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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Der Römerstaat
Z. Vom Stadtstaat zum Weltreich
(Fortsetzung)

it welch wunderbarer Klugheit und Mäßigung des große" Cäsar
nicht minder großer Adoptivsohn den Bedürfnissen des Reichs
entsprochen und ihm die Wohlthat einer geordneten Verwaltung
hat angedeihen lassen, ohne pietätlos die ehrwürdigen Formen
der Republik zu zerbrechen, und ohne die in seine Hände gelegte
ungeheure Gewalt zu mißbrauchen, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt
scheint es zu' sein, daß nach dem Bericht des Dio Cussius (in den ersten vierzig
Kapiteln des 52. Buchs) Augustus sich nach seinem Siege über Antonius in
einer Kabinettsitzung, wie es Nodbertus nennt, mit Agrippa und Mäcenas
über die dem Reich zu gebende Verfassung beraten haben soll. Dio Cassius
steht, als Höfling Caracallas, nicht im besten Rufe; aber je weniger ihm bei
seinem Charakter zuzutrauen ist, daß er die der edelsten Gesinnung entsprungnen
Ratschläge der beiden Vertrauten des ersten römischen Kaisers aus Eignen
geschöpft haben könne, desto zuverlässiger erscheint sein Bericht. Daß Mäcenas
sein Programm in einem Atem vorgetragen habe, ist freilich nicht wahrscheinlich;
vielleicht hat er eine Denkschrift ausgearbeitet. Wenn uns nicht ein unglück¬
liches Verhängnis des vierten Bandes von Mommsens Werk beraubt Hütte,
würden wir wohl erfahren haben, wie weit wir den Bericht des Dio für
historisch halten dürfen; seinen hohen Wert als ein merkwürdiges und lehr¬
reiches Denkmal antiker Staatsweisheit behält er auf alle Fälle; Priuzeuerzicher
versäumen hoffentlich nicht, ihn mit ihren Zöglingen zu lesen.

Agrippa meint, er selbst würde zwar als Freund des Augustus großen
Vorteil davon haben, wenn dieser Alleinherrscher würde; diesem aber und dem
Staate würde die Monarchie zum Verderben gereichen, deshalb müsse er von
ihrer Begründung abrate". Jsouomie, wie er die demokratische Republik nennt,
erfreue sich nicht allein des am schönsten klingenden Namens, sondern entspreche
auch am besten der Gerechtigkeit und der Natur der Dinge. Und er entwickelt
nun alle die vortrefflichen Gründe für die Beibehaltung der republikanischen
Verfassung, die man hätte gellen lassen müssen, wenn dreihundert Jahre früher
jemand den Römern die Einführung der Monarchie empfohlen hätte. Agrippa


Grenzboten IV 1899 65


Der Römerstaat
Z. Vom Stadtstaat zum Weltreich
(Fortsetzung)

it welch wunderbarer Klugheit und Mäßigung des große» Cäsar
nicht minder großer Adoptivsohn den Bedürfnissen des Reichs
entsprochen und ihm die Wohlthat einer geordneten Verwaltung
hat angedeihen lassen, ohne pietätlos die ehrwürdigen Formen
der Republik zu zerbrechen, und ohne die in seine Hände gelegte
ungeheure Gewalt zu mißbrauchen, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt
scheint es zu' sein, daß nach dem Bericht des Dio Cussius (in den ersten vierzig
Kapiteln des 52. Buchs) Augustus sich nach seinem Siege über Antonius in
einer Kabinettsitzung, wie es Nodbertus nennt, mit Agrippa und Mäcenas
über die dem Reich zu gebende Verfassung beraten haben soll. Dio Cassius
steht, als Höfling Caracallas, nicht im besten Rufe; aber je weniger ihm bei
seinem Charakter zuzutrauen ist, daß er die der edelsten Gesinnung entsprungnen
Ratschläge der beiden Vertrauten des ersten römischen Kaisers aus Eignen
geschöpft haben könne, desto zuverlässiger erscheint sein Bericht. Daß Mäcenas
sein Programm in einem Atem vorgetragen habe, ist freilich nicht wahrscheinlich;
vielleicht hat er eine Denkschrift ausgearbeitet. Wenn uns nicht ein unglück¬
liches Verhängnis des vierten Bandes von Mommsens Werk beraubt Hütte,
würden wir wohl erfahren haben, wie weit wir den Bericht des Dio für
historisch halten dürfen; seinen hohen Wert als ein merkwürdiges und lehr¬
reiches Denkmal antiker Staatsweisheit behält er auf alle Fälle; Priuzeuerzicher
versäumen hoffentlich nicht, ihn mit ihren Zöglingen zu lesen.

