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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Über dem Haus, unter dessen dichtbeschneitem Dach die beiden in dem großen
Buch lasen, hielten drei Engel Wache in weißen Kleidern: einer, ein Kinderengel,
spielte die Harfe, die beiden andern lauschten deren Klängen.

Das Spiel der Harfe schwieg.

Herr, schenke auch ihnen das ewige Leben, beteten die zwei, die über ihn und
über sie wachten.

Amen, tönte es herab ans unermeßlichen Fernen.

Amen, wiederholte der Kinderengel, indem er von neuem in die Saiten griff,
und alle drei begannen einen Lobgesang, in den die mitternächtlichen Glocken mit
ihrem bescheidnen irdischen Klang preisend und jubelnd einstimmten.

Der Schnee fiel in dichten Flocken, aber die weißen Schwingen der himm¬
lischen Hüter berührte er nicht; er fiel im endlichen Raum: ihre Wacht war im
Reich des Unendlichen, wo es kein hier giebt und kein dort.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ermlnndische Landwirtschaft. Die "Landwirtschaftlichen Jahrbücher"
(Archiv des Königlich Preußischen Lnndesökouomiekollegiums) bringen aus der Feder
eines Dr. Karl Klawki in Heft 3 und 4 des Jahrgangs 1899 "über jdiej Kon¬
kurrenzfähigkeit des landwirtschaftlichen Kleinbetriebs" eine Arbeit, die in ihrer
unbefangnen, streng sachlichen Uutersuchungsweise ganz vortrefflich dazu geeignet ist,
die Vorstellungen weiterer gebildeter Kreise über die wirklichen Verhältnisse auf¬
zuklären, unter denen die Landwirte, namentlich die Bauern, in der Nordostmark
des Deutschen Reichs ihrem schöne", oft schwierigen und für die Gesamtheit so
überaus wichtigen Berufe nachgehn. Die Arbeit schließt sich an die seiner Zeit von
mir in den Grenzboten^) besprochnen Untersuchungen "über die Konkurrenzfähigkeit
des kleinen und mittlern Grundbesitzes gegenüber dem Großgrundbesitz" von
Stumpfe und "über Groß- und Kleinbesitz in der Landwirtschaft" von AnHagen
würdig an, die gleichfalls in den Landwirtschaftlichen Jahrbüchern erschienen sind.
Während Stumpfe mit Schlesien, Auhagen mit Hannover zu thun hatte, beschäftigt
sich Klawki mit dem ermländischen Kreise Braunsberg in Ostpreußen.

Die Bodenverhältnisse sind in diesem Kreise ziemlich günstig, weniger das
Klima. Der Absatz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ist namentlich dem Klein¬
betrieb erschwert, da es an einer hinreichenden städtischen und industriellen Be¬
völkerung fehlt. Während die Großlandwirte ihr Getreide an Königsberger Händler
in größern Posten absetzen, ist der Bauer auf die kleinen Kaufleute in den benach¬
barten Landstädten angewiesen und erzielt von diesen in der Regel um 20 bis
3V Pfennige niedrigere Preise für den Zentner. Die Gruudbesitzverteilung zeichnet
sich durch starkes Überwiegen der großbäuerlichen Wirtschaften ans. Der Gro߬
betrieb, d. h. die Güter von 100 Hektaren und mehr, nehmen nur 10,78 Prozent
der landwirtschaftlich benutzten Fläche in Anspruch. Im ganzen sind nach der
Zählung von 1395 nur 23 solcher Betriebe vorhanden, gegenüber 1467 größern



ispo, Heft 17.
Maßgebliches und Unmaßgebliches

Über dem Haus, unter dessen dichtbeschneitem Dach die beiden in dem großen
Buch lasen, hielten drei Engel Wache in weißen Kleidern: einer, ein Kinderengel,
spielte die Harfe, die beiden andern lauschten deren Klängen.

Das Spiel der Harfe schwieg.

Herr, schenke auch ihnen das ewige Leben, beteten die zwei, die über ihn und
über sie wachten.

Amen, tönte es herab ans unermeßlichen Fernen.

Amen, wiederholte der Kinderengel, indem er von neuem in die Saiten griff,
und alle drei begannen einen Lobgesang, in den die mitternächtlichen Glocken mit
ihrem bescheidnen irdischen Klang preisend und jubelnd einstimmten.

Der Schnee fiel in dichten Flocken, aber die weißen Schwingen der himm¬
lischen Hüter berührte er nicht; er fiel im endlichen Raum: ihre Wacht war im
Reich des Unendlichen, wo es kein hier giebt und kein dort.




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Ermlnndische Landwirtschaft. Die „Landwirtschaftlichen Jahrbücher"
(Archiv des Königlich Preußischen Lnndesökouomiekollegiums) bringen aus der Feder
eines Dr. Karl Klawki in Heft 3 und 4 des Jahrgangs 1899 „über jdiej Kon¬
kurrenzfähigkeit des landwirtschaftlichen Kleinbetriebs" eine Arbeit, die in ihrer
unbefangnen, streng sachlichen Uutersuchungsweise ganz vortrefflich dazu geeignet ist,
die Vorstellungen weiterer gebildeter Kreise über die wirklichen Verhältnisse auf¬
zuklären, unter denen die Landwirte, namentlich die Bauern, in der Nordostmark
des Deutschen Reichs ihrem schöne», oft schwierigen und für die Gesamtheit so
überaus wichtigen Berufe nachgehn. Die Arbeit schließt sich an die seiner Zeit von
mir in den Grenzboten^) besprochnen Untersuchungen „über die Konkurrenzfähigkeit
des kleinen und mittlern Grundbesitzes gegenüber dem Großgrundbesitz" von
Stumpfe und „über Groß- und Kleinbesitz in der Landwirtschaft" von AnHagen
würdig an, die gleichfalls in den Landwirtschaftlichen Jahrbüchern erschienen sind.
Während Stumpfe mit Schlesien, Auhagen mit Hannover zu thun hatte, beschäftigt
sich Klawki mit dem ermländischen Kreise Braunsberg in Ostpreußen.

