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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Die Thronfolge in Sachsen Loburg und Gonda

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Somit bleibt mir nur noch übrig, einige Ansichten, die im Laufe des
öffentlichen Meinungsaustauschs vor der Regelung der Angelegenheit zu Tage
getreten sind, einer kritischen Prüfung zu unterziehn.

Hier ist in erster Linie des in dieser Zeitschrift^) gemachten Vorschlags
zu gedenken, "auf dem Wege der gütlichen Vereinbarung" "veraltete Rechte,
die weder unserm heutigen nationalen Empfinden, noch unsrer Würde, noch
vielleicht unsrer Sicherheit entsprechen, abzulösen." Was hier vorgeschlagen
wird, ist, kurz gesagt: eine Ablösung durch Kauf seitens des Deutschen Reichs.
Auf den erste" Blick hat dieser Vorschlag viel Bestechendes. Sieht man aber
naher hin, so erkennt man leicht, daß er nach jeder Richtung hin gänzlich
undurchführbar ist. Das nachzuweisen scheint mir wichtig genug, die Geduld
meiner Leser noch etwas in Anspruch zu nehmen, denn leicht können ähnliche
Vorschlüge wiederkehren. Man denke nur an Oldenburg und Württemberg.
Sagt doch auch der Verfasser des Aufsatzes in dieser Zeitschrift: "Man könnte
grundsätzlich aussprechen, daß sich das Reich die Ablösung derartiger Rechte
vorbehält, sobald ein Thron an einen Ausländer fallen würde."

Als Erwerber ist also gedacht: das Deutsche Reich. Was soll es nun
mit dem erworbnen Lande machen? Man wird sagen: ein Reichsland, wie
Elsaß-Lothringen. Schön! Und was wird aus der Stimme der nun, nehme
man an, Reichsland gewordnen Herzogtümer Coburg und Gotha im Bundes¬
rat? Das Reichsland Elsaß-Lothringen hat keine Stimme im Bundesrat,
was nur logisch ist. Die ehemalige Stimme Coburg-Gothas Hütte also weg¬
zufallen. Das klingt sehr einfach, ist es aber in Wahrheit durchaus nicht.

Die Verteilung der Stimmen im Bundesrat ist ein mathematisches Kunst¬
werk. Es sind im ganzen 58 Stimmen. Die einfache Majorität sind
Z0 Stimmen. Bei Stimmengleichheit, also bei 29 gegen 29 Stimmen giebt
die preußische den Ausschlag. Eine Verminderung der Stimmen um eine würde
bewirken, daß Preußen statt mit 30 mit 29 Stimmen überstimmt werden könnte.
Das wäre also eine Veränderung des Einflusses Preußens im Bundesrat. Das
wird man ohne Bedenken als verderblich bezeichnen können.

Es bliebe noch zu erörtern die Möglichkeit einer Ablösung durch Preußen.
Dann müßte doch Preußen billigerweise die Stimme von Sachsen Coburg und
Gotha hinzu erwerben. Theoretisch wäre dagegen nichts einzuwenden. Wie
würde das aber wirken auf das Stimmenverhältnis?

Abänderungen der Reichsverfassung sind unmöglich, wenn im Bundes¬
rat 14 Stimmen dagegen sind. Preußen hat im Bundesrat 17 Stimmen.
Ohne Preußen sind sie also immer unmöglich. Das ist nicht mehr wie natürlich.
Ebenso sind sie unmöglich, wenn die drei Königreiche Bayern (6), Sachsen <4),



>) Ur. 22 a, a. O-, S, 4S9,
Die Thronfolge in Sachsen Loburg und Gonda

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Somit bleibt mir nur noch übrig, einige Ansichten, die im Laufe des
öffentlichen Meinungsaustauschs vor der Regelung der Angelegenheit zu Tage
getreten sind, einer kritischen Prüfung zu unterziehn.

Hier ist in erster Linie des in dieser Zeitschrift^) gemachten Vorschlags
zu gedenken, „auf dem Wege der gütlichen Vereinbarung" „veraltete Rechte,
die weder unserm heutigen nationalen Empfinden, noch unsrer Würde, noch
vielleicht unsrer Sicherheit entsprechen, abzulösen." Was hier vorgeschlagen
wird, ist, kurz gesagt: eine Ablösung durch Kauf seitens des Deutschen Reichs.
Auf den erste» Blick hat dieser Vorschlag viel Bestechendes. Sieht man aber
naher hin, so erkennt man leicht, daß er nach jeder Richtung hin gänzlich
undurchführbar ist. Das nachzuweisen scheint mir wichtig genug, die Geduld
meiner Leser noch etwas in Anspruch zu nehmen, denn leicht können ähnliche
Vorschlüge wiederkehren. Man denke nur an Oldenburg und Württemberg.
Sagt doch auch der Verfasser des Aufsatzes in dieser Zeitschrift: „Man könnte
grundsätzlich aussprechen, daß sich das Reich die Ablösung derartiger Rechte
vorbehält, sobald ein Thron an einen Ausländer fallen würde."