Agrippa meint, er selbst würde zwar als Freund des Augustus großen
Vorteil davon haben, wenn dieser Alleinherrscher würde; diesem aber und dem
Staate würde die Monarchie zum Verderben gereichen, deshalb müsse er von
ihrer Begründung abrate». Jsouomie, wie er die demokratische Republik nennt,
erfreue sich nicht allein des am schönsten klingenden Namens, sondern entspreche
auch am besten der Gerechtigkeit und der Natur der Dinge. Und er entwickelt
nun alle die vortrefflichen Gründe für die Beibehaltung der republikanischen
Verfassung, die man hätte gellen lassen müssen, wenn dreihundert Jahre früher
jemand den Römern die Einführung der Monarchie empfohlen hätte. Agrippa


Grenzboten IV 1899 65
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[0527] [Abbildung] Der Römerstaat Z. Vom Stadtstaat zum Weltreich (Fortsetzung) it welch wunderbarer Klugheit und Mäßigung des große» Cäsar nicht minder großer Adoptivsohn den Bedürfnissen des Reichs entsprochen und ihm die Wohlthat einer geordneten Verwaltung hat angedeihen lassen, ohne pietätlos die ehrwürdigen Formen der Republik zu zerbrechen, und ohne die in seine Hände gelegte ungeheure Gewalt zu mißbrauchen, ist allgemein bekannt. Weniger bekannt scheint es zu' sein, daß nach dem Bericht des Dio Cussius (in den ersten vierzig Kapiteln des 52. Buchs) Augustus sich nach seinem Siege über Antonius in einer Kabinettsitzung, wie es Nodbertus nennt, mit Agrippa und Mäcenas über die dem Reich zu gebende Verfassung beraten haben soll. Dio Cassius steht, als Höfling Caracallas, nicht im besten Rufe; aber je weniger ihm bei seinem Charakter zuzutrauen ist, daß er die der edelsten Gesinnung entsprungnen Ratschläge der beiden Vertrauten des ersten römischen Kaisers aus Eignen geschöpft haben könne, desto zuverlässiger erscheint sein Bericht. Daß Mäcenas sein Programm in einem Atem vorgetragen habe, ist freilich nicht wahrscheinlich; vielleicht hat er eine Denkschrift ausgearbeitet. Wenn uns nicht ein unglück¬ liches Verhängnis des vierten Bandes von Mommsens Werk beraubt Hütte, würden wir wohl erfahren haben, wie weit wir den Bericht des Dio für historisch halten dürfen; seinen hohen Wert als ein merkwürdiges und lehr¬ reiches Denkmal antiker Staatsweisheit behält er auf alle Fälle; Priuzeuerzicher versäumen hoffentlich nicht, ihn mit ihren Zöglingen zu lesen. Agrippa meint, er selbst würde zwar als Freund des Augustus großen Vorteil davon haben, wenn dieser Alleinherrscher würde; diesem aber und dem Staate würde die Monarchie zum Verderben gereichen, deshalb müsse er von ihrer Begründung abrate». Jsouomie, wie er die demokratische Republik nennt, erfreue sich nicht allein des am schönsten klingenden Namens, sondern entspreche auch am besten der Gerechtigkeit und der Natur der Dinge. Und er entwickelt nun alle die vortrefflichen Gründe für die Beibehaltung der republikanischen Verfassung, die man hätte gellen lassen müssen, wenn dreihundert Jahre früher jemand den Römern die Einführung der Monarchie empfohlen hätte. Agrippa Grenzboten IV 1899 65

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/527>, abgerufen am 08.05.2024.