Die Bodenverhältnisse sind in diesem Kreise ziemlich günstig, weniger das
Klima. Der Absatz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ist namentlich dem Klein¬
betrieb erschwert, da es an einer hinreichenden städtischen und industriellen Be¬
völkerung fehlt. Während die Großlandwirte ihr Getreide an Königsberger Händler
in größern Posten absetzen, ist der Bauer auf die kleinen Kaufleute in den benach¬
barten Landstädten angewiesen und erzielt von diesen in der Regel um 20 bis
3V Pfennige niedrigere Preise für den Zentner. Die Gruudbesitzverteilung zeichnet
sich durch starkes Überwiegen der großbäuerlichen Wirtschaften ans. Der Gro߬
betrieb, d. h. die Güter von 100 Hektaren und mehr, nehmen nur 10,78 Prozent
der landwirtschaftlich benutzten Fläche in Anspruch. Im ganzen sind nach der
Zählung von 1395 nur 23 solcher Betriebe vorhanden, gegenüber 1467 größern



ispo, Heft 17.
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[0725] Maßgebliches und Unmaßgebliches Über dem Haus, unter dessen dichtbeschneitem Dach die beiden in dem großen Buch lasen, hielten drei Engel Wache in weißen Kleidern: einer, ein Kinderengel, spielte die Harfe, die beiden andern lauschten deren Klängen. Das Spiel der Harfe schwieg. Herr, schenke auch ihnen das ewige Leben, beteten die zwei, die über ihn und über sie wachten. Amen, tönte es herab ans unermeßlichen Fernen. Amen, wiederholte der Kinderengel, indem er von neuem in die Saiten griff, und alle drei begannen einen Lobgesang, in den die mitternächtlichen Glocken mit ihrem bescheidnen irdischen Klang preisend und jubelnd einstimmten. Der Schnee fiel in dichten Flocken, aber die weißen Schwingen der himm¬ lischen Hüter berührte er nicht; er fiel im endlichen Raum: ihre Wacht war im Reich des Unendlichen, wo es kein hier giebt und kein dort. Maßgebliches und Unmaßgebliches Ermlnndische Landwirtschaft. Die „Landwirtschaftlichen Jahrbücher" (Archiv des Königlich Preußischen Lnndesökouomiekollegiums) bringen aus der Feder eines Dr. Karl Klawki in Heft 3 und 4 des Jahrgangs 1899 „über jdiej Kon¬ kurrenzfähigkeit des landwirtschaftlichen Kleinbetriebs" eine Arbeit, die in ihrer unbefangnen, streng sachlichen Uutersuchungsweise ganz vortrefflich dazu geeignet ist, die Vorstellungen weiterer gebildeter Kreise über die wirklichen Verhältnisse auf¬ zuklären, unter denen die Landwirte, namentlich die Bauern, in der Nordostmark des Deutschen Reichs ihrem schöne», oft schwierigen und für die Gesamtheit so überaus wichtigen Berufe nachgehn. Die Arbeit schließt sich an die seiner Zeit von mir in den Grenzboten^) besprochnen Untersuchungen „über die Konkurrenzfähigkeit des kleinen und mittlern Grundbesitzes gegenüber dem Großgrundbesitz" von Stumpfe und „über Groß- und Kleinbesitz in der Landwirtschaft" von AnHagen würdig an, die gleichfalls in den Landwirtschaftlichen Jahrbüchern erschienen sind. Während Stumpfe mit Schlesien, Auhagen mit Hannover zu thun hatte, beschäftigt sich Klawki mit dem ermländischen Kreise Braunsberg in Ostpreußen. Die Bodenverhältnisse sind in diesem Kreise ziemlich günstig, weniger das Klima. Der Absatz der landwirtschaftlichen Erzeugnisse ist namentlich dem Klein¬ betrieb erschwert, da es an einer hinreichenden städtischen und industriellen Be¬ völkerung fehlt. Während die Großlandwirte ihr Getreide an Königsberger Händler in größern Posten absetzen, ist der Bauer auf die kleinen Kaufleute in den benach¬ barten Landstädten angewiesen und erzielt von diesen in der Regel um 20 bis 3V Pfennige niedrigere Preise für den Zentner. Die Gruudbesitzverteilung zeichnet sich durch starkes Überwiegen der großbäuerlichen Wirtschaften ans. Der Gro߬ betrieb, d. h. die Güter von 100 Hektaren und mehr, nehmen nur 10,78 Prozent der landwirtschaftlich benutzten Fläche in Anspruch. Im ganzen sind nach der Zählung von 1395 nur 23 solcher Betriebe vorhanden, gegenüber 1467 größern ispo, Heft 17.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/725>, abgerufen am 08.05.2024.