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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel
Über Lessing:

[Beginn Spaltensatz] Menzel

Lessing brachte die aberwitzig ge-
wordne deutsche Poesie zuerst wieder zu
Verstand. Er war zwar weniger Dichter
als Kritiker, aber die Masse von Ver¬
stand, die er in Bezug auf ästhetische
Gegenstände entwickelte, war ein solid
angelegtes Kapital, das der Poesie die
fruchtbarsten Zinsen abgetragen. Er hob
die deutsche Poesie gleichsam in ihrem
ganzen Umfang aus dem Schlamm ans
Licht empor.

[Spaltenumbruch]
Heine

Lessing war der litterarische Armi-
nms, der unser Theater von jener Fremd¬
herrschaft befreite. Aber nicht bloß durch
seine Kritik, sondern auch durch seine
eignen Kunstwerke ward er der Stifter
der neuern deutschen Originallitteratur.

[Ende Spaltensatz]

Wie oberflächlich übrigens Heines eigne Kenntnis von Lessing gewesen
sein muß. obwohl er von ihm sagt, "er sei in der ganzen Litteraturgeschichte
derjenige Schriftsteller, den er am meisten liebe," zeigt sich daraus, daß er in
allen Ausgaben der "Romantischen Schule" von den "Fragmenten" über die
Erziehung des Menschengeschlechts spricht.


ÜberSchiller:

[Beginn Spaltensatz] Menzel

Sein Genius gehörte der Mensch¬
heit an. Die Rechte der Menschheit,
vom höchsten Standpunkt aus betrachtet,
vertritt sein Marquis Posa. Für die
Rechte der Völker tritt die Jungfrau
von Orleans in die Schranken.

Sind viele hinabgestiegen in die
dunkle Vergangenheit, den Geist der
Menschheit in die alten Fesseln zu schla¬
gen; Schiller hat, ein lichter Engel, an
die Pforte der Zukunft sich gestellt, ihren
Schleier gelüftet und dem sehenden Auge
eine freie, heitere Aussicht aufgethan.

[Spaltenumbruch]
Heine

Schiller baute an dem Tempel der
Freiheit, und zwar an jenem ganz großen
Tempel, der alle Nationen gleich einer
einzigen Brüdergemeinde umschließen soll,
er war Kosmopolit.

Er (Schiller) begann mit jenen.
Hasse gegen die Vergangenheit ... er
endigte mit jener Liebe für die Zukunft,
die schon im Don Carlos wie ein Blumen¬
wald hervorblüht, und er selber ist jener
Marquis Posa, der zugleich Prophet und
Soldat ist. . . .

[Ende Spaltensatz]
Über JohannHeinrich Voß:

[Beginn Spaltensatz] Menzel

Aber wenn Voß auch die gleich-
giltigsten Gegenstände mit aller möglichen
Ruhe verhandelt, thut er es auf eine so
seltsame pedantische und fremde Weise,
daß niemand im gleichen Falle so sprechen
würde wie er. . . . Er unternahm länger
als ein halbes Jahrhundert die Sisyphus¬
arbeit, den rohen Runenstein der deutschen
Sprache auf den griechischen Parnaß zu
schleppen, doch immer hurtig mit Donner-
gepolter usw.

[Spaltenumbruch]
Heine

Voß wurde in seinen Übersetzungen
immer herber und derber, die hinein¬
gefeilten Neuheiten fast unaussprechbar:
sodaß, wenn man auf dem blankpolierten
schlüpfrigen Mahagoniparkett der schlegel-
schen Verse leicht ausglitschte, so stolperte
man eben so leicht über die Marmorblöcke
des alten Voß.

[Ende Spaltensatz]
Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel
Über Lessing:

[Beginn Spaltensatz] Menzel

Lessing brachte die aberwitzig ge-
wordne deutsche Poesie zuerst wieder zu
Verstand. Er war zwar weniger Dichter
als Kritiker, aber die Masse von Ver¬
stand, die er in Bezug auf ästhetische
Gegenstände entwickelte, war ein solid
angelegtes Kapital, das der Poesie die
fruchtbarsten Zinsen abgetragen. Er hob
die deutsche Poesie gleichsam in ihrem
ganzen Umfang aus dem Schlamm ans
Licht empor.

[Spaltenumbruch]
Heine

Lessing war der litterarische Armi-
nms, der unser Theater von jener Fremd¬
herrschaft befreite. Aber nicht bloß durch
seine Kritik, sondern auch durch seine
eignen Kunstwerke ward er der Stifter
der neuern deutschen Originallitteratur.

[Ende Spaltensatz]

Wie oberflächlich übrigens Heines eigne Kenntnis von Lessing gewesen
sein muß. obwohl er von ihm sagt, „er sei in der ganzen Litteraturgeschichte
derjenige Schriftsteller, den er am meisten liebe," zeigt sich daraus, daß er in
allen Ausgaben der „Romantischen Schule" von den „Fragmenten" über die
Erziehung des Menschengeschlechts spricht.


ÜberSchiller:

[Beginn Spaltensatz] Menzel

Sein Genius gehörte der Mensch¬
heit an. Die Rechte der Menschheit,
vom höchsten Standpunkt aus betrachtet,
vertritt sein Marquis Posa. Für die
Rechte der Völker tritt die Jungfrau
von Orleans in die Schranken.

