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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Hein lvieck

blassen, der alte Geselle selbst schaut neidisch nach Osten hinüber. Da beginnt
mit einemmale die höchste Bergeskuppe der Herzegowina zu glänzen. Der
Schatten ist ganz undeutlich. Jetzt ein andrer Schatten, weit länger, gespen¬
stischer, nach der österreichischen Grenze vor uns herüberfallcnd, es ist die
Sonne: 1^6 roi est mort,, vivs 1s roi!

Wir ritten zu einem auf einem Hügel gelegnen Wachthaus hinauf und
zeigten unsre Pässe:

Sie sprechen doch Deutsch?

Ein wenick! Wie Musik erklang die gebrochne Antwort des Polen.

Wo ist der wachthabende Offizier?

Wir sind nur ein vorgeschobner Posten von drei Mann. Sie müssen
eine Stunde weiter zur Gendarmeriekaserne reiten!

In liebenswürdigster Weise nahm man uns in der Kaserne auf, und bei
frisch gemachtem Kaffee mit "Obers" kamen wir bald mit dem Kommandanten
ins Gespräch. Er beklagte sich bitter über die Einsamkeit eines Postens, wie
der an den Dugapässen, durch die alle zwei Monate ein Mensch käme: den
Montenegrinern, die die Grenze oft durch Viehschmuggel und Holzdiebstahl
beunruhigten, sei jeder Übertritt ohne einen mit dem Visum des österreichischen
Gesandten in Cetinje versehenen Paß verboten, doch erlaubte er uns gern,
unsre Führer bis zur nächsten Stadt mitzunehmen, unter der Bedingung, daß
sie ihre Waffen bei ihm ließen. Er begleitete uns noch ein Stückchen über
das erstarrte Felsenmeer, das sich von der Grenze bis Gatzko, ohne von einem
Wege durchbahnt zu sein, ausdehnt:

Nun adieu, meine Herren! Und grüßen Sie mir die Zivilisation!

Adieu, Herr Oberleutnant! Adieu, Tschernagora!


G. x.


Hein lvieck Timm Rröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
(Fortsetzung)
12

"ir finden den künftigen Zimmermann bei Ncimlosbeck auf dem Stamm
der krummen Eiche.

Der Abschied war überstanden -- der Abschied vom Ellernbusch
und vom Holm, von den vernünftigen und den unvernünftigen Ge¬
schöpfen, von den Weibern, die er geküßt hatte, und von Tine
Grete und Trute Lene, die er nicht geküßt hatte. Im Ellern¬
busch, wo Schlachtfest gewesen war, war das rote Tuch mit einer Grütz-


Grenzboten II 1399 83
Hein lvieck

blassen, der alte Geselle selbst schaut neidisch nach Osten hinüber. Da beginnt
mit einemmale die höchste Bergeskuppe der Herzegowina zu glänzen. Der
Schatten ist ganz undeutlich. Jetzt ein andrer Schatten, weit länger, gespen¬
stischer, nach der österreichischen Grenze vor uns herüberfallcnd, es ist die
Sonne: 1^6 roi est mort,, vivs 1s roi!

Wir ritten zu einem auf einem Hügel gelegnen Wachthaus hinauf und
zeigten unsre Pässe:

Sie sprechen doch Deutsch?

Ein wenick! Wie Musik erklang die gebrochne Antwort des Polen.

Wo ist der wachthabende Offizier?

Wir sind nur ein vorgeschobner Posten von drei Mann. Sie müssen
eine Stunde weiter zur Gendarmeriekaserne reiten!

