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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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August von Goethes Briefe aus Italien
n Adolf Stern llutaclellt vo

der einzige Sohn unsers großen Dichters, der wcimarische
Knmmerrat und Knmmerherr August vo>? Goethe, trotz der warmen,
^ sein Leben allznsorglich ehrenden Liebe des Vaters nicht unter
die glücklichen Menschen gehört hat, ist seit den ausführlichen,
allen Hauptsachen unbestritten gebliebner Mitteilungen, die
K, von Holtet im dritten und vierten Bande seiner "Vierzig Jahre" über den
Dichtersohn gemacht hatte, offenkundig genug gewesen. Beinahe jede Charak¬
teristik August von Goethes wurzelt oder gipfelt in der Darlegung, daß der
mannigfach begabte, aber niemals zu innerer und äußerer Selbständigkeit ge¬
langte Mann unter der Herrschaft lockerer Gewohnheiten und unter dem Druck
des Mißgesühls über ein halb verfehltes Leben gestanden habe. Während er
in manchen Einzelheiten der nnmittelbnre Erbe seines großen Vaters war
-- wie z. B. Augusts bis zur Karikatur gesteigerte Bewundrung Napoleons I.
erst nnhub, als Goethe längst im Festspiel "Des Epimenides Erwachen" seiner
eignen Bewundrung bestimmte, weithin sichtbare Schranken gesetzt hatte -- und
er in vielen Zügen seines Wesens und seiner Bildung die Goethische Ein¬
wirkung nicht verleugnete, war ihm nicht nur der Genius, sondern vor allein
auch das Gleichmaß und die gewaltige Selbstbeherrschung des Vaters versagt
geblieben. Da es fruchtlos ist, gewesenen Dingen und vergangnen Schicksalen
gegenüber zu erörtern, wie sie anders hätten sein und verlaufen können, so
darf man bei der Mitteilung neuer Zeugnisse, die den Widerspruch des Lebens
und die Ungunst des Geschicks August von Goethes nur zu getreu spiegeln,
Rückblicke wie Anklagen beiseite setzen und sich in den nachstehenden Briefen
die letzten Lebenseindrücke, Empfindungen und Hoffnungen des 1830 in Rom
Geschiedneu vergegenwärtigen.

Die italienische Reise, die August von Goethe im April des Jahres 1830
anfänglich in Gesellschaft I. P. Eckermanns angetreten hatte, und von der er nicht
nach Weimar zurückkehren sollte, war ohne alle Frage zunächst ein Versuch des
körperlich und seelisch kranken Mannes, gepreßten, unleidlich gewordnen häus¬
lichen Verhältnissen zu entfliehn, sich an den großen Bildern Italiens empor¬
zurichten und neuen Lebensmut zu gewinnen. Wenn Goethe selbst am Vor¬
abend der Reise seine Stimme warnend erhob und zu Eckermann äußerte, daß
sich die Wandrer über den Erfolg keine zu große Illusion machen möchten,
"man kommt gewöhnlich zurück, wie man gegangen ist, ja man muß sich hüten,




August von Goethes Briefe aus Italien
n Adolf Stern llutaclellt vo

der einzige Sohn unsers großen Dichters, der wcimarische
Knmmerrat und Knmmerherr August vo>? Goethe, trotz der warmen,
^ sein Leben allznsorglich ehrenden Liebe des Vaters nicht unter
die glücklichen Menschen gehört hat, ist seit den ausführlichen,
allen Hauptsachen unbestritten gebliebner Mitteilungen, die
K, von Holtet im dritten und vierten Bande seiner „Vierzig Jahre" über den
Dichtersohn gemacht hatte, offenkundig genug gewesen. Beinahe jede Charak¬
teristik August von Goethes wurzelt oder gipfelt in der Darlegung, daß der
mannigfach begabte, aber niemals zu innerer und äußerer Selbständigkeit ge¬
langte Mann unter der Herrschaft lockerer Gewohnheiten und unter dem Druck
des Mißgesühls über ein halb verfehltes Leben gestanden habe. Während er
in manchen Einzelheiten der nnmittelbnre Erbe seines großen Vaters war
— wie z. B. Augusts bis zur Karikatur gesteigerte Bewundrung Napoleons I.
erst nnhub, als Goethe längst im Festspiel „Des Epimenides Erwachen" seiner
eignen Bewundrung bestimmte, weithin sichtbare Schranken gesetzt hatte — und
er in vielen Zügen seines Wesens und seiner Bildung die Goethische Ein¬
wirkung nicht verleugnete, war ihm nicht nur der Genius, sondern vor allein
auch das Gleichmaß und die gewaltige Selbstbeherrschung des Vaters versagt
geblieben. Da es fruchtlos ist, gewesenen Dingen und vergangnen Schicksalen
gegenüber zu erörtern, wie sie anders hätten sein und verlaufen können, so
darf man bei der Mitteilung neuer Zeugnisse, die den Widerspruch des Lebens
und die Ungunst des Geschicks August von Goethes nur zu getreu spiegeln,
Rückblicke wie Anklagen beiseite setzen und sich in den nachstehenden Briefen
die letzten Lebenseindrücke, Empfindungen und Hoffnungen des 1830 in Rom
Geschiedneu vergegenwärtigen.

