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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

träumerischen Wesen und mit den scheinbaren Gegensätzen dazu, den tollen Hans-
bunkenstreichen war er ihnen immer ein Rätsel gewesen, aber die Lösung befriedigte
alle. Der wird seinen Weg machen, hieß es. -- Und wie fein und hübsch er
aussieht. Der kann überall als Freier anklopfen.

Zwischen dem Sohne vom Ellernbusch und dem Holm gestalteten sich freund¬
schaftliche und herzliche Beziehungen; da konnte es nicht fehlen, daß man von
einer Verlobung mit der Rieke munkelte -- ein Gerücht, das um so mehr Glaube"
fand, als Rieke vom Hause kam, um im städtischen Haushalt "Unterschied und
kochen zu lernen." Bei ihrer natürlichen Anmut hatte sie es den Stadtfrauen bald
abgesehen, wie man sich hat, und wie man sich giebt, und war doch die alte,
liebe Rieke Kühl geblieben.

Wenn die alte Lisch, wenn meine Wenigkeit, wenn der alte Brotträger, der
früher die Post besorgte, wenn der schmucke Landbriefträger, der jetzt die Dienste
des Merkurs leistete, wenn wir alle samt und sonders nicht in Verschwiegenheit so
überaus verhärtete Gesellen gewesen wären, so würde man wohl noch weniger
daran gezweifelt haben.

Allerdings hat man als rückwärts gewandter Seher gut prophezeien. Ich
selbst hätte außer dem schon von mir Mitgeteilten wenig zur Unterstützung des
Gerüchts beitragen können. Hein und ich hatten uns viele Jahre lang verloren,
und, während ich gleich nach dein Einzug des jungen Zimmermanns in eine Gym¬
nasialstadt kam, fand Hein andre Gefäße für seine Herzensergießungen. So hörte
auch der Briefwechsel bald auf, und das nächste Dutzend Jahre brachte uns
vollends aus einander. Hein blieb zwar ein hervorstechender Teil meiner Erinne¬
rung, aber er figurierte doch nur als solche, und lediglich als Inventarstück
meiner liebsten Gedanken nahm ich ihn mit, als mich Geschick und Justizverwaltung
nach dem Osten unsers Vaterlands verschlugen.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zielbewußt.

Die Dreyfnsards am Ziele! Wer hätte das vorm Jahre für
möglich gehalten! Und doch geht alles dabei ganz mit natürlichen Dingen zu.
Man darf sich mir überlegen, daß zur Zielbewußtheit, die diesen Namen verdient,
nicht bloß ein Ziel gehört, sondern ein erreichbares Ziel, die Kenntnis der er¬
forderlichen Mittel und der Besitz dieser Mittel. Über diese drei Dinge haben nun
die Revisionisten verfügt. Die Revision eines Prozesses zu erzwingen, wenn sie
nicht allein die Autorität hoher Gerichtshöfe, sondern sogar die der Armeeleitung
und das Interesse mächtiger Parteien gefährdet, mag ein schwer erreichbares Ziel
sein, ein unerreichbares ist es nicht; weiß man, daß bei der Verurteilung grobe
Verstöße gegen die Prozeßordnung begangen worden sind, so braucht man bloß die
Beweismittel herbeizuschaffen, und hierfür haben im vorliegenden Falle die inter¬
national organisierten Glaubensgenossen des verurteilten Kapitäns das Geld und
die "Intellektuellen," die eine klerikale Reaktion fürchten, die Intelligenz geliefert.


Maßgebliches und Unmaßgebliches

träumerischen Wesen und mit den scheinbaren Gegensätzen dazu, den tollen Hans-
bunkenstreichen war er ihnen immer ein Rätsel gewesen, aber die Lösung befriedigte
alle. Der wird seinen Weg machen, hieß es. — Und wie fein und hübsch er
aussieht. Der kann überall als Freier anklopfen.

Zwischen dem Sohne vom Ellernbusch und dem Holm gestalteten sich freund¬
schaftliche und herzliche Beziehungen; da konnte es nicht fehlen, daß man von
einer Verlobung mit der Rieke munkelte — ein Gerücht, das um so mehr Glaube»
fand, als Rieke vom Hause kam, um im städtischen Haushalt „Unterschied und
kochen zu lernen." Bei ihrer natürlichen Anmut hatte sie es den Stadtfrauen bald
abgesehen, wie man sich hat, und wie man sich giebt, und war doch die alte,
liebe Rieke Kühl geblieben.

Wenn die alte Lisch, wenn meine Wenigkeit, wenn der alte Brotträger, der
früher die Post besorgte, wenn der schmucke Landbriefträger, der jetzt die Dienste
des Merkurs leistete, wenn wir alle samt und sonders nicht in Verschwiegenheit so
überaus verhärtete Gesellen gewesen wären, so würde man wohl noch weniger
daran gezweifelt haben.