Als Erwerber ist also gedacht: das Deutsche Reich. Was soll es nun
mit dem erworbnen Lande machen? Man wird sagen: ein Reichsland, wie
Elsaß-Lothringen. Schön! Und was wird aus der Stimme der nun, nehme
man an, Reichsland gewordnen Herzogtümer Coburg und Gotha im Bundes¬
rat? Das Reichsland Elsaß-Lothringen hat keine Stimme im Bundesrat,
was nur logisch ist. Die ehemalige Stimme Coburg-Gothas Hütte also weg¬
zufallen. Das klingt sehr einfach, ist es aber in Wahrheit durchaus nicht.

Die Verteilung der Stimmen im Bundesrat ist ein mathematisches Kunst¬
werk. Es sind im ganzen 58 Stimmen. Die einfache Majorität sind
Z0 Stimmen. Bei Stimmengleichheit, also bei 29 gegen 29 Stimmen giebt
die preußische den Ausschlag. Eine Verminderung der Stimmen um eine würde
bewirken, daß Preußen statt mit 30 mit 29 Stimmen überstimmt werden könnte.
Das wäre also eine Veränderung des Einflusses Preußens im Bundesrat. Das
wird man ohne Bedenken als verderblich bezeichnen können.

Es bliebe noch zu erörtern die Möglichkeit einer Ablösung durch Preußen.
Dann müßte doch Preußen billigerweise die Stimme von Sachsen Coburg und
Gotha hinzu erwerben. Theoretisch wäre dagegen nichts einzuwenden. Wie
würde das aber wirken auf das Stimmenverhältnis?

Abänderungen der Reichsverfassung sind unmöglich, wenn im Bundes¬
rat 14 Stimmen dagegen sind. Preußen hat im Bundesrat 17 Stimmen.
Ohne Preußen sind sie also immer unmöglich. Das ist nicht mehr wie natürlich.
Ebenso sind sie unmöglich, wenn die drei Königreiche Bayern (6), Sachsen <4),



>) Ur. 22 a, a. O-, S, 4S9,
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[0036] Die Thronfolge in Sachsen Loburg und Gonda 5 Somit bleibt mir nur noch übrig, einige Ansichten, die im Laufe des öffentlichen Meinungsaustauschs vor der Regelung der Angelegenheit zu Tage getreten sind, einer kritischen Prüfung zu unterziehn. Hier ist in erster Linie des in dieser Zeitschrift^) gemachten Vorschlags zu gedenken, „auf dem Wege der gütlichen Vereinbarung" „veraltete Rechte, die weder unserm heutigen nationalen Empfinden, noch unsrer Würde, noch vielleicht unsrer Sicherheit entsprechen, abzulösen." Was hier vorgeschlagen wird, ist, kurz gesagt: eine Ablösung durch Kauf seitens des Deutschen Reichs. Auf den erste» Blick hat dieser Vorschlag viel Bestechendes. Sieht man aber naher hin, so erkennt man leicht, daß er nach jeder Richtung hin gänzlich undurchführbar ist. Das nachzuweisen scheint mir wichtig genug, die Geduld meiner Leser noch etwas in Anspruch zu nehmen, denn leicht können ähnliche Vorschlüge wiederkehren. Man denke nur an Oldenburg und Württemberg. Sagt doch auch der Verfasser des Aufsatzes in dieser Zeitschrift: „Man könnte grundsätzlich aussprechen, daß sich das Reich die Ablösung derartiger Rechte vorbehält, sobald ein Thron an einen Ausländer fallen würde." Als Erwerber ist also gedacht: das Deutsche Reich. Was soll es nun mit dem erworbnen Lande machen? Man wird sagen: ein Reichsland, wie Elsaß-Lothringen. Schön! Und was wird aus der Stimme der nun, nehme man an, Reichsland gewordnen Herzogtümer Coburg und Gotha im Bundes¬ rat? Das Reichsland Elsaß-Lothringen hat keine Stimme im Bundesrat, was nur logisch ist. Die ehemalige Stimme Coburg-Gothas Hütte also weg¬ zufallen. Das klingt sehr einfach, ist es aber in Wahrheit durchaus nicht. Die Verteilung der Stimmen im Bundesrat ist ein mathematisches Kunst¬ werk. Es sind im ganzen 58 Stimmen. Die einfache Majorität sind Z0 Stimmen. Bei Stimmengleichheit, also bei 29 gegen 29 Stimmen giebt die preußische den Ausschlag. Eine Verminderung der Stimmen um eine würde bewirken, daß Preußen statt mit 30 mit 29 Stimmen überstimmt werden könnte. Das wäre also eine Veränderung des Einflusses Preußens im Bundesrat. Das wird man ohne Bedenken als verderblich bezeichnen können. Es bliebe noch zu erörtern die Möglichkeit einer Ablösung durch Preußen. Dann müßte doch Preußen billigerweise die Stimme von Sachsen Coburg und Gotha hinzu erwerben. Theoretisch wäre dagegen nichts einzuwenden. Wie würde das aber wirken auf das Stimmenverhältnis? Abänderungen der Reichsverfassung sind unmöglich, wenn im Bundes¬ rat 14 Stimmen dagegen sind. Preußen hat im Bundesrat 17 Stimmen. Ohne Preußen sind sie also immer unmöglich. Das ist nicht mehr wie natürlich. Ebenso sind sie unmöglich, wenn die drei Königreiche Bayern (6), Sachsen <4), >) Ur. 22 a, a. O-, S, 4S9,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/36>, abgerufen am 07.05.2024.