Die italienische Reise, die August von Goethe im April des Jahres 1830
anfänglich in Gesellschaft I. P. Eckermanns angetreten hatte, und von der er nicht
nach Weimar zurückkehren sollte, war ohne alle Frage zunächst ein Versuch des
körperlich und seelisch kranken Mannes, gepreßten, unleidlich gewordnen häus¬
lichen Verhältnissen zu entfliehn, sich an den großen Bildern Italiens empor¬
zurichten und neuen Lebensmut zu gewinnen. Wenn Goethe selbst am Vor¬
abend der Reise seine Stimme warnend erhob und zu Eckermann äußerte, daß
sich die Wandrer über den Erfolg keine zu große Illusion machen möchten,
„man kommt gewöhnlich zurück, wie man gegangen ist, ja man muß sich hüten,


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[0198] [Abbildung] August von Goethes Briefe aus Italien n Adolf Stern llutaclellt vo der einzige Sohn unsers großen Dichters, der wcimarische Knmmerrat und Knmmerherr August vo>? Goethe, trotz der warmen, ^ sein Leben allznsorglich ehrenden Liebe des Vaters nicht unter die glücklichen Menschen gehört hat, ist seit den ausführlichen, allen Hauptsachen unbestritten gebliebner Mitteilungen, die K, von Holtet im dritten und vierten Bande seiner „Vierzig Jahre" über den Dichtersohn gemacht hatte, offenkundig genug gewesen. Beinahe jede Charak¬ teristik August von Goethes wurzelt oder gipfelt in der Darlegung, daß der mannigfach begabte, aber niemals zu innerer und äußerer Selbständigkeit ge¬ langte Mann unter der Herrschaft lockerer Gewohnheiten und unter dem Druck des Mißgesühls über ein halb verfehltes Leben gestanden habe. Während er in manchen Einzelheiten der nnmittelbnre Erbe seines großen Vaters war — wie z. B. Augusts bis zur Karikatur gesteigerte Bewundrung Napoleons I. erst nnhub, als Goethe längst im Festspiel „Des Epimenides Erwachen" seiner eignen Bewundrung bestimmte, weithin sichtbare Schranken gesetzt hatte — und er in vielen Zügen seines Wesens und seiner Bildung die Goethische Ein¬ wirkung nicht verleugnete, war ihm nicht nur der Genius, sondern vor allein auch das Gleichmaß und die gewaltige Selbstbeherrschung des Vaters versagt geblieben. Da es fruchtlos ist, gewesenen Dingen und vergangnen Schicksalen gegenüber zu erörtern, wie sie anders hätten sein und verlaufen können, so darf man bei der Mitteilung neuer Zeugnisse, die den Widerspruch des Lebens und die Ungunst des Geschicks August von Goethes nur zu getreu spiegeln, Rückblicke wie Anklagen beiseite setzen und sich in den nachstehenden Briefen die letzten Lebenseindrücke, Empfindungen und Hoffnungen des 1830 in Rom Geschiedneu vergegenwärtigen. Die italienische Reise, die August von Goethe im April des Jahres 1830 anfänglich in Gesellschaft I. P. Eckermanns angetreten hatte, und von der er nicht nach Weimar zurückkehren sollte, war ohne alle Frage zunächst ein Versuch des körperlich und seelisch kranken Mannes, gepreßten, unleidlich gewordnen häus¬ lichen Verhältnissen zu entfliehn, sich an den großen Bildern Italiens empor¬ zurichten und neuen Lebensmut zu gewinnen. Wenn Goethe selbst am Vor¬ abend der Reise seine Stimme warnend erhob und zu Eckermann äußerte, daß sich die Wandrer über den Erfolg keine zu große Illusion machen möchten, „man kommt gewöhnlich zurück, wie man gegangen ist, ja man muß sich hüten,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/198>, abgerufen am 04.05.2024.