Allerdings hat man als rückwärts gewandter Seher gut prophezeien. Ich
selbst hätte außer dem schon von mir Mitgeteilten wenig zur Unterstützung des
Gerüchts beitragen können. Hein und ich hatten uns viele Jahre lang verloren,
und, während ich gleich nach dein Einzug des jungen Zimmermanns in eine Gym¬
nasialstadt kam, fand Hein andre Gefäße für seine Herzensergießungen. So hörte
auch der Briefwechsel bald auf, und das nächste Dutzend Jahre brachte uns
vollends aus einander. Hein blieb zwar ein hervorstechender Teil meiner Erinne¬
rung, aber er figurierte doch nur als solche, und lediglich als Inventarstück
meiner liebsten Gedanken nahm ich ihn mit, als mich Geschick und Justizverwaltung
nach dem Osten unsers Vaterlands verschlugen.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zielbewußt.

Die Dreyfnsards am Ziele! Wer hätte das vorm Jahre für
möglich gehalten! Und doch geht alles dabei ganz mit natürlichen Dingen zu.
Man darf sich mir überlegen, daß zur Zielbewußtheit, die diesen Namen verdient,
nicht bloß ein Ziel gehört, sondern ein erreichbares Ziel, die Kenntnis der er¬
forderlichen Mittel und der Besitz dieser Mittel. Über diese drei Dinge haben nun
die Revisionisten verfügt. Die Revision eines Prozesses zu erzwingen, wenn sie
nicht allein die Autorität hoher Gerichtshöfe, sondern sogar die der Armeeleitung
und das Interesse mächtiger Parteien gefährdet, mag ein schwer erreichbares Ziel
sein, ein unerreichbares ist es nicht; weiß man, daß bei der Verurteilung grobe
Verstöße gegen die Prozeßordnung begangen worden sind, so braucht man bloß die
Beweismittel herbeizuschaffen, und hierfür haben im vorliegenden Falle die inter¬
national organisierten Glaubensgenossen des verurteilten Kapitäns das Geld und
die „Intellektuellen," die eine klerikale Reaktion fürchten, die Intelligenz geliefert.


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[0671] Maßgebliches und Unmaßgebliches träumerischen Wesen und mit den scheinbaren Gegensätzen dazu, den tollen Hans- bunkenstreichen war er ihnen immer ein Rätsel gewesen, aber die Lösung befriedigte alle. Der wird seinen Weg machen, hieß es. — Und wie fein und hübsch er aussieht. Der kann überall als Freier anklopfen. Zwischen dem Sohne vom Ellernbusch und dem Holm gestalteten sich freund¬ schaftliche und herzliche Beziehungen; da konnte es nicht fehlen, daß man von einer Verlobung mit der Rieke munkelte — ein Gerücht, das um so mehr Glaube» fand, als Rieke vom Hause kam, um im städtischen Haushalt „Unterschied und kochen zu lernen." Bei ihrer natürlichen Anmut hatte sie es den Stadtfrauen bald abgesehen, wie man sich hat, und wie man sich giebt, und war doch die alte, liebe Rieke Kühl geblieben. Wenn die alte Lisch, wenn meine Wenigkeit, wenn der alte Brotträger, der früher die Post besorgte, wenn der schmucke Landbriefträger, der jetzt die Dienste des Merkurs leistete, wenn wir alle samt und sonders nicht in Verschwiegenheit so überaus verhärtete Gesellen gewesen wären, so würde man wohl noch weniger daran gezweifelt haben. Allerdings hat man als rückwärts gewandter Seher gut prophezeien. Ich selbst hätte außer dem schon von mir Mitgeteilten wenig zur Unterstützung des Gerüchts beitragen können. Hein und ich hatten uns viele Jahre lang verloren, und, während ich gleich nach dein Einzug des jungen Zimmermanns in eine Gym¬ nasialstadt kam, fand Hein andre Gefäße für seine Herzensergießungen. So hörte auch der Briefwechsel bald auf, und das nächste Dutzend Jahre brachte uns vollends aus einander. Hein blieb zwar ein hervorstechender Teil meiner Erinne¬ rung, aber er figurierte doch nur als solche, und lediglich als Inventarstück meiner liebsten Gedanken nahm ich ihn mit, als mich Geschick und Justizverwaltung nach dem Osten unsers Vaterlands verschlugen. (Schluß folgt) Maßgebliches und Unmaßgebliches Zielbewußt. Die Dreyfnsards am Ziele! Wer hätte das vorm Jahre für möglich gehalten! Und doch geht alles dabei ganz mit natürlichen Dingen zu. Man darf sich mir überlegen, daß zur Zielbewußtheit, die diesen Namen verdient, nicht bloß ein Ziel gehört, sondern ein erreichbares Ziel, die Kenntnis der er¬ forderlichen Mittel und der Besitz dieser Mittel. Über diese drei Dinge haben nun die Revisionisten verfügt. Die Revision eines Prozesses zu erzwingen, wenn sie nicht allein die Autorität hoher Gerichtshöfe, sondern sogar die der Armeeleitung und das Interesse mächtiger Parteien gefährdet, mag ein schwer erreichbares Ziel sein, ein unerreichbares ist es nicht; weiß man, daß bei der Verurteilung grobe Verstöße gegen die Prozeßordnung begangen worden sind, so braucht man bloß die Beweismittel herbeizuschaffen, und hierfür haben im vorliegenden Falle die inter¬ national organisierten Glaubensgenossen des verurteilten Kapitäns das Geld und die „Intellektuellen," die eine klerikale Reaktion fürchten, die Intelligenz geliefert.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/671>, abgerufen am 30.04.2024.