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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

gestellt, "in demnächst die Welt mit der Gründung von einem Dutzend Waisen¬
häusern (so viel kann eine Millionenstadt schon brauchen) aus eignen Mitteln (sie
Habens ja dazu) zu überraschen, in denen die armen Würmer mit Wildbraten und
Kapaunen gefüttert werden sollen.


Jugenderinnerungen eines alten Arztes

von Adolf Kußmaul,
Stuttgart, Bonz und Komp. -- Nachdem wir kürzlich in Billroths Briefen ein so
anziehendes Memoirenwerk eines berühmten Mediziners erhalten haben, wird uns
jetzt durch Kußmauls Selbstbiographie ein nicht weniger interessantes Buch zu
teil. Billroths Briefe stammen aus der Zeit seiner Höhe und handeln von den
Gegenstände" seines wissenschaftlichen Berufs, aber auch von Litteratur und Musik
und Fragen des gesellschaftlichen Lebens. Knßmauls Erzählung reicht bis dahin,
wo es dem vielbeschäftigten und schon verheirateten badischen Landarzte möglich
wurde, sich in Heidelberg zu habilitieren, und nur gelegentlich erhalten wir einen
Hinblick ans die spätere Laufbahn des hervorragenden Klinikers. Der Ton der Mit¬
teilung ist schlicht und für die Person des Erzählende" einnehmend. Die Dar¬
stellung verläßt das Gebiet der Idylle und beginnt sachlich unterrichtend zu werde"
mit dem Eintreffen des Studenten auf der Heidelberger Universität. Der Zustand
der medizinische" Fakultät i" deu vierziger Jahren, das damalige Heidelberg mit
einzelnen ältern und jüngern Berühmtheiten, das äußere Studentenleben u"d die
Vorboten des Jahres 1843 werden geschildert; aus dem flotte" Korpsstudenten
wird uoch gegen Ende seines Studiunis ein Burschenschafter. Da"" geht er zur
Fortsetzung der Studien "ach Wie" und Prag, wo klinische El"rieben"gen und be¬
deutende medizinische Persönlichkeiten, dort namentlich Rolitansky und Skoda, hier
Oppolzer und Arie so beschrieben werden, daß es auch Laien verständlich wird,
was die deutschen Mediziner damals "ach Österreich zog. Überhaupt wird für
sehr viele Leser ein Hauptreiz in der klaren und allgemein faßlichen Behandlung
ärztlicher Frage" liegen. Ehe der Erzähler sich in Kandern als Arzt niederläßt,
wird er noch badischer Militärarzt, geht zweimal nach Schleswig-Holstein und
übernimmt dann den Dienst bei deu Gefangnen nach der Übergabe von Rastatt.
Auf Einzelheiten diefes schon sehr reichen Jugendlebens können wir nicht eingehe".
Wie jemand ohne Verbindungen aus eigner Kraft etwas geworden ist, wird mancher
Leser vielleicht zu seiner eignen Ermunterung aus diesem wahrhaftig und einfach
geschriebnen Buche sehen, und jedem wird daraus eiuer der Auserwählten ein
Charakter und Geist entgegentreten, den er menschlich lieb gewinne" muß.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
Maßgebliches und Unmaßgebliches

gestellt, «in demnächst die Welt mit der Gründung von einem Dutzend Waisen¬
häusern (so viel kann eine Millionenstadt schon brauchen) aus eignen Mitteln (sie
Habens ja dazu) zu überraschen, in denen die armen Würmer mit Wildbraten und
Kapaunen gefüttert werden sollen.


