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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Basische Kirchenpolitik

le badische Zweite Kammer hat sich am 26. und 28. April, die
Erste Kammer am 6. Mai mit zwei kirchenpolitischen Anträgen
des Zentrums beschäftigt. Beide Anträge sind nicht neu. Der
eine will die diskretiouäre Gewalt des Staates beseitigen, klöster¬
liche Niederlassungen entweder zuzulassen oder nicht zuzulassen,
wie sie durch 8 n des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 ausgesprochen wird;
ein Antrag, der in der Kammersitzung vom 26. April von konservativer Seite
(dem konservativen Abgeordneten von Stockhorner) gestellt wurde und den Sinn,
der vielfach mit dem ersten Antrage verbunden wurde, wiedergab, ging dahin,
der Negierung die Anwendung des Zulassungsrechts, das im übrigen in seinem
Bestände nicht angetastet werden sollte, nahezulegen. Diese Anträge wurden
beide in der Zweiten Kammer angenommen, der erste mit 32 gegen 25,
der letzte mit 34 gegen 24 Stimmen.

Der zweite Zentrumsantrag bezieht sich auf die Vorbildung der Geistlichen.
Nicht nur zur Erwerbung eines Kirchenamts, sondern auch schon zur Aus¬
übung kirchlicher Funktionen ist nach dem Gesetz vom 5. März 1880 ein drei¬
jähriges theologisches Studium auf inländischen Hochschulen Vorbedingung. Die
Regierung kann für drei von diesen sechs Semestern Dispens erteilen; das
Dispensrecht erstreckt sich jedoch nicht auf die Jesuitenanstalten in Innsbruck
und Rom. Das Zentrum will nicht nur diese letzte Einschränkung beseitigen,
sondern überhaupt für drei Semester die Wahl der Studienanstalt in die freie
Verfügung des Studierenden stellen. Von der nach solcher Beschneidung
des Gesetzes noch übrig bleibenden Verpflichtung, drei Semester laug deutsche
Hochschulen zu besuchen, sollen die Geistlichen, die kirchliche Funktionen aus¬
üben, ohne ein Kirchenamt zu bekleiden, befreit werden. Dadurch würde er¬
möglicht werden, daß ausländische Geistliche unbesetzte Kirchenämter in Ver-


Grenzboten II 1899 78


Basische Kirchenpolitik

le badische Zweite Kammer hat sich am 26. und 28. April, die
Erste Kammer am 6. Mai mit zwei kirchenpolitischen Anträgen
des Zentrums beschäftigt. Beide Anträge sind nicht neu. Der
eine will die diskretiouäre Gewalt des Staates beseitigen, klöster¬
liche Niederlassungen entweder zuzulassen oder nicht zuzulassen,
wie sie durch 8 n des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 ausgesprochen wird;
ein Antrag, der in der Kammersitzung vom 26. April von konservativer Seite
(dem konservativen Abgeordneten von Stockhorner) gestellt wurde und den Sinn,
der vielfach mit dem ersten Antrage verbunden wurde, wiedergab, ging dahin,
der Negierung die Anwendung des Zulassungsrechts, das im übrigen in seinem
Bestände nicht angetastet werden sollte, nahezulegen. Diese Anträge wurden
beide in der Zweiten Kammer angenommen, der erste mit 32 gegen 25,
der letzte mit 34 gegen 24 Stimmen.

Der zweite Zentrumsantrag bezieht sich auf die Vorbildung der Geistlichen.
Nicht nur zur Erwerbung eines Kirchenamts, sondern auch schon zur Aus¬
übung kirchlicher Funktionen ist nach dem Gesetz vom 5. März 1880 ein drei¬
jähriges theologisches Studium auf inländischen Hochschulen Vorbedingung. Die
Regierung kann für drei von diesen sechs Semestern Dispens erteilen; das
Dispensrecht erstreckt sich jedoch nicht auf die Jesuitenanstalten in Innsbruck
und Rom. Das Zentrum will nicht nur diese letzte Einschränkung beseitigen,
sondern überhaupt für drei Semester die Wahl der Studienanstalt in die freie
Verfügung des Studierenden stellen. Von der nach solcher Beschneidung
des Gesetzes noch übrig bleibenden Verpflichtung, drei Semester laug deutsche
Hochschulen zu besuchen, sollen die Geistlichen, die kirchliche Funktionen aus¬
üben, ohne ein Kirchenamt zu bekleiden, befreit werden. Dadurch würde er¬
möglicht werden, daß ausländische Geistliche unbesetzte Kirchenämter in Ver-


Grenzboten II 1899 78
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[0625] [Abbildung] Basische Kirchenpolitik le badische Zweite Kammer hat sich am 26. und 28. April, die Erste Kammer am 6. Mai mit zwei kirchenpolitischen Anträgen des Zentrums beschäftigt. Beide Anträge sind nicht neu. Der eine will die diskretiouäre Gewalt des Staates beseitigen, klöster¬ liche Niederlassungen entweder zuzulassen oder nicht zuzulassen, wie sie durch 8 n des Gesetzes vom 9. Oktober 1860 ausgesprochen wird; ein Antrag, der in der Kammersitzung vom 26. April von konservativer Seite (dem konservativen Abgeordneten von Stockhorner) gestellt wurde und den Sinn, der vielfach mit dem ersten Antrage verbunden wurde, wiedergab, ging dahin, der Negierung die Anwendung des Zulassungsrechts, das im übrigen in seinem Bestände nicht angetastet werden sollte, nahezulegen. Diese Anträge wurden beide in der Zweiten Kammer angenommen, der erste mit 32 gegen 25, der letzte mit 34 gegen 24 Stimmen. Der zweite Zentrumsantrag bezieht sich auf die Vorbildung der Geistlichen. Nicht nur zur Erwerbung eines Kirchenamts, sondern auch schon zur Aus¬ übung kirchlicher Funktionen ist nach dem Gesetz vom 5. März 1880 ein drei¬ jähriges theologisches Studium auf inländischen Hochschulen Vorbedingung. Die Regierung kann für drei von diesen sechs Semestern Dispens erteilen; das Dispensrecht erstreckt sich jedoch nicht auf die Jesuitenanstalten in Innsbruck und Rom. Das Zentrum will nicht nur diese letzte Einschränkung beseitigen, sondern überhaupt für drei Semester die Wahl der Studienanstalt in die freie Verfügung des Studierenden stellen. Von der nach solcher Beschneidung des Gesetzes noch übrig bleibenden Verpflichtung, drei Semester laug deutsche Hochschulen zu besuchen, sollen die Geistlichen, die kirchliche Funktionen aus¬ üben, ohne ein Kirchenamt zu bekleiden, befreit werden. Dadurch würde er¬ möglicht werden, daß ausländische Geistliche unbesetzte Kirchenämter in Ver- Grenzboten II 1899 78

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/625>, abgerufen am 30.04.2024.