In liebenswürdigster Weise nahm man uns in der Kaserne auf, und bei
frisch gemachtem Kaffee mit „Obers" kamen wir bald mit dem Kommandanten
ins Gespräch. Er beklagte sich bitter über die Einsamkeit eines Postens, wie
der an den Dugapässen, durch die alle zwei Monate ein Mensch käme: den
Montenegrinern, die die Grenze oft durch Viehschmuggel und Holzdiebstahl
beunruhigten, sei jeder Übertritt ohne einen mit dem Visum des österreichischen
Gesandten in Cetinje versehenen Paß verboten, doch erlaubte er uns gern,
unsre Führer bis zur nächsten Stadt mitzunehmen, unter der Bedingung, daß
sie ihre Waffen bei ihm ließen. Er begleitete uns noch ein Stückchen über
das erstarrte Felsenmeer, das sich von der Grenze bis Gatzko, ohne von einem
Wege durchbahnt zu sein, ausdehnt:

Nun adieu, meine Herren! Und grüßen Sie mir die Zivilisation!

Adieu, Herr Oberleutnant! Adieu, Tschernagora!


G. x.


Hein lvieck Timm Rröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
(Fortsetzung)
12

»ir finden den künftigen Zimmermann bei Ncimlosbeck auf dem Stamm
der krummen Eiche.

Der Abschied war überstanden — der Abschied vom Ellernbusch
und vom Holm, von den vernünftigen und den unvernünftigen Ge¬
schöpfen, von den Weibern, die er geküßt hatte, und von Tine
Grete und Trute Lene, die er nicht geküßt hatte. Im Ellern¬
busch, wo Schlachtfest gewesen war, war das rote Tuch mit einer Grütz-


Grenzboten II 1399 83
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[0665] Hein lvieck blassen, der alte Geselle selbst schaut neidisch nach Osten hinüber. Da beginnt mit einemmale die höchste Bergeskuppe der Herzegowina zu glänzen. Der Schatten ist ganz undeutlich. Jetzt ein andrer Schatten, weit länger, gespen¬ stischer, nach der österreichischen Grenze vor uns herüberfallcnd, es ist die Sonne: 1^6 roi est mort,, vivs 1s roi! Wir ritten zu einem auf einem Hügel gelegnen Wachthaus hinauf und zeigten unsre Pässe: Sie sprechen doch Deutsch? Ein wenick! Wie Musik erklang die gebrochne Antwort des Polen. Wo ist der wachthabende Offizier? Wir sind nur ein vorgeschobner Posten von drei Mann. Sie müssen eine Stunde weiter zur Gendarmeriekaserne reiten! In liebenswürdigster Weise nahm man uns in der Kaserne auf, und bei frisch gemachtem Kaffee mit „Obers" kamen wir bald mit dem Kommandanten ins Gespräch. Er beklagte sich bitter über die Einsamkeit eines Postens, wie der an den Dugapässen, durch die alle zwei Monate ein Mensch käme: den Montenegrinern, die die Grenze oft durch Viehschmuggel und Holzdiebstahl beunruhigten, sei jeder Übertritt ohne einen mit dem Visum des österreichischen Gesandten in Cetinje versehenen Paß verboten, doch erlaubte er uns gern, unsre Führer bis zur nächsten Stadt mitzunehmen, unter der Bedingung, daß sie ihre Waffen bei ihm ließen. Er begleitete uns noch ein Stückchen über das erstarrte Felsenmeer, das sich von der Grenze bis Gatzko, ohne von einem Wege durchbahnt zu sein, ausdehnt: Nun adieu, meine Herren! Und grüßen Sie mir die Zivilisation! Adieu, Herr Oberleutnant! Adieu, Tschernagora! G. x. Hein lvieck Timm Rröger Line Stall- und Scheunengeschichte von (Fortsetzung) 12 »ir finden den künftigen Zimmermann bei Ncimlosbeck auf dem Stamm der krummen Eiche. Der Abschied war überstanden — der Abschied vom Ellernbusch und vom Holm, von den vernünftigen und den unvernünftigen Ge¬ schöpfen, von den Weibern, die er geküßt hatte, und von Tine Grete und Trute Lene, die er nicht geküßt hatte. Im Ellern¬ busch, wo Schlachtfest gewesen war, war das rote Tuch mit einer Grütz- Grenzboten II 1399 83

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/665>, abgerufen am 30.04.2024.