Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

Haß gegen Bismarck widerstrebt, daher auch trotz der Begeisterung, die sich
1848 für eine deutsche Flotte geregt habe, den Flottengründnngsplan ver¬
worfen, für den der Minister am 1. Juni 1865 in einer großen, hier nicht
nur zitierten, sondern auch teilweise wieder abgedruckten Rede eintrat. ^) Er
übersieht dabei natürlich, daß diese Verwerfung nnr eine Episode des erbitterten
Kampfes war, den das Abgeordnetenhaus um die Rechte der preußischen
Volksvertretung führen zu müssen glaubte, und keineswegs nur ein Ausfluß
persönlichen Hasses. Diese Erinnerung giebt ihm aber Veranlassung zu einer
nnr allzusehr berechtigten Betrachtung, wie in der ganzen deutschen Geschichte
der Parteigeist in den verschiedensten Formen die nationalen Interessen über¬
wuchert habe, und wie dabei in der Gegenwart persönliches Strebertum,
namentlich der Parteiführer eine weit größere Rolle spiele als die prinzi¬
piellen Gegensätze. Den Schluß des Abschnitts bildet das Handschreiben König
Wilhelms vom 15. September 1865, mit dem der Monarch seinen Minister
in den Grafcnstand erhob (vgl. Bismarck-Jahrbuch VI, 203 f.). Wenn Bismarck
später den Kampf um Schleswig-Holstein als den diplomatischen Feldzug be¬
zeichnet hat, auf den er am meisten stolz sei, und wenn er am liebsten die
Wappen der beiden Herzogtümer mit seinem Wappen verbunden hätte, so tritt
die Richtigkeit dieser Anschauung auch aus der fragmentarischen Gestalt seiner
Gedanken und Erinnerungen besonders deutlich hervor.




?0NtÄNe

eit die christliche Kirche das harmlose, beschauliche orientalische Kloster¬
wesen nach Europa verpflanzt und allmählich zum mannigfaltigsten
geschäftlichen Großbetrieb entwickelt hat, ist es, von den wenigen
Jahrhunderten des frühen Mittelalters abgesehen, in denen sich viele
Klöster der Jugenderziehung, litterarisch-gelehrter Beschäftigung und
der Urbarmachung unwirtlichen Bodens widmeten, oft zu einer Plage
für die menschliche Gesellschaft geworden. Aber erst seit wenig mehr als einem Jahr¬
hundert habe" es selbst katholische Fürsten gewagt, etwas gegen die mit pilzartiger
Wachstnmsschnelligkeit vor sich gehende Verbreitung des Mönchübels zu unter¬
nehmen. Doch alle Aufhebungsdekrete erwiesen sich immer und überall als gänzlich
unwirksam, sei es, daß die mächtige Papstkirche die baldige Aufhebung dieser Ver¬
ordnungen zu erreichen verstand, sei es, daß die Orden sie auf mehr oder weniger
verschlagne Weise umgingen. Augenblicklich steht das Mönchtum fast in allen
Ländern in einer Zeit der Blüte. Infolge einer liberalen Anwendung des preu¬
ßische" Gesetzes von 1L87 ersteht in Preußen ein Kloster nach dem andern.



') Politische Reden II, 35? ff.

Haß gegen Bismarck widerstrebt, daher auch trotz der Begeisterung, die sich
1848 für eine deutsche Flotte geregt habe, den Flottengründnngsplan ver¬
worfen, für den der Minister am 1. Juni 1865 in einer großen, hier nicht
nur zitierten, sondern auch teilweise wieder abgedruckten Rede eintrat. ^) Er
übersieht dabei natürlich, daß diese Verwerfung nnr eine Episode des erbitterten
Kampfes war, den das Abgeordnetenhaus um die Rechte der preußischen
Volksvertretung führen zu müssen glaubte, und keineswegs nur ein Ausfluß
persönlichen Hasses. Diese Erinnerung giebt ihm aber Veranlassung zu einer
nnr allzusehr berechtigten Betrachtung, wie in der ganzen deutschen Geschichte
der Parteigeist in den verschiedensten Formen die nationalen Interessen über¬
wuchert habe, und wie dabei in der Gegenwart persönliches Strebertum,
namentlich der Parteiführer eine weit größere Rolle spiele als die prinzi¬
piellen Gegensätze. Den Schluß des Abschnitts bildet das Handschreiben König
Wilhelms vom 15. September 1865, mit dem der Monarch seinen Minister
in den Grafcnstand erhob (vgl. Bismarck-Jahrbuch VI, 203 f.). Wenn Bismarck
später den Kampf um Schleswig-Holstein als den diplomatischen Feldzug be¬
zeichnet hat, auf den er am meisten stolz sei, und wenn er am liebsten die
Wappen der beiden Herzogtümer mit seinem Wappen verbunden hätte, so tritt
die Richtigkeit dieser Anschauung auch aus der fragmentarischen Gestalt seiner
Gedanken und Erinnerungen besonders deutlich hervor.




