Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Hein lvieck

andre Redner ihre Perioden bauen; lebendigem Odem mag der Meißel fremder
Künstler dem Marmor einhauchen, und wohl ist der Pinsel der Dürer, Hol¬
bein, Kranach stumpfer und starrer gewesen als der der Tizian, Correggio
und Tintoretto. Laßt sie gewähren! Es sind Griechenkünste! Reitet die
Graeculi nicht! Seid Römer! Vielleicht daß einst doch noch der Mantel der
Cüsaren, um den Kaiser und Päpste so bitter gestritten haben, der den Händen
des großen Karls wie des letzten Hohenstaufenkaisers Friedrich II. entglitt,
die Schultern eines deutschen Kaisers schmückt, und von deutscher Leier die
Worte eines unsterblichen Dichters variiert werden:


I°u re-Aörs iraxgrio poxulos, <F"zrw!Mo, msmönto!
Gskar Levy

Hein lvieck Timm Kröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
(Schluss)
13

ut NUN stehn wir beide in dem Alter, das man wahrscheinlich des¬
halb als das kräftige bezeichnet, weil es der Anfang des Verfalls ist,
wo das Sparren- und Ständerwerk unsers Seelenhauses die ersten
Altersrisse zeigt und zum erstenmal das wehe, leise Knarren, das
den Kenner von der begonnenen Lockerung der Verbände und Ver¬
ankerung unterrichtet, erklingt.

Aber dessenungeachtet dürfen wir glauben, noch zu frischen Thaten berufen
zu sein, erinnern wir uns auch mit einer gewissen Hast daran. Die Zeit nimmt
eine ganz merkwürdige Eile an, die hurtiger Jahre wissen nichts mehr von dem
trägen Gang, den wir ihnen in unsrer Jugend nachsagten, die Frühlinge kehren
uns zwar immer noch ein lustiges Angesicht her, dem Winterherbste aber sehen
wir, wenn die vollendete Zeit ihn hinabführt, auf einen Rücken, der sich mit jeden:
^cihr erfahrungsreicher nusnimmt, und immer rascher und immer nervöser dreht
sich das große Höhenkarussell, das wir Zeit, das wir Leben nennen.

Nach der Mittagshöhe kommen die Nachmittagsstunden, wo die Sonne das
Gold ihres Bogens in sinkendem Glänze ausschüttet, kommt der Abend, wo sie
Wald und Feld in sanfte Abschiedstinten taucht, kommt die Nacht, wo Sonne und
Licht ausgelöscht sind. Der Gedanke an die Nacht macht für meine Seelenruhe
nichts aus, aber gern gedenke ich doch der Morgenfrische und all der fröhlichen
Stimmen, die den jungen Tag begrüßen.

Lang ists her.

Wie viele Jahre sah ich kommen und gehn, seitdem ich mit meinen Jugend-


Hein lvieck

andre Redner ihre Perioden bauen; lebendigem Odem mag der Meißel fremder
Künstler dem Marmor einhauchen, und wohl ist der Pinsel der Dürer, Hol¬
bein, Kranach stumpfer und starrer gewesen als der der Tizian, Correggio
und Tintoretto. Laßt sie gewähren! Es sind Griechenkünste! Reitet die
Graeculi nicht! Seid Römer! Vielleicht daß einst doch noch der Mantel der
Cüsaren, um den Kaiser und Päpste so bitter gestritten haben, der den Händen
des großen Karls wie des letzten Hohenstaufenkaisers Friedrich II. entglitt,
die Schultern eines deutschen Kaisers schmückt, und von deutscher Leier die
Worte eines unsterblichen Dichters variiert werden:


I°u re-Aörs iraxgrio poxulos, <F«zrw!Mo, msmönto!
Gskar Levy

Hein lvieck Timm Kröger Line Stall- und Scheunengeschichte von
(Schluss)
13

ut NUN stehn wir beide in dem Alter, das man wahrscheinlich des¬
halb als das kräftige bezeichnet, weil es der Anfang des Verfalls ist,
wo das Sparren- und Ständerwerk unsers Seelenhauses die ersten
Altersrisse zeigt und zum erstenmal das wehe, leise Knarren, das
den Kenner von der begonnenen Lockerung der Verbände und Ver¬
ankerung unterrichtet, erklingt.

