schien durch den kahlen Schlehdorn, ich griff nach den Strahlengarben und nach
den tanzenden Lichtstäubchen. Der Vater schwenkte mich hoch, und die Mutter ließ
mich auf ihrem breiten Schoß springen. Während sie mir das Hemdchen überzog,
griff ich nach ihren langen, schwarzen Flechten.

Was der Spiegel des Kommenden ihm gezeigt hatte, das verriet Hein nicht
einmal den vier Wänden seiner Kammer.

Aber er mußte lachen, wenn er daran dachte — immer lachen.

(Fortsetzung folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Hans Delbrück gegen Moritz Busch. Die Preußischen Jahrbücher gelten
trotz mancher Paradoxien ihres jetzigen Herausgebers, der die Ehre hat, Treitschkes
Nachfolger zu sein, für ein vornehmes Blatt. Dieser alte gute Ruf muß erschüttert
werden durch Artikel wie den, den das Juniheft über die jüngste „Bismarck-Historio-
grnphie" und besonders über die Tagebuchblätter von M. Busch gebracht hat.
Zwar der energischen Abwehr der sogenannten Bismarckpresse und der „Bismarck-
pfaffen" wird jeder Unbefangne zustimmen. „Eine Art von Bismarckicmeru, heißt
es da, ist aufgekommen und führt das laute Wort, svdnß alle feinern und edlern
Geister sich abgestoßen fühlen. Man spricht von einer »Bismarckpresse«, aber
niemand möchte gern mit ihr zu thun haben. Der »Bismarckknltus« ist nicht im
Steigen, sondern im Rückgange, die Kreise selber, die als seine Träger gelten
wollen, diskreditieren ihn. . . . Was ist bellte aus der hehren nationalen Idee in
der »Bismarckpresse«, den »Hamburger Nachrichten«, »Berliner« und »Leipziger
Neuesten Nachrichten« geworden? Angewidert wendet man sich ab und fragt: Hat
dieses Geschlecht wirklich ein Recht, sich ans den großen Namen Bismarck zu be¬
rufen?" Dieses Urteil ist scharf, auch im Ausdruck, aber reichlich verdient. Auch


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[0620] Maßgebliches und Unmaßgebliches Herr Wieck kaut, Herr Wieck ists zufrieden. Und Heims Jugend kommt, auf den Strahlen des Vollmonds, der inzwischen heraufgekommen ist und den jungen Wind gebändigt hat. Leicht geschürzt schreitet sie durch das Giebelfenster auf den Dachboden und lapp — lapp — die Leiter herab. Sie hat glänzende Angen und braune Haare. Wer bist du? Ich bin deine Jugend! Was für ein Ding hast dn in der Hand? Es leuchtet wie die Hoffnung im Elend. Hein Wieck ist ein Somnambuler und spricht daher gewählt, wie ein solcher. Es ist ein Symbol der Erinnerung und ein Spiegel des Kommenden. Darf ich schauen? Was für eine Frage, Hein Wieck? Ich kam, um dirs zu zeigen. So träumte Hein Wieck. Wunderlich, dachte er am frühen Morgen, als er sein letztes Hemd in der Schlacht von Kolding einschnürte. — Ich sah mich in der Wiege. Die Sonne schien durch den kahlen Schlehdorn, ich griff nach den Strahlengarben und nach den tanzenden Lichtstäubchen. Der Vater schwenkte mich hoch, und die Mutter ließ mich auf ihrem breiten Schoß springen. Während sie mir das Hemdchen überzog, griff ich nach ihren langen, schwarzen Flechten. Was der Spiegel des Kommenden ihm gezeigt hatte, das verriet Hein nicht einmal den vier Wänden seiner Kammer. Aber er mußte lachen, wenn er daran dachte — immer lachen. (Fortsetzung folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Hans Delbrück gegen Moritz Busch. Die Preußischen Jahrbücher gelten trotz mancher Paradoxien ihres jetzigen Herausgebers, der die Ehre hat, Treitschkes Nachfolger zu sein, für ein vornehmes Blatt. Dieser alte gute Ruf muß erschüttert werden durch Artikel wie den, den das Juniheft über die jüngste „Bismarck-Historio- grnphie" und besonders über die Tagebuchblätter von M. Busch gebracht hat. Zwar der energischen Abwehr der sogenannten Bismarckpresse und der „Bismarck- pfaffen" wird jeder Unbefangne zustimmen. „Eine Art von Bismarckicmeru, heißt es da, ist aufgekommen und führt das laute Wort, svdnß alle feinern und edlern Geister sich abgestoßen fühlen. Man spricht von einer »Bismarckpresse«, aber niemand möchte gern mit ihr zu thun haben. Der »Bismarckknltus« ist nicht im Steigen, sondern im Rückgange, die Kreise selber, die als seine Träger gelten wollen, diskreditieren ihn. . . . Was ist bellte aus der hehren nationalen Idee in der »Bismarckpresse«, den »Hamburger Nachrichten«, »Berliner« und »Leipziger Neuesten Nachrichten« geworden? Angewidert wendet man sich ab und fragt: Hat dieses Geschlecht wirklich ein Recht, sich ans den großen Namen Bismarck zu be¬ rufen?" Dieses Urteil ist scharf, auch im Ausdruck, aber reichlich verdient. Auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/620>, abgerufen am 30.04.2024.