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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Das Lieut unsrer Jugendlitteratur

Ruinen des alten Roms unzweifelhaft auf den Beschauer ausübte", nicht missen,
und andrerseits kann der den Menschen innewohnende Drang nach Wahrheit
und Erkenntnis vor diesem Zauber nicht halt macheu: zwei Seelen wohnen in
des Menschen Brust. So erkläre ich mir die Absichten Baeeellis, der einer¬
seits durch die Erneuerung der Ausgrabungen die Wissenschaft möglichst zu
fördern sucht, andrerseits eine Wiedervereinigung der armen Trümmer zu einem
ästhetisch wohlthuenden Gefüge ins Auge faßt. Einen Ausgleich zwischen den
wissenschaftlichen und künstlerischen Bedürfnissen zu finden, wird eine der
wichtigsten, aber auch schwerste" Aufgaben der Leiter der Ausgrabungen auf
dem Forum Romanum sein und bleiben.


Otto Eduard Schmidt


Vas Glend unsrer Jugendlitteratur

ur Kinder geschriebne ttnterhaltnngsbüchcr sollte man in den
Händen seiner Kinder gar nicht dulden, das ist nur Anleitung zu
späterer Nvmanschmökerei. Diese Anweisung ist jetzt so ziemlich
vierzig Jahre alt, sie stammt von einem meiner Lehrer in der
Lebensweisheit, dem nun längst verstorbnen Landrat F.; ich habe
sie später richtig befunden. Meine Kinder haben manches derartige Genuß-
mittel von wohlthätigen Freunden geschenkt bekommen, gekauft haben wir ihnen
keins, dagegen haben sie von früh auf viel gelesen, was nicht ausdrücklich für
Kiuder geschrieben war, und sie haben sich bei dieser Nahrung nicht schlecht
gestanden. Aus meiner eignen Kindheit erinnere ich mich unter der großen
Masse ebenfalls mir sehr weniger Kinderbücher, die auf mich einen nachhaltigen
Eindruck gemacht und zu meiner Ausbildung etwas beigetragen hätten, und
aus einem nützlichen Buche, mit dem ich heute die Leser unterhalten mochte/")
sehe ich, daß namhafte Müuuer wie Ranke, Gervinus, Gustav Freytag,
Storm, Friedrich Hebbel und viele andre aus den Erinnerungen ihrer Jugend¬
zeit ganz dasselbe mitgeteilt haben. Herbart behauptete, schon die Absicht,
zu bilden, verderbe die Jugendschrift, und Stob wollte den Kindern nichts
außer der Bibel und den Klassikern in die Hände gegeben wissen. Aber was
hilfts, wir haben bekanntlich eine unheimlich entwickelte, spezifische, nach Ge¬
schlechtern und Jahrgängen sortierte Jugendlitteratur, und wenn es nach den



*) Das Elend unsrer Jugendlitteratur, ein Beitrag zur künstlerischen Erziehung der
Jugend von Heinrich Wolgast, Hamburg, Selbstverlag, in Kommission bei L> Fcrnnu, Leipzig,
zweite Auflage.
Das Lieut unsrer Jugendlitteratur

Ruinen des alten Roms unzweifelhaft auf den Beschauer ausübte», nicht missen,
und andrerseits kann der den Menschen innewohnende Drang nach Wahrheit
und Erkenntnis vor diesem Zauber nicht halt macheu: zwei Seelen wohnen in
des Menschen Brust. So erkläre ich mir die Absichten Baeeellis, der einer¬
seits durch die Erneuerung der Ausgrabungen die Wissenschaft möglichst zu
fördern sucht, andrerseits eine Wiedervereinigung der armen Trümmer zu einem
ästhetisch wohlthuenden Gefüge ins Auge faßt. Einen Ausgleich zwischen den
wissenschaftlichen und künstlerischen Bedürfnissen zu finden, wird eine der
wichtigsten, aber auch schwerste» Aufgaben der Leiter der Ausgrabungen auf
dem Forum Romanum sein und bleiben.


