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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Karl von Villers und Frau von Htael

in Oktober 1803 trat Frau von Stae'l, auf Befehl des Erstell
Konsuls aus Frankreich ausgewiesen, ihre Reise in die Ver¬
bannung an. Sie war tief unglücklich. Vergebens hatte sie alles
gethan, den Beschluß des Allmächtigen abzuwenden. Sie fühlte,
daß sie mit unzerreißbaren Banden, mit einer Art "geheimnis¬
voller Liebe" an das Land ihrer Geburt gekettet war. Und wohin sollte sie
sich wenden? Nach Italien, nach England, nach Deutschland? Sie entschied
sich für Deutschland. Der Gedanke einer deutschen Reise war ihr schon früher
gekommen und hatte allmählich Wurzel gefaßt. Sie hatte dabei ein starkes
Widerstreben zu überwinden, das aber dem stärkern Zug nach einer wirklichen
Kenntnis deutscher Art und Litteratur wich. Ein Hindernis war die Sprache.
Sie kannte nur, was von Klopstock, Schiller und Goethe ins Französische
übersetzt worden war. Als ihr Goethe im Jahre 1797 seinen Wilhelm Meister
zusandte, schrieb sie an einen Freund in Zürich, da sie kein Deutsch verstehe,
habe sie bloß den prächtigen Einband bewundern können, und Benjamin
Constant habe ihr versichert, sie habe das bessere Teil erwählt als er, der den
Roman gelesen hatte. Doch eben in dieser Zeit fängt sie an, "mit Resignation"
das Deutsche zu erlernen, und bald spricht sie von dem "rasenden Eifer,"
womit sie es betreibt. Wilhelm von Humboldt kommt und bietet ihr seine
Hilfe an. In ihrem Buche über die Litteratur (1799) weist sie schon ihre
Landsleute auf die Gedankenwelt und die überlegne Poesie des Nordens hin,
mehr aus einem gewissen Instinkt als aus zureichender Erkenntnis heraus.
Doch bald daraus erhält sie einen mächtigen Anstoß durch die Schrift des
Lothringers Karl von Villers über Kant (1801), die ihre Aufmerksamkeit auf
die neue deutsche Philosophie lenkt.

Villers, der als französischer Offizier den Jakobinern die Wahrheit gesagt
hatte und dafür Frankreich verlassen mußte, lebte seit 1797 in Göttingen und
von seiner Freundin Frau Dorothea Schlözer-Rodde gefesselt in Lübeck. Mit
begeistertem Eifer hatte er sich in die deutsche Litteratur und Wissenschaft ein¬
gelebt, war der Gesinnung nach ganz Deutscher geworden, ganz von dem Beruf
erfüllt, die neue Welt, die ihm aufgegangen war, seinen Landsleuten zu er¬
schließen. Dieser Beruf wurde das Lebenswerk des Mannes, dem alle, die




Karl von Villers und Frau von Htael

in Oktober 1803 trat Frau von Stae'l, auf Befehl des Erstell
Konsuls aus Frankreich ausgewiesen, ihre Reise in die Ver¬
bannung an. Sie war tief unglücklich. Vergebens hatte sie alles
gethan, den Beschluß des Allmächtigen abzuwenden. Sie fühlte,
daß sie mit unzerreißbaren Banden, mit einer Art „geheimnis¬
voller Liebe" an das Land ihrer Geburt gekettet war. Und wohin sollte sie
sich wenden? Nach Italien, nach England, nach Deutschland? Sie entschied
sich für Deutschland. Der Gedanke einer deutschen Reise war ihr schon früher
gekommen und hatte allmählich Wurzel gefaßt. Sie hatte dabei ein starkes
Widerstreben zu überwinden, das aber dem stärkern Zug nach einer wirklichen
Kenntnis deutscher Art und Litteratur wich. Ein Hindernis war die Sprache.
Sie kannte nur, was von Klopstock, Schiller und Goethe ins Französische
übersetzt worden war. Als ihr Goethe im Jahre 1797 seinen Wilhelm Meister
zusandte, schrieb sie an einen Freund in Zürich, da sie kein Deutsch verstehe,
habe sie bloß den prächtigen Einband bewundern können, und Benjamin
Constant habe ihr versichert, sie habe das bessere Teil erwählt als er, der den
Roman gelesen hatte. Doch eben in dieser Zeit fängt sie an, „mit Resignation"
das Deutsche zu erlernen, und bald spricht sie von dem „rasenden Eifer,"
womit sie es betreibt. Wilhelm von Humboldt kommt und bietet ihr seine
Hilfe an. In ihrem Buche über die Litteratur (1799) weist sie schon ihre
Landsleute auf die Gedankenwelt und die überlegne Poesie des Nordens hin,
mehr aus einem gewissen Instinkt als aus zureichender Erkenntnis heraus.
Doch bald daraus erhält sie einen mächtigen Anstoß durch die Schrift des
Lothringers Karl von Villers über Kant (1801), die ihre Aufmerksamkeit auf
die neue deutsche Philosophie lenkt.

