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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Tod ""d Auferstehung der Philosophie

von Verthold von Regensburg aus dem Jahre 1250 aufmerksam gemacht
worden: "Der Teufel mache es so wie die Räuber, die an den Wegen gewisse
Zeichen anbringen, damit die Wandrer glaubten, sie seien auf dem richtigen
Wege, während sie durch diese Zeichen geraden Wegs zu den Höhlen der
Räuber gelockt würden; dieser Zeichen gebe es drei: gekreuzte Ästchen, zu¬
sammengelegte Steine und verknüpfte Ruten oder Dornsträuche." Dies sind
also genau dieselben Wcgezeichcn, deren sich noch heutigentags die Zigeuner
bedienen; es läßt sich annehmen, daß zur Zeit dieser Predigt, also vor mehr
als einem halben Jahrtausend, diese Zeichen ganz allgemein im Volke bekannt
und gebräuchlich waren; jetzt sind sie in dem übrigen Volke verschwunden, und
nur ein unscheinbares, halb vergessenes Landstreicherzeichen weist in eine graue
Vorzeit zurück.




Tod und Auferstehung der Philosophie
(Schluß)

choeler selbst rechnet sich nicht zu den Positiviste"; ich habe ihn
so genannt, weil er sich mit Verzicht auf alle Metaphysik an die
Wirklichkeit hält. Dagegen bekennt sich Gustav Ratzen böser,
von dem wir jetzt sprechen wollen, ausdrücklich zum Positivismus.
In seinem neusten Werke: Die soziologische Erkenntnis,
positive Philosophie des sozialen Lebens (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1898)
schreibt er: "Da die Philosophie bisher hauptsächlich nur zwei Hauptgebiete,
das Geistesleben und die materielle Erscheinungswelt, anerkannte, blieb ein
drittes Hauptgebiet von ihr zu wenig beachtet, das sowohl ein Geistesleben
als auch eine materielle Erscheinungswelt hat: das gesellschaftliche Leben. In
der Ergründung desselben muß die Philosophie ihr Wiedererwachen finden."
Die Soziologie, die dieses Gebiet bearbeitet, soll demnach die ganze Welt der
Erscheinungen, die geistige und die Körperwelt, umfassen. Daß diese Weite
der Umgrenzung nicht Illusionen Thür und Thor öffne, dafür sorge die
Positivistische Methode. Diese leiste Gewähr, daß der Boden der Thatsachen
nicht verlassen und nicht jener der nebelhaften Spekulation betreten werde, den
die Metaphysik wandle. Das Forschungsgebiet der positivistischen Wissenschaft
sei das zeitlich und räumlich Zugängliche; "ihr Gebiet gesetzmäßiger Erkenntnis
sind die Thatsachen, und ihr Gebiet des Vorausblicks sind die Bedürfnisse des
Menschen."


Tod »»d Auferstehung der Philosophie

von Verthold von Regensburg aus dem Jahre 1250 aufmerksam gemacht
worden: „Der Teufel mache es so wie die Räuber, die an den Wegen gewisse
Zeichen anbringen, damit die Wandrer glaubten, sie seien auf dem richtigen
Wege, während sie durch diese Zeichen geraden Wegs zu den Höhlen der
Räuber gelockt würden; dieser Zeichen gebe es drei: gekreuzte Ästchen, zu¬
sammengelegte Steine und verknüpfte Ruten oder Dornsträuche." Dies sind
also genau dieselben Wcgezeichcn, deren sich noch heutigentags die Zigeuner
bedienen; es läßt sich annehmen, daß zur Zeit dieser Predigt, also vor mehr
als einem halben Jahrtausend, diese Zeichen ganz allgemein im Volke bekannt
und gebräuchlich waren; jetzt sind sie in dem übrigen Volke verschwunden, und
nur ein unscheinbares, halb vergessenes Landstreicherzeichen weist in eine graue
Vorzeit zurück.




