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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Weiber thaten das ihrige, um die Geschichte in Umlauf zu setzen. Sie
wurde größer und bedrohlicher bei jeder Wiederholung, die sie erfuhr, und dann
hielt die Klage und deren vermutlicher Erfolg die Gemüter in Spannung.

Darum war es zu aller Verwunderung, als nach Monaten Kurze Lukas mit
einer Geldbuße von fünfzig Mark davonkam. Man war fast enttäuscht. Am
meisten freilich Lange Lukas. Er hatte also doch nicht vermocht, der Sache ein
Gewicht zu geben, wie er gehofft hatte. Und dabei klang es ihm noch vor den
Ohren, was er Kurze Lukas in seinem Zorn nachgeschrieen hatte: Das kost dich den
Möschengarten.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Schriften über soziale Fragen.

Dr. Michael Hainisch sucht in einer
Broschüre (Der Kampf ums Dasein und die Sozialpolitik; Leipzig und Wien,
Franz Deuticke, 1899) klar zu machen, wie der Kampf uns Dasein in der mensch¬
lichen Gesellschaft vor sich geht, und die Frage zu beantworten, wie weit ihn die
menschliche Vernunft zu leiten vermöge. Er steht ungefähr auf unserm Standpunkt
und bekämpft Otto Ammon. Nicht darin, schreibt er u. a. S. 41, liege der
Irrtum der Naturforscher, daß das Patriziat für ein Ausleseprodukt gehalten
werde, sondern darin, daß man übersehe, "daß die Klassen gar nicht das Produkt
eines Kampfes ums Dasein im Sinne Darwins, sondern eines Kampfes um die
bevorzugte Stellung find, wie dies Lange zuerst genannt hat. Daraus ergiebt sich
aber die wichtige Schlußfolgerung, daß die Klassenbildung gar uicht zu einer Aus¬
lese im biologischen Sinne führen könne, selbst wenn sie nur das Produkt indivi¬
dueller Tüchtigkeit wäre. Denn während der Sieger im Vernichtungskampf den
Besiegten vertilgt und seine kräftigere Art an dessen Stelle setzt, läßt der Sieger
im Beherrschungskampf den Besiegten nicht bloß bestehn, sondern er hat sogar das
Interesse, ihn absolut und relativ zahlreich zu machen." -- Berl hold Otto
(Das Recht auf Arbeit und die Arbeiterinteressen; Leipzig, Sellmcmn und Henne,
1399) und M. Pontifex (Soziale Gedanken eines Optimisten; Berlin,
R. Wrede, 1900) gehören der Richtung Oldenbergs an, d. h. sie sind Freunde
der Landwirtschaft und Gegner eines ans die Exportindustrie gegründeten Wirt¬
schaftssystems. Der erste will, die von Emil Kühn vertretne Idee eines Getreide-
monopols weiter verfolgend, einen "Dreibund der Begehrlichen" begründen, d. h.
der Stände, die schon begehrlich gescholten werden,' weil sie nur eben ihren Lebens¬
unterhalt begehren, der Landwirte, der Arbeiter und der -- Soldaten, und er
schließt mit dem Entwurf einer staatssozialistischen Organisation der Arbeit, durch
die die Sozialdemokrcitie gelähmt werden soll. Pontifex hat es besonders auf
eine neue Organisation des Kredits abgesehn und will, daß der Staat, anstatt den
Preis der landwirtschaftlichen Produkte durch Schutzzoll zu erhöhe" (was ihm noch
dazu oft mißlingt), lieber durch Lieferung von Maschinen und Düngemitteln, dnrch
Bewässerung und dergleichen den Ertrag vermehre und die Produktionskosten


Maßgebliches und Unmaßgebliches

Die Weiber thaten das ihrige, um die Geschichte in Umlauf zu setzen. Sie
wurde größer und bedrohlicher bei jeder Wiederholung, die sie erfuhr, und dann
hielt die Klage und deren vermutlicher Erfolg die Gemüter in Spannung.

Darum war es zu aller Verwunderung, als nach Monaten Kurze Lukas mit
einer Geldbuße von fünfzig Mark davonkam. Man war fast enttäuscht. Am
meisten freilich Lange Lukas. Er hatte also doch nicht vermocht, der Sache ein
Gewicht zu geben, wie er gehofft hatte. Und dabei klang es ihm noch vor den
Ohren, was er Kurze Lukas in seinem Zorn nachgeschrieen hatte: Das kost dich den
Möschengarten.

(Schluß folgt)




Maßgebliches und Unmaßgebliches
Schriften über soziale Fragen.

Dr. Michael Hainisch sucht in einer
Broschüre (Der Kampf ums Dasein und die Sozialpolitik; Leipzig und Wien,
Franz Deuticke, 1899) klar zu machen, wie der Kampf uns Dasein in der mensch¬
lichen Gesellschaft vor sich geht, und die Frage zu beantworten, wie weit ihn die
menschliche Vernunft zu leiten vermöge. Er steht ungefähr auf unserm Standpunkt
und bekämpft Otto Ammon. Nicht darin, schreibt er u. a. S. 41, liege der
Irrtum der Naturforscher, daß das Patriziat für ein Ausleseprodukt gehalten
werde, sondern darin, daß man übersehe, „daß die Klassen gar nicht das Produkt
eines Kampfes ums Dasein im Sinne Darwins, sondern eines Kampfes um die
bevorzugte Stellung find, wie dies Lange zuerst genannt hat. Daraus ergiebt sich
aber die wichtige Schlußfolgerung, daß die Klassenbildung gar uicht zu einer Aus¬
lese im biologischen Sinne führen könne, selbst wenn sie nur das Produkt indivi¬
dueller Tüchtigkeit wäre. Denn während der Sieger im Vernichtungskampf den
Besiegten vertilgt und seine kräftigere Art an dessen Stelle setzt, läßt der Sieger
im Beherrschungskampf den Besiegten nicht bloß bestehn, sondern er hat sogar das
Interesse, ihn absolut und relativ zahlreich zu machen." — Berl hold Otto
(Das Recht auf Arbeit und die Arbeiterinteressen; Leipzig, Sellmcmn und Henne,
1399) und M. Pontifex (Soziale Gedanken eines Optimisten; Berlin,
R. Wrede, 1900) gehören der Richtung Oldenbergs an, d. h. sie sind Freunde
der Landwirtschaft und Gegner eines ans die Exportindustrie gegründeten Wirt¬
schaftssystems. Der erste will, die von Emil Kühn vertretne Idee eines Getreide-
monopols weiter verfolgend, einen „Dreibund der Begehrlichen" begründen, d. h.
der Stände, die schon begehrlich gescholten werden,' weil sie nur eben ihren Lebens¬
unterhalt begehren, der Landwirte, der Arbeiter und der — Soldaten, und er
schließt mit dem Entwurf einer staatssozialistischen Organisation der Arbeit, durch
die die Sozialdemokrcitie gelähmt werden soll. Pontifex hat es besonders auf
eine neue Organisation des Kredits abgesehn und will, daß der Staat, anstatt den
Preis der landwirtschaftlichen Produkte durch Schutzzoll zu erhöhe» (was ihm noch
dazu oft mißlingt), lieber durch Lieferung von Maschinen und Düngemitteln, dnrch
Bewässerung und dergleichen den Ertrag vermehre und die Produktionskosten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/118>, abgerufen am 07.05.2024.