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Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr.

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Kritische Studien
zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
Gelo Raemmel von
I. Schleswig-Holstein

as 19. Kapitel der Gedanken und Erinnerungen giebt noch viel
weniger eine zusammenhängende Erzählung als andre Teile; es
muß sogar einerseits ergänzt werden durch Stücke des 17. Ka¬
pitels, andrerseits enthält es manches, was mit Schleswig-Hol¬
stein in gar keinem Zusammenhang steht und hier von der Be¬
trachtung ganz ausgeschieden werden muß. Es wäre hier also ein unnützer
Versuch, auf die Nachweisung von Lücken ein besondres Gewicht zu legen; der
Fürst hat vielmehr neben einer übersichtlichen Erörterung seiner Schleswig-hol-
steinischen Politik nur einzelne ihn besonders interessierende Partien aus dem
ganzen Verlaufe der Begebenheiten herausgegriffen und setzt überall die Kenntnis
von Sybels Darstellung voraus, auf die er sich gelegentlich auch unmittelbar
bezieht. Demnach kann es sich hier nur um eine Prüfung der einzelnen An¬
gaben handeln, namentlich darum, ob sie etwa in der Erinnerung des Verfassers
gefärbt oder verschoben sind.

Von den vier Abschnitten des Kapitels hängen die beiden ersten, die Be¬
sprechung seines Gegensatzes zu dem Gesandten in Paris, dem Grafen Robert
von der Goltz. und die Übersicht über seine Schleswig-holsteinische Politik, eng
zusammen. Zur Beurteilung des ersten Stücks gehören natürlich auch die hier
nicht mitgeteilten Briefe des Botschafters. Dieser stimmte mit seinem Chef
sehr wenig überein. Er verwarf schon dessen viel cmgefochtne Februarkonven¬
tion mit Nußland, weil er von ihr eine Isolierung Preußens befürchtete, und
stellte sich in der Schleswig-holsteinischen Sache so ziemlich auf den entgegen¬
gesetzten Standpunkt. Bekanntlich hatten der plötzliche Tod Friedrichs VII.
von Dänemark am 13. November 1863 und die Unterzeichnung der dänisch-
schleswigischen Gesamtstaatsverfassung durch seinen Nachfolger Christian IX.,
nachdem der Bundestag schon am 1. Oktober die Exekution gegen Holstein
beschlossen hatte, alle Beteiligten vor eine ganz neue Lage gestellt. Doch wurde
sie sehr verschieden aufgefaßt. Während sich die öffentliche Meinung in Holstein




Kritische Studien
zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen
Gelo Raemmel von
I. Schleswig-Holstein

as 19. Kapitel der Gedanken und Erinnerungen giebt noch viel
weniger eine zusammenhängende Erzählung als andre Teile; es
muß sogar einerseits ergänzt werden durch Stücke des 17. Ka¬
pitels, andrerseits enthält es manches, was mit Schleswig-Hol¬
stein in gar keinem Zusammenhang steht und hier von der Be¬
trachtung ganz ausgeschieden werden muß. Es wäre hier also ein unnützer
Versuch, auf die Nachweisung von Lücken ein besondres Gewicht zu legen; der
Fürst hat vielmehr neben einer übersichtlichen Erörterung seiner Schleswig-hol-
steinischen Politik nur einzelne ihn besonders interessierende Partien aus dem
ganzen Verlaufe der Begebenheiten herausgegriffen und setzt überall die Kenntnis
von Sybels Darstellung voraus, auf die er sich gelegentlich auch unmittelbar
bezieht. Demnach kann es sich hier nur um eine Prüfung der einzelnen An¬
gaben handeln, namentlich darum, ob sie etwa in der Erinnerung des Verfassers
gefärbt oder verschoben sind.

Von den vier Abschnitten des Kapitels hängen die beiden ersten, die Be¬
sprechung seines Gegensatzes zu dem Gesandten in Paris, dem Grafen Robert
von der Goltz. und die Übersicht über seine Schleswig-holsteinische Politik, eng
zusammen. Zur Beurteilung des ersten Stücks gehören natürlich auch die hier
nicht mitgeteilten Briefe des Botschafters. Dieser stimmte mit seinem Chef
sehr wenig überein. Er verwarf schon dessen viel cmgefochtne Februarkonven¬
tion mit Nußland, weil er von ihr eine Isolierung Preußens befürchtete, und
stellte sich in der Schleswig-holsteinischen Sache so ziemlich auf den entgegen¬
gesetzten Standpunkt. Bekanntlich hatten der plötzliche Tod Friedrichs VII.
von Dänemark am 13. November 1863 und die Unterzeichnung der dänisch-
schleswigischen Gesamtstaatsverfassung durch seinen Nachfolger Christian IX.,
nachdem der Bundestag schon am 1. Oktober die Exekution gegen Holstein
beschlossen hatte, alle Beteiligten vor eine ganz neue Lage gestellt. Doch wurde
sie sehr verschieden aufgefaßt. Während sich die öffentliche Meinung in Holstein


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[0084] [Abbildung] Kritische Studien zu Fürst Bismarcks Gedanken und Erinnerungen Gelo Raemmel von I. Schleswig-Holstein as 19. Kapitel der Gedanken und Erinnerungen giebt noch viel weniger eine zusammenhängende Erzählung als andre Teile; es muß sogar einerseits ergänzt werden durch Stücke des 17. Ka¬ pitels, andrerseits enthält es manches, was mit Schleswig-Hol¬ stein in gar keinem Zusammenhang steht und hier von der Be¬ trachtung ganz ausgeschieden werden muß. Es wäre hier also ein unnützer Versuch, auf die Nachweisung von Lücken ein besondres Gewicht zu legen; der Fürst hat vielmehr neben einer übersichtlichen Erörterung seiner Schleswig-hol- steinischen Politik nur einzelne ihn besonders interessierende Partien aus dem ganzen Verlaufe der Begebenheiten herausgegriffen und setzt überall die Kenntnis von Sybels Darstellung voraus, auf die er sich gelegentlich auch unmittelbar bezieht. Demnach kann es sich hier nur um eine Prüfung der einzelnen An¬ gaben handeln, namentlich darum, ob sie etwa in der Erinnerung des Verfassers gefärbt oder verschoben sind. Von den vier Abschnitten des Kapitels hängen die beiden ersten, die Be¬ sprechung seines Gegensatzes zu dem Gesandten in Paris, dem Grafen Robert von der Goltz. und die Übersicht über seine Schleswig-holsteinische Politik, eng zusammen. Zur Beurteilung des ersten Stücks gehören natürlich auch die hier nicht mitgeteilten Briefe des Botschafters. Dieser stimmte mit seinem Chef sehr wenig überein. Er verwarf schon dessen viel cmgefochtne Februarkonven¬ tion mit Nußland, weil er von ihr eine Isolierung Preußens befürchtete, und stellte sich in der Schleswig-holsteinischen Sache so ziemlich auf den entgegen¬ gesetzten Standpunkt. Bekanntlich hatten der plötzliche Tod Friedrichs VII. von Dänemark am 13. November 1863 und die Unterzeichnung der dänisch- schleswigischen Gesamtstaatsverfassung durch seinen Nachfolger Christian IX., nachdem der Bundestag schon am 1. Oktober die Exekution gegen Holstein beschlossen hatte, alle Beteiligten vor eine ganz neue Lage gestellt. Doch wurde sie sehr verschieden aufgefaßt. Während sich die öffentliche Meinung in Holstein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 58, 1899, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341869_231811/84>, abgerufen am 07.05.2024.