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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Falsche Ideale und wahrer Idealismus

le Aufgabe, jungen Leuten auf der höhern Schule die geistige
Ausrüstung fürs Leben zu geben, ist heute schwieriger als früher,
denn es handelt sich darum, die Fähigkeit für die volle praktische
energische Thätigkeit zur Beherrschung der Welt mit der alten,
lief gegründeten und vertiefenden Bildung zu vereinigen, die der
Stolz unsers Botts gewesen ist und bleiben soll. Die Zeit, wo Schiller sang:


Zwo gewaltge Nationen ringen
Um der Welt alleinigen Besitz,

ohne auch nur daran zu denken, daß auch sein Volk an diesem Kampfe teil¬
nehmen könne und müsse, die Zeit, wo es uns Deutschen ging wie dem Poeten,
dem Zeus, nachdem die Welt vergebe" ist, tröstend zuruft:


Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
So oft du kommst, er soll dir offen sein,

diese Zeit ist auch für uns Teutsche vorüber. Auch wir sind, teilweise zögernd
und widerwillig, wie es nun einmal in unsrer unglücklichen doktrinären Art
liegt, in die Reihe der weltbeherrschenden Völker eingetreten, denn die Frage
stand und steht noch so, ob wir im kommenden Jahrhundert überhaupt
zu den wahrhaft großen, selbständigen Nulionen zählen, oder ob wir, auf
Europa beschränkt, in die zweite Reihe zurücktreten sollen, ob unsre reiche
Kultur ihren Rang im Kreise der Kulturvölker behaupten kann, oder ob sie
zu einem bloszen Ferment der Weltkultur herabsinken soll. Hinter dieser Auf¬
gabe, den Boden unsers Lebens zu verbreitern, hinter der Weltweite dieser
Aussichten tritt jetzt alles andre zurück. So wird diesem Geschlechte die un¬
geheure Aufgabe zugemutet, sich aus einem Volke der Dichter, Denker und


Gr-nzboten IV 1899 84


Falsche Ideale und wahrer Idealismus

le Aufgabe, jungen Leuten auf der höhern Schule die geistige
Ausrüstung fürs Leben zu geben, ist heute schwieriger als früher,
denn es handelt sich darum, die Fähigkeit für die volle praktische
energische Thätigkeit zur Beherrschung der Welt mit der alten,
lief gegründeten und vertiefenden Bildung zu vereinigen, die der
Stolz unsers Botts gewesen ist und bleiben soll. Die Zeit, wo Schiller sang:


Zwo gewaltge Nationen ringen
Um der Welt alleinigen Besitz,

ohne auch nur daran zu denken, daß auch sein Volk an diesem Kampfe teil¬
nehmen könne und müsse, die Zeit, wo es uns Deutschen ging wie dem Poeten,
dem Zeus, nachdem die Welt vergebe» ist, tröstend zuruft:


Willst du in meinem Himmel mit mir leben,
So oft du kommst, er soll dir offen sein,

diese Zeit ist auch für uns Teutsche vorüber. Auch wir sind, teilweise zögernd
und widerwillig, wie es nun einmal in unsrer unglücklichen doktrinären Art
liegt, in die Reihe der weltbeherrschenden Völker eingetreten, denn die Frage
stand und steht noch so, ob wir im kommenden Jahrhundert überhaupt
zu den wahrhaft großen, selbständigen Nulionen zählen, oder ob wir, auf
Europa beschränkt, in die zweite Reihe zurücktreten sollen, ob unsre reiche
Kultur ihren Rang im Kreise der Kulturvölker behaupten kann, oder ob sie
zu einem bloszen Ferment der Weltkultur herabsinken soll. Hinter dieser Auf¬
gabe, den Boden unsers Lebens zu verbreitern, hinter der Weltweite dieser
Aussichten tritt jetzt alles andre zurück. So wird diesem Geschlechte die un¬
geheure Aufgabe zugemutet, sich aus einem Volke der Dichter, Denker und


Gr-nzboten IV 1899 84
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[0679] [Abbildung] Falsche Ideale und wahrer Idealismus le Aufgabe, jungen Leuten auf der höhern Schule die geistige Ausrüstung fürs Leben zu geben, ist heute schwieriger als früher, denn es handelt sich darum, die Fähigkeit für die volle praktische energische Thätigkeit zur Beherrschung der Welt mit der alten, lief gegründeten und vertiefenden Bildung zu vereinigen, die der Stolz unsers Botts gewesen ist und bleiben soll. Die Zeit, wo Schiller sang: Zwo gewaltge Nationen ringen Um der Welt alleinigen Besitz, ohne auch nur daran zu denken, daß auch sein Volk an diesem Kampfe teil¬ nehmen könne und müsse, die Zeit, wo es uns Deutschen ging wie dem Poeten, dem Zeus, nachdem die Welt vergebe» ist, tröstend zuruft: Willst du in meinem Himmel mit mir leben, So oft du kommst, er soll dir offen sein, diese Zeit ist auch für uns Teutsche vorüber. Auch wir sind, teilweise zögernd und widerwillig, wie es nun einmal in unsrer unglücklichen doktrinären Art liegt, in die Reihe der weltbeherrschenden Völker eingetreten, denn die Frage stand und steht noch so, ob wir im kommenden Jahrhundert überhaupt zu den wahrhaft großen, selbständigen Nulionen zählen, oder ob wir, auf Europa beschränkt, in die zweite Reihe zurücktreten sollen, ob unsre reiche Kultur ihren Rang im Kreise der Kulturvölker behaupten kann, oder ob sie zu einem bloszen Ferment der Weltkultur herabsinken soll. Hinter dieser Auf¬ gabe, den Boden unsers Lebens zu verbreitern, hinter der Weltweite dieser Aussichten tritt jetzt alles andre zurück. So wird diesem Geschlechte die un¬ geheure Aufgabe zugemutet, sich aus einem Volke der Dichter, Denker und Gr-nzboten IV 1899 84

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/679>, abgerufen am 08.05.2024.