Villers, der als französischer Offizier den Jakobinern die Wahrheit gesagt
hatte und dafür Frankreich verlassen mußte, lebte seit 1797 in Göttingen und
von seiner Freundin Frau Dorothea Schlözer-Rodde gefesselt in Lübeck. Mit
begeistertem Eifer hatte er sich in die deutsche Litteratur und Wissenschaft ein¬
gelebt, war der Gesinnung nach ganz Deutscher geworden, ganz von dem Beruf
erfüllt, die neue Welt, die ihm aufgegangen war, seinen Landsleuten zu er¬
schließen. Dieser Beruf wurde das Lebenswerk des Mannes, dem alle, die


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[0039] [Abbildung] Karl von Villers und Frau von Htael in Oktober 1803 trat Frau von Stae'l, auf Befehl des Erstell Konsuls aus Frankreich ausgewiesen, ihre Reise in die Ver¬ bannung an. Sie war tief unglücklich. Vergebens hatte sie alles gethan, den Beschluß des Allmächtigen abzuwenden. Sie fühlte, daß sie mit unzerreißbaren Banden, mit einer Art „geheimnis¬ voller Liebe" an das Land ihrer Geburt gekettet war. Und wohin sollte sie sich wenden? Nach Italien, nach England, nach Deutschland? Sie entschied sich für Deutschland. Der Gedanke einer deutschen Reise war ihr schon früher gekommen und hatte allmählich Wurzel gefaßt. Sie hatte dabei ein starkes Widerstreben zu überwinden, das aber dem stärkern Zug nach einer wirklichen Kenntnis deutscher Art und Litteratur wich. Ein Hindernis war die Sprache. Sie kannte nur, was von Klopstock, Schiller und Goethe ins Französische übersetzt worden war. Als ihr Goethe im Jahre 1797 seinen Wilhelm Meister zusandte, schrieb sie an einen Freund in Zürich, da sie kein Deutsch verstehe, habe sie bloß den prächtigen Einband bewundern können, und Benjamin Constant habe ihr versichert, sie habe das bessere Teil erwählt als er, der den Roman gelesen hatte. Doch eben in dieser Zeit fängt sie an, „mit Resignation" das Deutsche zu erlernen, und bald spricht sie von dem „rasenden Eifer," womit sie es betreibt. Wilhelm von Humboldt kommt und bietet ihr seine Hilfe an. In ihrem Buche über die Litteratur (1799) weist sie schon ihre Landsleute auf die Gedankenwelt und die überlegne Poesie des Nordens hin, mehr aus einem gewissen Instinkt als aus zureichender Erkenntnis heraus. Doch bald daraus erhält sie einen mächtigen Anstoß durch die Schrift des Lothringers Karl von Villers über Kant (1801), die ihre Aufmerksamkeit auf die neue deutsche Philosophie lenkt. Villers, der als französischer Offizier den Jakobinern die Wahrheit gesagt hatte und dafür Frankreich verlassen mußte, lebte seit 1797 in Göttingen und von seiner Freundin Frau Dorothea Schlözer-Rodde gefesselt in Lübeck. Mit begeistertem Eifer hatte er sich in die deutsche Litteratur und Wissenschaft ein¬ gelebt, war der Gesinnung nach ganz Deutscher geworden, ganz von dem Beruf erfüllt, die neue Welt, die ihm aufgegangen war, seinen Landsleuten zu er¬ schließen. Dieser Beruf wurde das Lebenswerk des Mannes, dem alle, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/39>, abgerufen am 07.05.2024.