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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Der Schutz der Arbeitswilligen

man die allgemeinen Zusicherungen sogenannter "Kompensationen" -- von
vornherein ein unglücklicher und nicht zutreffender Ausdruck -- fallen lassen,
einen Ausgleich der verschleimen örtlichen Interessen vielmehr durch einen
umfassenden programmatischen, wohl erwognen und mit Kostenanschlägen aus¬
gerüsteten Plan herbeizuführen suchen, dessen Ausführung nach Art des Flotten-
gründungsplans in verschiednen, gesetzlich festzulegenden Bauperioden zu er¬
folgen hätte. Das ist bei sachgemäßer, gründlicher und prüfungsfühiger Vor¬
bereitung ein gesunder Gedanke, der auch den Konservativen ein Einlenken und
eine sachliche Mitarbeit ermöglicht. Geschieht das, so liegt jeder Gedanke einer
Zumutung an die Konservativen, durch ein kaudinisches Joch zu kriechen, weit
ab. Dann aber kauu auch die Negierung bei Wiederannäherung der Konser¬
vativen zu gemeinsamer positiver Mitarbeit durch Wiederanstellung einiger der
zur Disposition gestellte!? Beamten, die das Disziplincirgesetz ausdrücklich vor¬
schreibt, den Beweis liefern, daß es ihr nicht um eine Brüskierung oder
Krcinknug konservativer Abgeordneten, sondern lediglich um die Aufrechterhal¬
tung der Staatsautorität zu thun war. Und wenn die Konservativen zu dieser
Erkenntnis kommen, so bedeutet das einen Fortschritt zur Gesundung unsers
Parteilebens. Dann kann eine unglückliche Verirrung der Ausgangspunkt zu
xr einem dauernden heilsamen Fortschritt werden. Gott gebe es!




Der Schutz der Arbeitswilligen

as Verhalten der Neichstagsmehrheit gegenüber dem Gesetzentwurf
zum Schutz der Arbeitswilligen in der erste" Lesung vom 19.
bis 22. Juni dieses Jahres ist in den Grenzboten schon be¬
sprochen worden,^) Es kam dabei hauptsächlich darauf an, dem
in der öffentlichen Meinung in einem für unsre Zeit beschämenden
Maße erfolgreich erregten Irrtum entgegen zu treten, die Vorlage bedeute
einen neuen und besonders feindseligen Angriff auf das gute Recht, die Freiheit
und die Wohlfahrt der arbeitenden Klaffen im Interesse der Unternehmer,
wozu der Kaiser persönlich nicht nur die Anregung gegeben, sondern auch gegen
alle mildern und liberalem Strömungen unter den verbündeten Regierungen
seinen ganzen Einfluß aufgeboten habe. Sollte überhaupt der Boden für eine
unbefangne Behandlung der Vorlage gefunden werden, so konnte den beteiligten



Heft 28, 29 und 3l dieses Jahrgangs,
Der Schutz der Arbeitswilligen

man die allgemeinen Zusicherungen sogenannter „Kompensationen" — von
vornherein ein unglücklicher und nicht zutreffender Ausdruck — fallen lassen,
einen Ausgleich der verschleimen örtlichen Interessen vielmehr durch einen
umfassenden programmatischen, wohl erwognen und mit Kostenanschlägen aus¬
gerüsteten Plan herbeizuführen suchen, dessen Ausführung nach Art des Flotten-
gründungsplans in verschiednen, gesetzlich festzulegenden Bauperioden zu er¬
folgen hätte. Das ist bei sachgemäßer, gründlicher und prüfungsfühiger Vor¬
bereitung ein gesunder Gedanke, der auch den Konservativen ein Einlenken und
eine sachliche Mitarbeit ermöglicht. Geschieht das, so liegt jeder Gedanke einer
Zumutung an die Konservativen, durch ein kaudinisches Joch zu kriechen, weit
ab. Dann aber kauu auch die Negierung bei Wiederannäherung der Konser¬
vativen zu gemeinsamer positiver Mitarbeit durch Wiederanstellung einiger der
zur Disposition gestellte!? Beamten, die das Disziplincirgesetz ausdrücklich vor¬
schreibt, den Beweis liefern, daß es ihr nicht um eine Brüskierung oder
Krcinknug konservativer Abgeordneten, sondern lediglich um die Aufrechterhal¬
tung der Staatsautorität zu thun war. Und wenn die Konservativen zu dieser
Erkenntnis kommen, so bedeutet das einen Fortschritt zur Gesundung unsers
Parteilebens. Dann kann eine unglückliche Verirrung der Ausgangspunkt zu
xr einem dauernden heilsamen Fortschritt werden. Gott gebe es!