Otto Eduard Schmidt


Vas Glend unsrer Jugendlitteratur

ur Kinder geschriebne ttnterhaltnngsbüchcr sollte man in den
Händen seiner Kinder gar nicht dulden, das ist nur Anleitung zu
späterer Nvmanschmökerei. Diese Anweisung ist jetzt so ziemlich
vierzig Jahre alt, sie stammt von einem meiner Lehrer in der
Lebensweisheit, dem nun längst verstorbnen Landrat F.; ich habe
sie später richtig befunden. Meine Kinder haben manches derartige Genuß-
mittel von wohlthätigen Freunden geschenkt bekommen, gekauft haben wir ihnen
keins, dagegen haben sie von früh auf viel gelesen, was nicht ausdrücklich für
Kiuder geschrieben war, und sie haben sich bei dieser Nahrung nicht schlecht
gestanden. Aus meiner eignen Kindheit erinnere ich mich unter der großen
Masse ebenfalls mir sehr weniger Kinderbücher, die auf mich einen nachhaltigen
Eindruck gemacht und zu meiner Ausbildung etwas beigetragen hätten, und
aus einem nützlichen Buche, mit dem ich heute die Leser unterhalten mochte/")
sehe ich, daß namhafte Müuuer wie Ranke, Gervinus, Gustav Freytag,
Storm, Friedrich Hebbel und viele andre aus den Erinnerungen ihrer Jugend¬
zeit ganz dasselbe mitgeteilt haben. Herbart behauptete, schon die Absicht,
zu bilden, verderbe die Jugendschrift, und Stob wollte den Kindern nichts
außer der Bibel und den Klassikern in die Hände gegeben wissen. Aber was
hilfts, wir haben bekanntlich eine unheimlich entwickelte, spezifische, nach Ge¬
schlechtern und Jahrgängen sortierte Jugendlitteratur, und wenn es nach den



*) Das Elend unsrer Jugendlitteratur, ein Beitrag zur künstlerischen Erziehung der
Jugend von Heinrich Wolgast, Hamburg, Selbstverlag, in Kommission bei L> Fcrnnu, Leipzig,
zweite Auflage.
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[0482] Das Lieut unsrer Jugendlitteratur Ruinen des alten Roms unzweifelhaft auf den Beschauer ausübte», nicht missen, und andrerseits kann der den Menschen innewohnende Drang nach Wahrheit und Erkenntnis vor diesem Zauber nicht halt macheu: zwei Seelen wohnen in des Menschen Brust. So erkläre ich mir die Absichten Baeeellis, der einer¬ seits durch die Erneuerung der Ausgrabungen die Wissenschaft möglichst zu fördern sucht, andrerseits eine Wiedervereinigung der armen Trümmer zu einem ästhetisch wohlthuenden Gefüge ins Auge faßt. Einen Ausgleich zwischen den wissenschaftlichen und künstlerischen Bedürfnissen zu finden, wird eine der wichtigsten, aber auch schwerste» Aufgaben der Leiter der Ausgrabungen auf dem Forum Romanum sein und bleiben. Otto Eduard Schmidt Vas Glend unsrer Jugendlitteratur ur Kinder geschriebne ttnterhaltnngsbüchcr sollte man in den Händen seiner Kinder gar nicht dulden, das ist nur Anleitung zu späterer Nvmanschmökerei. Diese Anweisung ist jetzt so ziemlich vierzig Jahre alt, sie stammt von einem meiner Lehrer in der Lebensweisheit, dem nun längst verstorbnen Landrat F.; ich habe sie später richtig befunden. Meine Kinder haben manches derartige Genuß- mittel von wohlthätigen Freunden geschenkt bekommen, gekauft haben wir ihnen keins, dagegen haben sie von früh auf viel gelesen, was nicht ausdrücklich für Kiuder geschrieben war, und sie haben sich bei dieser Nahrung nicht schlecht gestanden. Aus meiner eignen Kindheit erinnere ich mich unter der großen Masse ebenfalls mir sehr weniger Kinderbücher, die auf mich einen nachhaltigen Eindruck gemacht und zu meiner Ausbildung etwas beigetragen hätten, und aus einem nützlichen Buche, mit dem ich heute die Leser unterhalten mochte/") sehe ich, daß namhafte Müuuer wie Ranke, Gervinus, Gustav Freytag, Storm, Friedrich Hebbel und viele andre aus den Erinnerungen ihrer Jugend¬ zeit ganz dasselbe mitgeteilt haben. Herbart behauptete, schon die Absicht, zu bilden, verderbe die Jugendschrift, und Stob wollte den Kindern nichts außer der Bibel und den Klassikern in die Hände gegeben wissen. Aber was hilfts, wir haben bekanntlich eine unheimlich entwickelte, spezifische, nach Ge¬ schlechtern und Jahrgängen sortierte Jugendlitteratur, und wenn es nach den *) Das Elend unsrer Jugendlitteratur, ein Beitrag zur künstlerischen Erziehung der Jugend von Heinrich Wolgast, Hamburg, Selbstverlag, in Kommission bei L> Fcrnnu, Leipzig, zweite Auflage.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/482>, abgerufen am 07.05.2024.