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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Dekorative Kunst

Entscheidung zu benutzen. Verwegen war das Spiel, das Bismarck spielte,
aber er nahm die ungeheure Verantwortung allein auf sich um des Vater¬
landes willen, um Deutschland die drohende Gefahr eines Koalitionskrieges auf
drei Fronten zu ersparen. Es war eine ebenso kühne und geniale, wie patriotische
That. Nicht ihn trifft die Schuld, daß der Krieg entbrannte, sondern aus¬
schließlich die französische Politik, denn der wirkliche Grund zum Kriege lag
weder in der spanischen Königswahl, noch in der Abweisung Benedettis, sondern
allein in der unerträglichen Anmaßung der Franzosen, die deutsche Einheit ver¬
hindern zu wollen.




Dekorative Kunst

an wird sich ans den recht verschlungnen Wegen der modernen
Malerei vielleicht am ehesten zurecht finden, wenn man sich die
ganze Bewegung zunächst als einen Kampf gegen die Herrschaft
des Tafelbildes denkt, des Bildes mit einem bestimmten, das
Interesse weckenden Inhalt, mit einer auf beabsichtigten Linien
beruhenden Komposition, einer gewissen, ebenfalls beabsichtigten Farbenwirkung
und einem Verhältnis zur Natur, das sich bei näherer Prüfung die ver¬
schiedensten Einwendungen gefallen lassen muß. Das starke und unbedingte
Naturalisieren, mit dem die neue Richtung in den siebziger Jahren bei uns
in Deutschland einsetzte, hat längst nicht mehr die Vorhut, es hat seine guten
und nötigen Dienste gethan und übrigens etwa noch zurückgelassen die ver¬
hältnismäßige Wertschätzung der Studie und Skizze gegenüber dem fertig ge¬
machten Bilde. Damit und mit dem Satze, daß keine Gattung vor der andern
den Vorzug hat und es nur auf das jedesmalige Wie ankomme, hängt weiter
die Vorliebe der Neuern für alle Arten von Zeichnung und ihre Vervielfälti¬
gung durch Radierung, Schnitt oder Lithographie zusammen, und ohne Frage
sind hier ganz neue und wirksame Mittel des künstlerischen Ausdrucks gefunden
worden. Das Skizzenhafte und die Wirkung mit nur angedeuteten großen
Eindrücken in Linien und Farben führte dann zu einem neuen weiten Gebiete
und der eigentlichen Moderichtung unsrer Zeit, der vielgenannten "dekorativen"
Malerei. Während aber früher die dekorierende Kunst mit den aus der Archi¬
tektur genommnen Formen bestimmter historischer Stile arbeitete, wirkte nun
die an der Spitze marschierende Malerei, statt mit geschlossenen Bildern, mit
weit ausstrahlenden Impressionen, frei von den historischen Stilen und Orna¬
menten und von dem Rahmen einer früher für unerläßlich gehaltnen Kompo-


Dekorative Kunst

Entscheidung zu benutzen. Verwegen war das Spiel, das Bismarck spielte,
aber er nahm die ungeheure Verantwortung allein auf sich um des Vater¬
landes willen, um Deutschland die drohende Gefahr eines Koalitionskrieges auf
drei Fronten zu ersparen. Es war eine ebenso kühne und geniale, wie patriotische
That. Nicht ihn trifft die Schuld, daß der Krieg entbrannte, sondern aus¬
schließlich die französische Politik, denn der wirkliche Grund zum Kriege lag
weder in der spanischen Königswahl, noch in der Abweisung Benedettis, sondern
allein in der unerträglichen Anmaßung der Franzosen, die deutsche Einheit ver¬
hindern zu wollen.