Der Schutz der Arbeitswilligen

as Verhalten der Neichstagsmehrheit gegenüber dem Gesetzentwurf
zum Schutz der Arbeitswilligen in der erste» Lesung vom 19.
bis 22. Juni dieses Jahres ist in den Grenzboten schon be¬
sprochen worden,^) Es kam dabei hauptsächlich darauf an, dem
in der öffentlichen Meinung in einem für unsre Zeit beschämenden
Maße erfolgreich erregten Irrtum entgegen zu treten, die Vorlage bedeute
einen neuen und besonders feindseligen Angriff auf das gute Recht, die Freiheit
und die Wohlfahrt der arbeitenden Klaffen im Interesse der Unternehmer,
wozu der Kaiser persönlich nicht nur die Anregung gegeben, sondern auch gegen
alle mildern und liberalem Strömungen unter den verbündeten Regierungen
seinen ganzen Einfluß aufgeboten habe. Sollte überhaupt der Boden für eine
unbefangne Behandlung der Vorlage gefunden werden, so konnte den beteiligten



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[0298] Der Schutz der Arbeitswilligen man die allgemeinen Zusicherungen sogenannter „Kompensationen" — von vornherein ein unglücklicher und nicht zutreffender Ausdruck — fallen lassen, einen Ausgleich der verschleimen örtlichen Interessen vielmehr durch einen umfassenden programmatischen, wohl erwognen und mit Kostenanschlägen aus¬ gerüsteten Plan herbeizuführen suchen, dessen Ausführung nach Art des Flotten- gründungsplans in verschiednen, gesetzlich festzulegenden Bauperioden zu er¬ folgen hätte. Das ist bei sachgemäßer, gründlicher und prüfungsfühiger Vor¬ bereitung ein gesunder Gedanke, der auch den Konservativen ein Einlenken und eine sachliche Mitarbeit ermöglicht. Geschieht das, so liegt jeder Gedanke einer Zumutung an die Konservativen, durch ein kaudinisches Joch zu kriechen, weit ab. Dann aber kauu auch die Negierung bei Wiederannäherung der Konser¬ vativen zu gemeinsamer positiver Mitarbeit durch Wiederanstellung einiger der zur Disposition gestellte!? Beamten, die das Disziplincirgesetz ausdrücklich vor¬ schreibt, den Beweis liefern, daß es ihr nicht um eine Brüskierung oder Krcinknug konservativer Abgeordneten, sondern lediglich um die Aufrechterhal¬ tung der Staatsautorität zu thun war. Und wenn die Konservativen zu dieser Erkenntnis kommen, so bedeutet das einen Fortschritt zur Gesundung unsers Parteilebens. Dann kann eine unglückliche Verirrung der Ausgangspunkt zu xr einem dauernden heilsamen Fortschritt werden. Gott gebe es! Der Schutz der Arbeitswilligen as Verhalten der Neichstagsmehrheit gegenüber dem Gesetzentwurf zum Schutz der Arbeitswilligen in der erste» Lesung vom 19. bis 22. Juni dieses Jahres ist in den Grenzboten schon be¬ sprochen worden,^) Es kam dabei hauptsächlich darauf an, dem in der öffentlichen Meinung in einem für unsre Zeit beschämenden Maße erfolgreich erregten Irrtum entgegen zu treten, die Vorlage bedeute einen neuen und besonders feindseligen Angriff auf das gute Recht, die Freiheit und die Wohlfahrt der arbeitenden Klaffen im Interesse der Unternehmer, wozu der Kaiser persönlich nicht nur die Anregung gegeben, sondern auch gegen alle mildern und liberalem Strömungen unter den verbündeten Regierungen seinen ganzen Einfluß aufgeboten habe. Sollte überhaupt der Boden für eine unbefangne Behandlung der Vorlage gefunden werden, so konnte den beteiligten Heft 28, 29 und 3l dieses Jahrgangs,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/298>, abgerufen am 07.05.2024.