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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr.

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Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

selbst, sein Handwerkslent, Wirte, Bauern, Krämer, Tagwerker. Wenig Bürger
haben ein Auskommen von ihren Gulden und Zinsen, es seind auch wenig
Kaufleute, die großen Handel führen." Und dreihundert Jahre später schreibt
Andreas von Baronoff an Thiersch: "Die Bayern sind eine tüchtige, brave,
biedre, muntere Nation, für Wissenschaft und Kunst aber nicht geschaffen. Der
Bayer, wenn er seinen Acker oder sein Handwerk oder sein Amt redlich be¬
stritten, will froh und heiter, ohne weitere Sorgen sein Leben genießen; er
geht dann in das Bierhaus oder ins Theater oder ins Museum und läßt sechs
gut schmecken bei einem Gläschen Wein oder einem Journal und Roman, je
nachdem sein Stand, und kümmert sich den Teufel nicht um die Fortschritte
in Kunst und Wissenschaft."

(Schluß folgt)




Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte
A. p. von
(Schluß)
3

le griechische Mythologie ist heute wesentlich zu einer Hilfs¬
disziplin für Archäologen geworden, die daraus ihre Denkmäler
erläutern. Abgesehen von diesem Gebrauchszwecke haben sich in
neuerer Zeit Kenner nur über einzelne Punkte geäußert. Wo
man daraus etwa die Hoffnung auf eine umfassendere Behand¬
lung gewinnen mochte, da sah man freilich die Ziele so weit in die Zukunft
hinausgesteckt, daß eine einigermaßen genügende Darstellung der Meinungen,
die die Griechen über ihre Götter hatten, noch lange nicht zu haben sein wird.

Burckhardt erzählt die hauptsächlichsten einzelnen Mythen, das "bewegte
Leben" der Götter und Heroen, dies ist aber nicht der interessantere Teil seines
dritten Abschnitts "über Religion und Kultus." Die umfassende selbständige
Velesenheit hat sich eigentlich hier nicht mehr lohnen können, wo überall die
Spezialarbeiten Vollständigeres bieten. Die Aufzählung z. B. der Kultstätten
der Heroen, das, was er die feierliche und offizielle Seite der Sache nennt,
meist nach späten Autoren, Plutarch, Pausanias, Lukian usw. gewährt doch,
zumal einem NichtPhilologen, kein Bild. Wert hat hier nur das innere Leben:
was glaubte das Volk über Heroen und Gespenster? Und darauf folgt bei
Burckhardt gewöhnlich ein vielleicht, wahrscheinlich, dürfte, könnte, wenn wirk¬
lich oder dergleichen, und an diesen Ungewißheiten hängt dann das allein


Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte

selbst, sein Handwerkslent, Wirte, Bauern, Krämer, Tagwerker. Wenig Bürger
haben ein Auskommen von ihren Gulden und Zinsen, es seind auch wenig
Kaufleute, die großen Handel führen." Und dreihundert Jahre später schreibt
Andreas von Baronoff an Thiersch: „Die Bayern sind eine tüchtige, brave,
biedre, muntere Nation, für Wissenschaft und Kunst aber nicht geschaffen. Der
Bayer, wenn er seinen Acker oder sein Handwerk oder sein Amt redlich be¬
stritten, will froh und heiter, ohne weitere Sorgen sein Leben genießen; er
geht dann in das Bierhaus oder ins Theater oder ins Museum und läßt sechs
gut schmecken bei einem Gläschen Wein oder einem Journal und Roman, je
nachdem sein Stand, und kümmert sich den Teufel nicht um die Fortschritte
in Kunst und Wissenschaft."

(Schluß folgt)




Über Jakob Burckhardts Griechische Kulturgeschichte
A. p. von
(Schluß)
3

le griechische Mythologie ist heute wesentlich zu einer Hilfs¬
disziplin für Archäologen geworden, die daraus ihre Denkmäler
erläutern. Abgesehen von diesem Gebrauchszwecke haben sich in
neuerer Zeit Kenner nur über einzelne Punkte geäußert. Wo
man daraus etwa die Hoffnung auf eine umfassendere Behand¬
lung gewinnen mochte, da sah man freilich die Ziele so weit in die Zukunft
hinausgesteckt, daß eine einigermaßen genügende Darstellung der Meinungen,
die die Griechen über ihre Götter hatten, noch lange nicht zu haben sein wird.

Burckhardt erzählt die hauptsächlichsten einzelnen Mythen, das „bewegte
Leben" der Götter und Heroen, dies ist aber nicht der interessantere Teil seines
dritten Abschnitts „über Religion und Kultus." Die umfassende selbständige
Velesenheit hat sich eigentlich hier nicht mehr lohnen können, wo überall die
Spezialarbeiten Vollständigeres bieten. Die Aufzählung z. B. der Kultstätten
der Heroen, das, was er die feierliche und offizielle Seite der Sache nennt,
meist nach späten Autoren, Plutarch, Pausanias, Lukian usw. gewährt doch,
zumal einem NichtPhilologen, kein Bild. Wert hat hier nur das innere Leben:
was glaubte das Volk über Heroen und Gespenster? Und darauf folgt bei
Burckhardt gewöhnlich ein vielleicht, wahrscheinlich, dürfte, könnte, wenn wirk¬
lich oder dergleichen, und an diesen Ungewißheiten hängt dann das allein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_230431/86>, abgerufen am 30.04.2024.