?0NtÄNe

eit die christliche Kirche das harmlose, beschauliche orientalische Kloster¬
wesen nach Europa verpflanzt und allmählich zum mannigfaltigsten
geschäftlichen Großbetrieb entwickelt hat, ist es, von den wenigen
Jahrhunderten des frühen Mittelalters abgesehen, in denen sich viele
Klöster der Jugenderziehung, litterarisch-gelehrter Beschäftigung und
der Urbarmachung unwirtlichen Bodens widmeten, oft zu einer Plage
für die menschliche Gesellschaft geworden. Aber erst seit wenig mehr als einem Jahr¬
hundert habe» es selbst katholische Fürsten gewagt, etwas gegen die mit pilzartiger
Wachstnmsschnelligkeit vor sich gehende Verbreitung des Mönchübels zu unter¬
nehmen. Doch alle Aufhebungsdekrete erwiesen sich immer und überall als gänzlich
unwirksam, sei es, daß die mächtige Papstkirche die baldige Aufhebung dieser Ver¬
ordnungen zu erreichen verstand, sei es, daß die Orden sie auf mehr oder weniger
verschlagne Weise umgingen. Augenblicklich steht das Mönchtum fast in allen
Ländern in einer Zeit der Blüte. Infolge einer liberalen Anwendung des preu¬
ßische» Gesetzes von 1L87 ersteht in Preußen ein Kloster nach dem andern.