Tod und Auferstehung der Philosophie
(Schluß)

choeler selbst rechnet sich nicht zu den Positiviste»; ich habe ihn
so genannt, weil er sich mit Verzicht auf alle Metaphysik an die
Wirklichkeit hält. Dagegen bekennt sich Gustav Ratzen böser,
von dem wir jetzt sprechen wollen, ausdrücklich zum Positivismus.
In seinem neusten Werke: Die soziologische Erkenntnis,
positive Philosophie des sozialen Lebens (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1898)
schreibt er: „Da die Philosophie bisher hauptsächlich nur zwei Hauptgebiete,
das Geistesleben und die materielle Erscheinungswelt, anerkannte, blieb ein
drittes Hauptgebiet von ihr zu wenig beachtet, das sowohl ein Geistesleben
als auch eine materielle Erscheinungswelt hat: das gesellschaftliche Leben. In
der Ergründung desselben muß die Philosophie ihr Wiedererwachen finden."
Die Soziologie, die dieses Gebiet bearbeitet, soll demnach die ganze Welt der
Erscheinungen, die geistige und die Körperwelt, umfassen. Daß diese Weite
der Umgrenzung nicht Illusionen Thür und Thor öffne, dafür sorge die
Positivistische Methode. Diese leiste Gewähr, daß der Boden der Thatsachen
nicht verlassen und nicht jener der nebelhaften Spekulation betreten werde, den
die Metaphysik wandle. Das Forschungsgebiet der positivistischen Wissenschaft
sei das zeitlich und räumlich Zugängliche; „ihr Gebiet gesetzmäßiger Erkenntnis
sind die Thatsachen, und ihr Gebiet des Vorausblicks sind die Bedürfnisse des
Menschen."


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[0256] Tod »»d Auferstehung der Philosophie von Verthold von Regensburg aus dem Jahre 1250 aufmerksam gemacht worden: „Der Teufel mache es so wie die Räuber, die an den Wegen gewisse Zeichen anbringen, damit die Wandrer glaubten, sie seien auf dem richtigen Wege, während sie durch diese Zeichen geraden Wegs zu den Höhlen der Räuber gelockt würden; dieser Zeichen gebe es drei: gekreuzte Ästchen, zu¬ sammengelegte Steine und verknüpfte Ruten oder Dornsträuche." Dies sind also genau dieselben Wcgezeichcn, deren sich noch heutigentags die Zigeuner bedienen; es läßt sich annehmen, daß zur Zeit dieser Predigt, also vor mehr als einem halben Jahrtausend, diese Zeichen ganz allgemein im Volke bekannt und gebräuchlich waren; jetzt sind sie in dem übrigen Volke verschwunden, und nur ein unscheinbares, halb vergessenes Landstreicherzeichen weist in eine graue Vorzeit zurück. Tod und Auferstehung der Philosophie (Schluß) choeler selbst rechnet sich nicht zu den Positiviste»; ich habe ihn so genannt, weil er sich mit Verzicht auf alle Metaphysik an die Wirklichkeit hält. Dagegen bekennt sich Gustav Ratzen böser, von dem wir jetzt sprechen wollen, ausdrücklich zum Positivismus. In seinem neusten Werke: Die soziologische Erkenntnis, positive Philosophie des sozialen Lebens (Leipzig, F. A. Brockhaus, 1898) schreibt er: „Da die Philosophie bisher hauptsächlich nur zwei Hauptgebiete, das Geistesleben und die materielle Erscheinungswelt, anerkannte, blieb ein drittes Hauptgebiet von ihr zu wenig beachtet, das sowohl ein Geistesleben als auch eine materielle Erscheinungswelt hat: das gesellschaftliche Leben. In der Ergründung desselben muß die Philosophie ihr Wiedererwachen finden." Die Soziologie, die dieses Gebiet bearbeitet, soll demnach die ganze Welt der Erscheinungen, die geistige und die Körperwelt, umfassen. Daß diese Weite der Umgrenzung nicht Illusionen Thür und Thor öffne, dafür sorge die Positivistische Methode. Diese leiste Gewähr, daß der Boden der Thatsachen nicht verlassen und nicht jener der nebelhaften Spekulation betreten werde, den die Metaphysik wandle. Das Forschungsgebiet der positivistischen Wissenschaft sei das zeitlich und räumlich Zugängliche; „ihr Gebiet gesetzmäßiger Erkenntnis sind die Thatsachen, und ihr Gebiet des Vorausblicks sind die Bedürfnisse des Menschen."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/256>, abgerufen am 07.05.2024.