Aber dessenungeachtet dürfen wir glauben, noch zu frischen Thaten berufen
zu sein, erinnern wir uns auch mit einer gewissen Hast daran. Die Zeit nimmt
eine ganz merkwürdige Eile an, die hurtiger Jahre wissen nichts mehr von dem
trägen Gang, den wir ihnen in unsrer Jugend nachsagten, die Frühlinge kehren
uns zwar immer noch ein lustiges Angesicht her, dem Winterherbste aber sehen
wir, wenn die vollendete Zeit ihn hinabführt, auf einen Rücken, der sich mit jeden:
^cihr erfahrungsreicher nusnimmt, und immer rascher und immer nervöser dreht
sich das große Höhenkarussell, das wir Zeit, das wir Leben nennen.

Nach der Mittagshöhe kommen die Nachmittagsstunden, wo die Sonne das
Gold ihres Bogens in sinkendem Glänze ausschüttet, kommt der Abend, wo sie
Wald und Feld in sanfte Abschiedstinten taucht, kommt die Nacht, wo Sonne und
Licht ausgelöscht sind. Der Gedanke an die Nacht macht für meine Seelenruhe
nichts aus, aber gern gedenke ich doch der Morgenfrische und all der fröhlichen
Stimmen, die den jungen Tag begrüßen.

Lang ists her.