Jugenderinnerungen eines alten Arztes

von Adolf Kußmaul,
Stuttgart, Bonz und Komp. — Nachdem wir kürzlich in Billroths Briefen ein so
anziehendes Memoirenwerk eines berühmten Mediziners erhalten haben, wird uns
jetzt durch Kußmauls Selbstbiographie ein nicht weniger interessantes Buch zu
teil. Billroths Briefe stammen aus der Zeit seiner Höhe und handeln von den
Gegenstände» seines wissenschaftlichen Berufs, aber auch von Litteratur und Musik
und Fragen des gesellschaftlichen Lebens. Knßmauls Erzählung reicht bis dahin,
wo es dem vielbeschäftigten und schon verheirateten badischen Landarzte möglich
wurde, sich in Heidelberg zu habilitieren, und nur gelegentlich erhalten wir einen
Hinblick ans die spätere Laufbahn des hervorragenden Klinikers. Der Ton der Mit¬
teilung ist schlicht und für die Person des Erzählende» einnehmend. Die Dar¬
stellung verläßt das Gebiet der Idylle und beginnt sachlich unterrichtend zu werde»
mit dem Eintreffen des Studenten auf der Heidelberger Universität. Der Zustand
der medizinische» Fakultät i» deu vierziger Jahren, das damalige Heidelberg mit
einzelnen ältern und jüngern Berühmtheiten, das äußere Studentenleben u»d die
Vorboten des Jahres 1843 werden geschildert; aus dem flotte» Korpsstudenten
wird uoch gegen Ende seines Studiunis ein Burschenschafter. Da»» geht er zur
Fortsetzung der Studien »ach Wie» und Prag, wo klinische El»rieben»gen und be¬
deutende medizinische Persönlichkeiten, dort namentlich Rolitansky und Skoda, hier
Oppolzer und Arie so beschrieben werden, daß es auch Laien verständlich wird,
was die deutschen Mediziner damals »ach Österreich zog. Überhaupt wird für
sehr viele Leser ein Hauptreiz in der klaren und allgemein faßlichen Behandlung
ärztlicher Frage» liegen. Ehe der Erzähler sich in Kandern als Arzt niederläßt,
wird er noch badischer Militärarzt, geht zweimal nach Schleswig-Holstein und
übernimmt dann den Dienst bei deu Gefangnen nach der Übergabe von Rastatt.
Auf Einzelheiten diefes schon sehr reichen Jugendlebens können wir nicht eingehe«.
Wie jemand ohne Verbindungen aus eigner Kraft etwas geworden ist, wird mancher
Leser vielleicht zu seiner eignen Ermunterung aus diesem wahrhaftig und einfach
geschriebnen Buche sehen, und jedem wird daraus eiuer der Auserwählten ein
Charakter und Geist entgegentreten, den er menschlich lieb gewinne» muß.






Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0064] Maßgebliches und Unmaßgebliches gestellt, «in demnächst die Welt mit der Gründung von einem Dutzend Waisen¬ häusern (so viel kann eine Millionenstadt schon brauchen) aus eignen Mitteln (sie Habens ja dazu) zu überraschen, in denen die armen Würmer mit Wildbraten und Kapaunen gefüttert werden sollen. Jugenderinnerungen eines alten Arztes von Adolf Kußmaul, Stuttgart, Bonz und Komp. — Nachdem wir kürzlich in Billroths Briefen ein so anziehendes Memoirenwerk eines berühmten Mediziners erhalten haben, wird uns jetzt durch Kußmauls Selbstbiographie ein nicht weniger interessantes Buch zu teil. Billroths Briefe stammen aus der Zeit seiner Höhe und handeln von den Gegenstände» seines wissenschaftlichen Berufs, aber auch von Litteratur und Musik und Fragen des gesellschaftlichen Lebens. Knßmauls Erzählung reicht bis dahin, wo es dem vielbeschäftigten und schon verheirateten badischen Landarzte möglich wurde, sich in Heidelberg zu habilitieren, und nur gelegentlich erhalten wir einen Hinblick ans die spätere Laufbahn des hervorragenden Klinikers. Der Ton der Mit¬ teilung ist schlicht und für die Person des Erzählende» einnehmend. Die Dar¬ stellung verläßt das Gebiet der Idylle und beginnt sachlich unterrichtend zu werde» mit dem Eintreffen des Studenten auf der Heidelberger Universität. Der Zustand der medizinische» Fakultät i» deu vierziger Jahren, das damalige Heidelberg mit einzelnen ältern und jüngern Berühmtheiten, das äußere Studentenleben u»d die Vorboten des Jahres 1843 werden geschildert; aus dem flotte» Korpsstudenten wird uoch gegen Ende seines Studiunis ein Burschenschafter. Da»» geht er zur Fortsetzung der Studien »ach Wie» und Prag, wo klinische El»rieben»gen und be¬ deutende medizinische Persönlichkeiten, dort namentlich Rolitansky und Skoda, hier Oppolzer und Arie so beschrieben werden, daß es auch Laien verständlich wird, was die deutschen Mediziner damals »ach Österreich zog. Überhaupt wird für sehr viele Leser ein Hauptreiz in der klaren und allgemein faßlichen Behandlung ärztlicher Frage» liegen. Ehe der Erzähler sich in Kandern als Arzt niederläßt, wird er noch badischer Militärarzt, geht zweimal nach Schleswig-Holstein und übernimmt dann den Dienst bei deu Gefangnen nach der Übergabe von Rastatt. Auf Einzelheiten diefes schon sehr reichen Jugendlebens können wir nicht eingehe«. Wie jemand ohne Verbindungen aus eigner Kraft etwas geworden ist, wird mancher Leser vielleicht zu seiner eignen Ermunterung aus diesem wahrhaftig und einfach geschriebnen Buche sehen, und jedem wird daraus eiuer der Auserwählten ein Charakter und Geist entgegentreten, den er menschlich lieb gewinne» muß. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/64>, abgerufen am 30.04.2024.