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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heines Verhältnis z" Ivolfgang Menzel

Menschen, wie er wirklich ist. Die auf dieser falschen Voraussetzung auf¬
gebauten Pläne Rousseaus vom Zukunftsstaat, die mit Gewalt in die Massen
hineingetragen worden waren und die Köpfe verwirrt hatten, in Verbindung
mit den überspannten Theorien, die in der Revolution zur Geltung und Ver¬
wirklichung gelangten, bewirkten, daß in dieser alle bösen Geister entfesselt
wurden, alle schlimmen Leidenschaften, die im Menschen ruhen, sich bethätigten
und in schrankenloser Willkür befriedigt wurden, alle Greuelthaten, die mau
sich nur denken kann, begangen wurden. Dabei aber zeigten alle diese Helden
einen solchen Wahnwitz, solche Verblendung, solchen Taumel der Leidenschaft,
solche Verrücktheit, daß ganz Frankreich in der Revolution zu einem großen
Tollhaus geworden zu sein scheint. Ähnlich aber würde es werden, wenn der
sozialdemokratische Zukunftsstaat einmal verwirklicht werden sollte. Denn auch
in der Sozialdemokratie faßt man nur immer den Menschen an sich ins Auge,
wie er sein soll, aber nicht, wie er in Wirklichkeit ist, und glaubt durch wirt¬
schaftliche und soziale Reformen oder vielmehr durch Umsturz die geistige und
sittliche Vollkommenheit der Menschheit herbeiführen zu können.




Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

ur die Erforschung der Anfänge und der Entwicklung des
"Jungen Deutschlands" ist eigentlich noch recht wenig gethan
worden. Zwar haben uns die letzten Jahre zwei Werke gebracht,
die sich als geschichtliche Darstellungen dieser wichtigen Periode
des deutschen Geisteslebens ausgeben; aber es läßt sich doch
leicht zeigen, daß beide Bücher im Grunde genommen vom Parteistandpunkte
aus geschrieben sind. So gipfelt die ziemlich oberflächliche Arbeit von Brandes,
der sechste Band der "Hauptströmungen," in einer stark rabulistischen Ver¬
teidigung Heines, und "Das junge Deutschland" von Prölß verherrlicht in
weitschweifiger Ausführung seine Helden als eine Art politischer Propheten
und Märtyrer, als Vorläufer der spätern politischen Einigung Deutschlands.
Bücher wie diese mit ihrer einseitigen Parteinahme zeigen aber, daß gewisse
Ideen des Jungen Deutschlands eigentlich heute uoch die Geister bewegen, und
sie beweisen zugleich, wie außerordentlich schwer es ist, von den Hauptgestalten
dieser Periode ein geschichtlich treues und lebenswahres Bild zu erhalten --
schon darum, weil uns dieses Bild in grellen Parteifarben überliefert ist.
Scheint es in einem litterarischen Kampfe doch das Vorrecht der Sieger zu
sein, das Bild ihrer Gegner der Nachwelt so zu überliefern, wie es sich ihnen


Heines Verhältnis z» Ivolfgang Menzel

Menschen, wie er wirklich ist. Die auf dieser falschen Voraussetzung auf¬
gebauten Pläne Rousseaus vom Zukunftsstaat, die mit Gewalt in die Massen
hineingetragen worden waren und die Köpfe verwirrt hatten, in Verbindung
mit den überspannten Theorien, die in der Revolution zur Geltung und Ver¬
wirklichung gelangten, bewirkten, daß in dieser alle bösen Geister entfesselt
wurden, alle schlimmen Leidenschaften, die im Menschen ruhen, sich bethätigten
und in schrankenloser Willkür befriedigt wurden, alle Greuelthaten, die mau
sich nur denken kann, begangen wurden. Dabei aber zeigten alle diese Helden
einen solchen Wahnwitz, solche Verblendung, solchen Taumel der Leidenschaft,
solche Verrücktheit, daß ganz Frankreich in der Revolution zu einem großen
Tollhaus geworden zu sein scheint. Ähnlich aber würde es werden, wenn der
sozialdemokratische Zukunftsstaat einmal verwirklicht werden sollte. Denn auch
in der Sozialdemokratie faßt man nur immer den Menschen an sich ins Auge,
wie er sein soll, aber nicht, wie er in Wirklichkeit ist, und glaubt durch wirt¬
schaftliche und soziale Reformen oder vielmehr durch Umsturz die geistige und
sittliche Vollkommenheit der Menschheit herbeiführen zu können.




Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel

ur die Erforschung der Anfänge und der Entwicklung des
„Jungen Deutschlands" ist eigentlich noch recht wenig gethan
worden. Zwar haben uns die letzten Jahre zwei Werke gebracht,
die sich als geschichtliche Darstellungen dieser wichtigen Periode
des deutschen Geisteslebens ausgeben; aber es läßt sich doch
leicht zeigen, daß beide Bücher im Grunde genommen vom Parteistandpunkte
aus geschrieben sind. So gipfelt die ziemlich oberflächliche Arbeit von Brandes,
der sechste Band der „Hauptströmungen," in einer stark rabulistischen Ver¬
teidigung Heines, und „Das junge Deutschland" von Prölß verherrlicht in
weitschweifiger Ausführung seine Helden als eine Art politischer Propheten
und Märtyrer, als Vorläufer der spätern politischen Einigung Deutschlands.
Bücher wie diese mit ihrer einseitigen Parteinahme zeigen aber, daß gewisse
Ideen des Jungen Deutschlands eigentlich heute uoch die Geister bewegen, und
sie beweisen zugleich, wie außerordentlich schwer es ist, von den Hauptgestalten
dieser Periode ein geschichtlich treues und lebenswahres Bild zu erhalten —
schon darum, weil uns dieses Bild in grellen Parteifarben überliefert ist.
Scheint es in einem litterarischen Kampfe doch das Vorrecht der Sieger zu
sein, das Bild ihrer Gegner der Nachwelt so zu überliefern, wie es sich ihnen


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[0702] Heines Verhältnis z» Ivolfgang Menzel Menschen, wie er wirklich ist. Die auf dieser falschen Voraussetzung auf¬ gebauten Pläne Rousseaus vom Zukunftsstaat, die mit Gewalt in die Massen hineingetragen worden waren und die Köpfe verwirrt hatten, in Verbindung mit den überspannten Theorien, die in der Revolution zur Geltung und Ver¬ wirklichung gelangten, bewirkten, daß in dieser alle bösen Geister entfesselt wurden, alle schlimmen Leidenschaften, die im Menschen ruhen, sich bethätigten und in schrankenloser Willkür befriedigt wurden, alle Greuelthaten, die mau sich nur denken kann, begangen wurden. Dabei aber zeigten alle diese Helden einen solchen Wahnwitz, solche Verblendung, solchen Taumel der Leidenschaft, solche Verrücktheit, daß ganz Frankreich in der Revolution zu einem großen Tollhaus geworden zu sein scheint. Ähnlich aber würde es werden, wenn der sozialdemokratische Zukunftsstaat einmal verwirklicht werden sollte. Denn auch in der Sozialdemokratie faßt man nur immer den Menschen an sich ins Auge, wie er sein soll, aber nicht, wie er in Wirklichkeit ist, und glaubt durch wirt¬ schaftliche und soziale Reformen oder vielmehr durch Umsturz die geistige und sittliche Vollkommenheit der Menschheit herbeiführen zu können. Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel ur die Erforschung der Anfänge und der Entwicklung des „Jungen Deutschlands" ist eigentlich noch recht wenig gethan worden. Zwar haben uns die letzten Jahre zwei Werke gebracht, die sich als geschichtliche Darstellungen dieser wichtigen Periode des deutschen Geisteslebens ausgeben; aber es läßt sich doch leicht zeigen, daß beide Bücher im Grunde genommen vom Parteistandpunkte aus geschrieben sind. So gipfelt die ziemlich oberflächliche Arbeit von Brandes, der sechste Band der „Hauptströmungen," in einer stark rabulistischen Ver¬ teidigung Heines, und „Das junge Deutschland" von Prölß verherrlicht in weitschweifiger Ausführung seine Helden als eine Art politischer Propheten und Märtyrer, als Vorläufer der spätern politischen Einigung Deutschlands. Bücher wie diese mit ihrer einseitigen Parteinahme zeigen aber, daß gewisse Ideen des Jungen Deutschlands eigentlich heute uoch die Geister bewegen, und sie beweisen zugleich, wie außerordentlich schwer es ist, von den Hauptgestalten dieser Periode ein geschichtlich treues und lebenswahres Bild zu erhalten — schon darum, weil uns dieses Bild in grellen Parteifarben überliefert ist. Scheint es in einem litterarischen Kampfe doch das Vorrecht der Sieger zu sein, das Bild ihrer Gegner der Nachwelt so zu überliefern, wie es sich ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/702>, abgerufen am 30.04.2024.