Wie viele Jahre sah ich kommen und gehn, seitdem ich mit meinen Jugend-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0719" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231151"/>
          <fw type="header" place="top"> Hein lvieck</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2455" prev="#ID_2454"> andre Redner ihre Perioden bauen; lebendigem Odem mag der Meißel fremder<lb/>
Künstler dem Marmor einhauchen, und wohl ist der Pinsel der Dürer, Hol¬<lb/>
bein, Kranach stumpfer und starrer gewesen als der der Tizian, Correggio<lb/>
und Tintoretto. Laßt sie gewähren! Es sind Griechenkünste! Reitet die<lb/>
Graeculi nicht! Seid Römer! Vielleicht daß einst doch noch der Mantel der<lb/>
Cüsaren, um den Kaiser und Päpste so bitter gestritten haben, der den Händen<lb/>
des großen Karls wie des letzten Hohenstaufenkaisers Friedrich II. entglitt,<lb/>
die Schultern eines deutschen Kaisers schmückt, und von deutscher Leier die<lb/>
Worte eines unsterblichen Dichters variiert werden:</p><lb/>
          <quote> I°u re-Aörs iraxgrio poxulos, &lt;F«zrw!Mo, msmönto!</quote><lb/>
          <note type="byline"> Gskar Levy</note><lb/>
          <figure facs="http://media.dwds.de/dta/images/grenzboten_341869_230431/figures/grenzboten_341869_230431_231151_006.jpg"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Hein lvieck<note type="byline"> Timm Kröger</note> Line Stall- und Scheunengeschichte von<lb/>
(Schluss)<lb/>
13</head><lb/>
          <p xml:id="ID_2456"> ut NUN stehn wir beide in dem Alter, das man wahrscheinlich des¬<lb/>
halb als das kräftige bezeichnet, weil es der Anfang des Verfalls ist,<lb/>
wo das Sparren- und Ständerwerk unsers Seelenhauses die ersten<lb/>
Altersrisse zeigt und zum erstenmal das wehe, leise Knarren, das<lb/>
den Kenner von der begonnenen Lockerung der Verbände und Ver¬<lb/>
ankerung unterrichtet, erklingt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2457"> Aber dessenungeachtet dürfen wir glauben, noch zu frischen Thaten berufen<lb/>
zu sein, erinnern wir uns auch mit einer gewissen Hast daran. Die Zeit nimmt<lb/>
eine ganz merkwürdige Eile an, die hurtiger Jahre wissen nichts mehr von dem<lb/>
trägen Gang, den wir ihnen in unsrer Jugend nachsagten, die Frühlinge kehren<lb/>
uns zwar immer noch ein lustiges Angesicht her, dem Winterherbste aber sehen<lb/>
wir, wenn die vollendete Zeit ihn hinabführt, auf einen Rücken, der sich mit jeden:<lb/>
^cihr erfahrungsreicher nusnimmt, und immer rascher und immer nervöser dreht<lb/>
sich das große Höhenkarussell, das wir Zeit, das wir Leben nennen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2458"> Nach der Mittagshöhe kommen die Nachmittagsstunden, wo die Sonne das<lb/>
Gold ihres Bogens in sinkendem Glänze ausschüttet, kommt der Abend, wo sie<lb/>
Wald und Feld in sanfte Abschiedstinten taucht, kommt die Nacht, wo Sonne und<lb/>
Licht ausgelöscht sind. Der Gedanke an die Nacht macht für meine Seelenruhe<lb/>
nichts aus, aber gern gedenke ich doch der Morgenfrische und all der fröhlichen<lb/>
Stimmen, die den jungen Tag begrüßen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2459"> Lang ists her.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2460" next="#ID_2461"> Wie viele Jahre sah ich kommen und gehn, seitdem ich mit meinen Jugend-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0719] Hein lvieck andre Redner ihre Perioden bauen; lebendigem Odem mag der Meißel fremder Künstler dem Marmor einhauchen, und wohl ist der Pinsel der Dürer, Hol¬ bein, Kranach stumpfer und starrer gewesen als der der Tizian, Correggio und Tintoretto. Laßt sie gewähren! Es sind Griechenkünste! Reitet die Graeculi nicht! Seid Römer! Vielleicht daß einst doch noch der Mantel der Cüsaren, um den Kaiser und Päpste so bitter gestritten haben, der den Händen des großen Karls wie des letzten Hohenstaufenkaisers Friedrich II. entglitt, die Schultern eines deutschen Kaisers schmückt, und von deutscher Leier die Worte eines unsterblichen Dichters variiert werden: I°u re-Aörs iraxgrio poxulos, <F«zrw!Mo, msmönto! Gskar Levy [Abbildung] Hein lvieck Timm Kröger Line Stall- und Scheunengeschichte von (Schluss) 13 ut NUN stehn wir beide in dem Alter, das man wahrscheinlich des¬ halb als das kräftige bezeichnet, weil es der Anfang des Verfalls ist, wo das Sparren- und Ständerwerk unsers Seelenhauses die ersten Altersrisse zeigt und zum erstenmal das wehe, leise Knarren, das den Kenner von der begonnenen Lockerung der Verbände und Ver¬ ankerung unterrichtet, erklingt. Aber dessenungeachtet dürfen wir glauben, noch zu frischen Thaten berufen zu sein, erinnern wir uns auch mit einer gewissen Hast daran. Die Zeit nimmt eine ganz merkwürdige Eile an, die hurtiger Jahre wissen nichts mehr von dem trägen Gang, den wir ihnen in unsrer Jugend nachsagten, die Frühlinge kehren uns zwar immer noch ein lustiges Angesicht her, dem Winterherbste aber sehen wir, wenn die vollendete Zeit ihn hinabführt, auf einen Rücken, der sich mit jeden: ^cihr erfahrungsreicher nusnimmt, und immer rascher und immer nervöser dreht sich das große Höhenkarussell, das wir Zeit, das wir Leben nennen. Nach der Mittagshöhe kommen die Nachmittagsstunden, wo die Sonne das Gold ihres Bogens in sinkendem Glänze ausschüttet, kommt der Abend, wo sie Wald und Feld in sanfte Abschiedstinten taucht, kommt die Nacht, wo Sonne und Licht ausgelöscht sind. Der Gedanke an die Nacht macht für meine Seelenruhe nichts aus, aber gern gedenke ich doch der Morgenfrische und all der fröhlichen Stimmen, die den jungen Tag begrüßen. Lang ists her. Wie viele Jahre sah ich kommen und gehn, seitdem ich mit meinen Jugend-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/719
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/719>, abgerufen am 30.04.2024.