') Politische Reden II, 35? ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0154" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/231966"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_591" prev="#ID_590"> Haß gegen Bismarck widerstrebt, daher auch trotz der Begeisterung, die sich<lb/>
1848 für eine deutsche Flotte geregt habe, den Flottengründnngsplan ver¬<lb/>
worfen, für den der Minister am 1. Juni 1865 in einer großen, hier nicht<lb/>
nur zitierten, sondern auch teilweise wieder abgedruckten Rede eintrat. ^) Er<lb/>
übersieht dabei natürlich, daß diese Verwerfung nnr eine Episode des erbitterten<lb/>
Kampfes war, den das Abgeordnetenhaus um die Rechte der preußischen<lb/>
Volksvertretung führen zu müssen glaubte, und keineswegs nur ein Ausfluß<lb/>
persönlichen Hasses. Diese Erinnerung giebt ihm aber Veranlassung zu einer<lb/>
nnr allzusehr berechtigten Betrachtung, wie in der ganzen deutschen Geschichte<lb/>
der Parteigeist in den verschiedensten Formen die nationalen Interessen über¬<lb/>
wuchert habe, und wie dabei in der Gegenwart persönliches Strebertum,<lb/>
namentlich der Parteiführer eine weit größere Rolle spiele als die prinzi¬<lb/>
piellen Gegensätze. Den Schluß des Abschnitts bildet das Handschreiben König<lb/>
Wilhelms vom 15. September 1865, mit dem der Monarch seinen Minister<lb/>
in den Grafcnstand erhob (vgl. Bismarck-Jahrbuch VI, 203 f.). Wenn Bismarck<lb/>
später den Kampf um Schleswig-Holstein als den diplomatischen Feldzug be¬<lb/>
zeichnet hat, auf den er am meisten stolz sei, und wenn er am liebsten die<lb/>
Wappen der beiden Herzogtümer mit seinem Wappen verbunden hätte, so tritt<lb/>
die Richtigkeit dieser Anschauung auch aus der fragmentarischen Gestalt seiner<lb/>
Gedanken und Erinnerungen besonders deutlich hervor.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> ?0NtÄNe</head><lb/>
          <p xml:id="ID_592" next="#ID_593"> eit die christliche Kirche das harmlose, beschauliche orientalische Kloster¬<lb/>
wesen nach Europa verpflanzt und allmählich zum mannigfaltigsten<lb/>
geschäftlichen Großbetrieb entwickelt hat, ist es, von den wenigen<lb/>
Jahrhunderten des frühen Mittelalters abgesehen, in denen sich viele<lb/>
Klöster der Jugenderziehung, litterarisch-gelehrter Beschäftigung und<lb/>
der Urbarmachung unwirtlichen Bodens widmeten, oft zu einer Plage<lb/>
für die menschliche Gesellschaft geworden. Aber erst seit wenig mehr als einem Jahr¬<lb/>
hundert habe» es selbst katholische Fürsten gewagt, etwas gegen die mit pilzartiger<lb/>
Wachstnmsschnelligkeit vor sich gehende Verbreitung des Mönchübels zu unter¬<lb/>
nehmen. Doch alle Aufhebungsdekrete erwiesen sich immer und überall als gänzlich<lb/>
unwirksam, sei es, daß die mächtige Papstkirche die baldige Aufhebung dieser Ver¬<lb/>
ordnungen zu erreichen verstand, sei es, daß die Orden sie auf mehr oder weniger<lb/>
verschlagne Weise umgingen. Augenblicklich steht das Mönchtum fast in allen<lb/>
Ländern in einer Zeit der Blüte. Infolge einer liberalen Anwendung des preu¬<lb/>
ßische» Gesetzes von 1L87 ersteht in Preußen ein Kloster nach dem andern.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_78" place="foot"> ') Politische Reden II, 35? ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0154] Haß gegen Bismarck widerstrebt, daher auch trotz der Begeisterung, die sich 1848 für eine deutsche Flotte geregt habe, den Flottengründnngsplan ver¬ worfen, für den der Minister am 1. Juni 1865 in einer großen, hier nicht nur zitierten, sondern auch teilweise wieder abgedruckten Rede eintrat. ^) Er übersieht dabei natürlich, daß diese Verwerfung nnr eine Episode des erbitterten Kampfes war, den das Abgeordnetenhaus um die Rechte der preußischen Volksvertretung führen zu müssen glaubte, und keineswegs nur ein Ausfluß persönlichen Hasses. Diese Erinnerung giebt ihm aber Veranlassung zu einer nnr allzusehr berechtigten Betrachtung, wie in der ganzen deutschen Geschichte der Parteigeist in den verschiedensten Formen die nationalen Interessen über¬ wuchert habe, und wie dabei in der Gegenwart persönliches Strebertum, namentlich der Parteiführer eine weit größere Rolle spiele als die prinzi¬ piellen Gegensätze. Den Schluß des Abschnitts bildet das Handschreiben König Wilhelms vom 15. September 1865, mit dem der Monarch seinen Minister in den Grafcnstand erhob (vgl. Bismarck-Jahrbuch VI, 203 f.). Wenn Bismarck später den Kampf um Schleswig-Holstein als den diplomatischen Feldzug be¬ zeichnet hat, auf den er am meisten stolz sei, und wenn er am liebsten die Wappen der beiden Herzogtümer mit seinem Wappen verbunden hätte, so tritt die Richtigkeit dieser Anschauung auch aus der fragmentarischen Gestalt seiner Gedanken und Erinnerungen besonders deutlich hervor. ?0NtÄNe eit die christliche Kirche das harmlose, beschauliche orientalische Kloster¬ wesen nach Europa verpflanzt und allmählich zum mannigfaltigsten geschäftlichen Großbetrieb entwickelt hat, ist es, von den wenigen Jahrhunderten des frühen Mittelalters abgesehen, in denen sich viele Klöster der Jugenderziehung, litterarisch-gelehrter Beschäftigung und der Urbarmachung unwirtlichen Bodens widmeten, oft zu einer Plage für die menschliche Gesellschaft geworden. Aber erst seit wenig mehr als einem Jahr¬ hundert habe» es selbst katholische Fürsten gewagt, etwas gegen die mit pilzartiger Wachstnmsschnelligkeit vor sich gehende Verbreitung des Mönchübels zu unter¬ nehmen. Doch alle Aufhebungsdekrete erwiesen sich immer und überall als gänzlich unwirksam, sei es, daß die mächtige Papstkirche die baldige Aufhebung dieser Ver¬ ordnungen zu erreichen verstand, sei es, daß die Orden sie auf mehr oder weniger verschlagne Weise umgingen. Augenblicklich steht das Mönchtum fast in allen Ländern in einer Zeit der Blüte. Infolge einer liberalen Anwendung des preu¬ ßische» Gesetzes von 1L87 ersteht in Preußen ein Kloster nach dem andern. ') Politische Reden II, 35? ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/154
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/154>, abgerufen am 07.05.2024.