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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Für Deutschlands Zukunft!

er die Machtverschiebungen unter den herrschenden Völkern der
Erde verfolgt und unbeirrt von Tagesgeschwätz sein politisches
Urteil auf Thatsachen gründet, erkennt, daß eine Nation, die
unabhängig bleiben und ein eignes Leben führen will, in unserm
Zeitalter zu immer größerer Machtentfaltung gezwungen wird.
Eine Nation, die diesem Zwange nicht folgen kann oder nicht folgen will, wird
den Anspruch, zu den Großmächten gerechnet zu werden, verlieren und muß
von der Gnade oder von der Eifersucht und von dem Neide der Großmächte
ihr Dasein fristen. Der stetig wachsende Weltverkehr der Völker hat die Macht¬
entfaltung auf dem Meere zur Folge und damit das Wachsen der Kriegsflotten.
Nur eine Nation, die über eine starke Flotte ans dem Ozean und nicht nur
an den heimischen Küsten verfügt, wird zu den Großmächten gerechnet werden
können. Die Kriegsflotte, die den Schutz des Weltverkehrs gegen Störungen
durch Wettbewerber im Frieden und im Kriege zu übernehmen hat, ist jetzt
das von Jahr zu Jahr an Wichtigkeit wachsende Werkzeug der Diplomatie
jeder Großmacht. Bei Inselstaaten wie England, Japan und den Vereinigten
Staaten ist deshalb der Schwerpunkt der Macht längst in die Flotte gelegt
worden, weil diese Staaten Machtfragen mit irgend welchen Gegnern nur dann
zu ihren Gunsten auskämpfen können, solange sie nicht von der See verdrängt
werden. Das Seemachtsbedürfnis dieser Inselstaaten ist längst allgemein an¬
erkannt; es ist noch keine Stimme in Deutschland laut geworden, die es un¬
vernünftig oder unzweckmäßig gefunden hätte, daß England eine große Flotte
für seine Weltpolitik hält, "ut daß die Vereinigten Staaten und Japan be¬
müht sind, in kurzem auch ihrerseits über große Flotten zu verfügen.

Die Inselstaaten sind freilich in günstigerer strategischer Lage als die
Festlandstaaten; sie können einseitig bleiben und die größten Mittel auf ihre


Grenzboten IV 1899 49


Für Deutschlands Zukunft!

er die Machtverschiebungen unter den herrschenden Völkern der
Erde verfolgt und unbeirrt von Tagesgeschwätz sein politisches
Urteil auf Thatsachen gründet, erkennt, daß eine Nation, die
unabhängig bleiben und ein eignes Leben führen will, in unserm
Zeitalter zu immer größerer Machtentfaltung gezwungen wird.
Eine Nation, die diesem Zwange nicht folgen kann oder nicht folgen will, wird
den Anspruch, zu den Großmächten gerechnet zu werden, verlieren und muß
von der Gnade oder von der Eifersucht und von dem Neide der Großmächte
ihr Dasein fristen. Der stetig wachsende Weltverkehr der Völker hat die Macht¬
entfaltung auf dem Meere zur Folge und damit das Wachsen der Kriegsflotten.
Nur eine Nation, die über eine starke Flotte ans dem Ozean und nicht nur
an den heimischen Küsten verfügt, wird zu den Großmächten gerechnet werden
können. Die Kriegsflotte, die den Schutz des Weltverkehrs gegen Störungen
durch Wettbewerber im Frieden und im Kriege zu übernehmen hat, ist jetzt
das von Jahr zu Jahr an Wichtigkeit wachsende Werkzeug der Diplomatie
jeder Großmacht. Bei Inselstaaten wie England, Japan und den Vereinigten
Staaten ist deshalb der Schwerpunkt der Macht längst in die Flotte gelegt
worden, weil diese Staaten Machtfragen mit irgend welchen Gegnern nur dann
zu ihren Gunsten auskämpfen können, solange sie nicht von der See verdrängt
werden. Das Seemachtsbedürfnis dieser Inselstaaten ist längst allgemein an¬
erkannt; es ist noch keine Stimme in Deutschland laut geworden, die es un¬
vernünftig oder unzweckmäßig gefunden hätte, daß England eine große Flotte
für seine Weltpolitik hält, »ut daß die Vereinigten Staaten und Japan be¬
müht sind, in kurzem auch ihrerseits über große Flotten zu verfügen.

Die Inselstaaten sind freilich in günstigerer strategischer Lage als die
Festlandstaaten; sie können einseitig bleiben und die größten Mittel auf ihre


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[0399] [Abbildung] Für Deutschlands Zukunft! er die Machtverschiebungen unter den herrschenden Völkern der Erde verfolgt und unbeirrt von Tagesgeschwätz sein politisches Urteil auf Thatsachen gründet, erkennt, daß eine Nation, die unabhängig bleiben und ein eignes Leben führen will, in unserm Zeitalter zu immer größerer Machtentfaltung gezwungen wird. Eine Nation, die diesem Zwange nicht folgen kann oder nicht folgen will, wird den Anspruch, zu den Großmächten gerechnet zu werden, verlieren und muß von der Gnade oder von der Eifersucht und von dem Neide der Großmächte ihr Dasein fristen. Der stetig wachsende Weltverkehr der Völker hat die Macht¬ entfaltung auf dem Meere zur Folge und damit das Wachsen der Kriegsflotten. Nur eine Nation, die über eine starke Flotte ans dem Ozean und nicht nur an den heimischen Küsten verfügt, wird zu den Großmächten gerechnet werden können. Die Kriegsflotte, die den Schutz des Weltverkehrs gegen Störungen durch Wettbewerber im Frieden und im Kriege zu übernehmen hat, ist jetzt das von Jahr zu Jahr an Wichtigkeit wachsende Werkzeug der Diplomatie jeder Großmacht. Bei Inselstaaten wie England, Japan und den Vereinigten Staaten ist deshalb der Schwerpunkt der Macht längst in die Flotte gelegt worden, weil diese Staaten Machtfragen mit irgend welchen Gegnern nur dann zu ihren Gunsten auskämpfen können, solange sie nicht von der See verdrängt werden. Das Seemachtsbedürfnis dieser Inselstaaten ist längst allgemein an¬ erkannt; es ist noch keine Stimme in Deutschland laut geworden, die es un¬ vernünftig oder unzweckmäßig gefunden hätte, daß England eine große Flotte für seine Weltpolitik hält, »ut daß die Vereinigten Staaten und Japan be¬ müht sind, in kurzem auch ihrerseits über große Flotten zu verfügen. Die Inselstaaten sind freilich in günstigerer strategischer Lage als die Festlandstaaten; sie können einseitig bleiben und die größten Mittel auf ihre Grenzboten IV 1899 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/399>, abgerufen am 08.05.2024.