Dekorative Kunst

an wird sich ans den recht verschlungnen Wegen der modernen
Malerei vielleicht am ehesten zurecht finden, wenn man sich die
ganze Bewegung zunächst als einen Kampf gegen die Herrschaft
des Tafelbildes denkt, des Bildes mit einem bestimmten, das
Interesse weckenden Inhalt, mit einer auf beabsichtigten Linien
beruhenden Komposition, einer gewissen, ebenfalls beabsichtigten Farbenwirkung
und einem Verhältnis zur Natur, das sich bei näherer Prüfung die ver¬
schiedensten Einwendungen gefallen lassen muß. Das starke und unbedingte
Naturalisieren, mit dem die neue Richtung in den siebziger Jahren bei uns
in Deutschland einsetzte, hat längst nicht mehr die Vorhut, es hat seine guten
und nötigen Dienste gethan und übrigens etwa noch zurückgelassen die ver¬
hältnismäßige Wertschätzung der Studie und Skizze gegenüber dem fertig ge¬
machten Bilde. Damit und mit dem Satze, daß keine Gattung vor der andern
den Vorzug hat und es nur auf das jedesmalige Wie ankomme, hängt weiter
die Vorliebe der Neuern für alle Arten von Zeichnung und ihre Vervielfälti¬
gung durch Radierung, Schnitt oder Lithographie zusammen, und ohne Frage
sind hier ganz neue und wirksame Mittel des künstlerischen Ausdrucks gefunden
worden. Das Skizzenhafte und die Wirkung mit nur angedeuteten großen
Eindrücken in Linien und Farben führte dann zu einem neuen weiten Gebiete
und der eigentlichen Moderichtung unsrer Zeit, der vielgenannten „dekorativen"
Malerei. Während aber früher die dekorierende Kunst mit den aus der Archi¬
tektur genommnen Formen bestimmter historischer Stile arbeitete, wirkte nun
die an der Spitze marschierende Malerei, statt mit geschlossenen Bildern, mit
weit ausstrahlenden Impressionen, frei von den historischen Stilen und Orna¬
menten und von dem Rahmen einer früher für unerläßlich gehaltnen Kompo-


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[0644] Dekorative Kunst Entscheidung zu benutzen. Verwegen war das Spiel, das Bismarck spielte, aber er nahm die ungeheure Verantwortung allein auf sich um des Vater¬ landes willen, um Deutschland die drohende Gefahr eines Koalitionskrieges auf drei Fronten zu ersparen. Es war eine ebenso kühne und geniale, wie patriotische That. Nicht ihn trifft die Schuld, daß der Krieg entbrannte, sondern aus¬ schließlich die französische Politik, denn der wirkliche Grund zum Kriege lag weder in der spanischen Königswahl, noch in der Abweisung Benedettis, sondern allein in der unerträglichen Anmaßung der Franzosen, die deutsche Einheit ver¬ hindern zu wollen. Dekorative Kunst an wird sich ans den recht verschlungnen Wegen der modernen Malerei vielleicht am ehesten zurecht finden, wenn man sich die ganze Bewegung zunächst als einen Kampf gegen die Herrschaft des Tafelbildes denkt, des Bildes mit einem bestimmten, das Interesse weckenden Inhalt, mit einer auf beabsichtigten Linien beruhenden Komposition, einer gewissen, ebenfalls beabsichtigten Farbenwirkung und einem Verhältnis zur Natur, das sich bei näherer Prüfung die ver¬ schiedensten Einwendungen gefallen lassen muß. Das starke und unbedingte Naturalisieren, mit dem die neue Richtung in den siebziger Jahren bei uns in Deutschland einsetzte, hat längst nicht mehr die Vorhut, es hat seine guten und nötigen Dienste gethan und übrigens etwa noch zurückgelassen die ver¬ hältnismäßige Wertschätzung der Studie und Skizze gegenüber dem fertig ge¬ machten Bilde. Damit und mit dem Satze, daß keine Gattung vor der andern den Vorzug hat und es nur auf das jedesmalige Wie ankomme, hängt weiter die Vorliebe der Neuern für alle Arten von Zeichnung und ihre Vervielfälti¬ gung durch Radierung, Schnitt oder Lithographie zusammen, und ohne Frage sind hier ganz neue und wirksame Mittel des künstlerischen Ausdrucks gefunden worden. Das Skizzenhafte und die Wirkung mit nur angedeuteten großen Eindrücken in Linien und Farben führte dann zu einem neuen weiten Gebiete und der eigentlichen Moderichtung unsrer Zeit, der vielgenannten „dekorativen" Malerei. Während aber früher die dekorierende Kunst mit den aus der Archi¬ tektur genommnen Formen bestimmter historischer Stile arbeitete, wirkte nun die an der Spitze marschierende Malerei, statt mit geschlossenen Bildern, mit weit ausstrahlenden Impressionen, frei von den historischen Stilen und Orna¬ menten und von dem Rahmen einer früher für unerläßlich gehaltnen Kompo-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/644>, abgerufen am 30.04.2024.