Sind viele hinabgestiegen in die
dunkle Vergangenheit, den Geist der
Menschheit in die alten Fesseln zu schla¬
gen; Schiller hat, ein lichter Engel, an
die Pforte der Zukunft sich gestellt, ihren
Schleier gelüftet und dem sehenden Auge
eine freie, heitere Aussicht aufgethan.

[Spaltenumbruch]
Heine

Schiller baute an dem Tempel der
Freiheit, und zwar an jenem ganz großen
Tempel, der alle Nationen gleich einer
einzigen Brüdergemeinde umschließen soll,
er war Kosmopolit.

Er (Schiller) begann mit jenen.
Hasse gegen die Vergangenheit ... er
endigte mit jener Liebe für die Zukunft,
die schon im Don Carlos wie ein Blumen¬
wald hervorblüht, und er selber ist jener
Marquis Posa, der zugleich Prophet und
Soldat ist. . . .

[Ende Spaltensatz]
Über JohannHeinrich Voß:

[Beginn Spaltensatz] Menzel

Aber wenn Voß auch die gleich-
giltigsten Gegenstände mit aller möglichen
Ruhe verhandelt, thut er es auf eine so
seltsame pedantische und fremde Weise,
daß niemand im gleichen Falle so sprechen
würde wie er. . . . Er unternahm länger
als ein halbes Jahrhundert die Sisyphus¬
arbeit, den rohen Runenstein der deutschen
Sprache auf den griechischen Parnaß zu
schleppen, doch immer hurtig mit Donner-
gepolter usw.

[Spaltenumbruch]
Heine

Voß wurde in seinen Übersetzungen
immer herber und derber, die hinein¬
gefeilten Neuheiten fast unaussprechbar:
sodaß, wenn man auf dem blankpolierten
schlüpfrigen Mahagoniparkett der schlegel-
schen Verse leicht ausglitschte, so stolperte
man eben so leicht über die Marmorblöcke
des alten Voß.

[Ende Spaltensatz]
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[0711] Heines Verhältnis zu Wolfgang Menzel Über Lessing: Menzel Lessing brachte die aberwitzig ge- wordne deutsche Poesie zuerst wieder zu Verstand. Er war zwar weniger Dichter als Kritiker, aber die Masse von Ver¬ stand, die er in Bezug auf ästhetische Gegenstände entwickelte, war ein solid angelegtes Kapital, das der Poesie die fruchtbarsten Zinsen abgetragen. Er hob die deutsche Poesie gleichsam in ihrem ganzen Umfang aus dem Schlamm ans Licht empor. Heine Lessing war der litterarische Armi- nms, der unser Theater von jener Fremd¬ herrschaft befreite. Aber nicht bloß durch seine Kritik, sondern auch durch seine eignen Kunstwerke ward er der Stifter der neuern deutschen Originallitteratur. Wie oberflächlich übrigens Heines eigne Kenntnis von Lessing gewesen sein muß. obwohl er von ihm sagt, „er sei in der ganzen Litteraturgeschichte derjenige Schriftsteller, den er am meisten liebe," zeigt sich daraus, daß er in allen Ausgaben der „Romantischen Schule" von den „Fragmenten" über die Erziehung des Menschengeschlechts spricht. ÜberSchiller: Menzel Sein Genius gehörte der Mensch¬ heit an. Die Rechte der Menschheit, vom höchsten Standpunkt aus betrachtet, vertritt sein Marquis Posa. Für die Rechte der Völker tritt die Jungfrau von Orleans in die Schranken. Sind viele hinabgestiegen in die dunkle Vergangenheit, den Geist der Menschheit in die alten Fesseln zu schla¬ gen; Schiller hat, ein lichter Engel, an die Pforte der Zukunft sich gestellt, ihren Schleier gelüftet und dem sehenden Auge eine freie, heitere Aussicht aufgethan. Heine Schiller baute an dem Tempel der Freiheit, und zwar an jenem ganz großen Tempel, der alle Nationen gleich einer einzigen Brüdergemeinde umschließen soll, er war Kosmopolit. Er (Schiller) begann mit jenen. Hasse gegen die Vergangenheit ... er endigte mit jener Liebe für die Zukunft, die schon im Don Carlos wie ein Blumen¬ wald hervorblüht, und er selber ist jener Marquis Posa, der zugleich Prophet und Soldat ist. . . . Über JohannHeinrich Voß: Menzel Aber wenn Voß auch die gleich- giltigsten Gegenstände mit aller möglichen Ruhe verhandelt, thut er es auf eine so seltsame pedantische und fremde Weise, daß niemand im gleichen Falle so sprechen würde wie er. . . . Er unternahm länger als ein halbes Jahrhundert die Sisyphus¬ arbeit, den rohen Runenstein der deutschen Sprache auf den griechischen Parnaß zu schleppen, doch immer hurtig mit Donner- gepolter usw. Heine Voß wurde in seinen Übersetzungen immer herber und derber, die hinein¬ gefeilten Neuheiten fast unaussprechbar: sodaß, wenn man auf dem blankpolierten schlüpfrigen Mahagoniparkett der schlegel- schen Verse leicht ausglitschte, so stolperte man eben so leicht über die Marmorblöcke des alten Voß.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/711>, abgerufen am 30.04.2024.