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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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und grünt die Wintersant, die verschrieene römische Campngna ist, sobald die
ersten Herbstregen gefallen sind, derselbe bunte, duftende Blumenteppich wie im
Frühling. Die üppige Campanin felix um Neapel, wo man das ganze Jahr
säet und erntet, prangt Ende November schon wieder im reichsten Anbau; nur
die Weinreben sind dann meist kahl. Auch dem Blumenflor der Gurten ist
die sommerliche Dürre kaum anzumerken. Nur die Flüsse haben meist wenig
Wasser und rinnen oft spärlich zwischen breiten Geröllbänken, wenn sie nicht
unter besonders starken Regengüssen rasch anschwellen und ihr Bett auf einige
Tage ausfüllen, wie um die Mitte des vorigen Oktober die Tiber, gegen die sich
die mächtigen neuen Ufermaueru in Rom zum erstenmale glänzend bewahrten,
lind wenn die Orangen fehlen, so sind die saftigsten Citronen, die süßesten
Feigen, anf Sizilien vor allein die sehr wohlschmeckenden und erfrischenden
Kaktusfeigen (üelck ä'Inäich, die köstlichsten Weintrauben und das schönste Tafel¬
obst reif. Endlich hat der Herbst in Italien wenig Fremdenverkehr; in Neapel,
auf Capri, auf Sizilien waren in diesem November die Gasthöfe geradezu leer,
"lan konnte sich mit Behagen das Zinnner aussuchen und wurde mit besondrer
Zuvorkommenheit behandelt. Kurz, der italienische Herbst hat so große Vor¬
züge, daß er für den, der nicht zum erstenmal ins Land geht, als Reisezeit
Wohl den Vorzug vor dem Frühling verdient. Wer freilich Italien zum ersten¬
mal aufsucht, der wird besser deu Frühling wählen und um der quellenden
Frische und der lungern Tage Nullen manches weniger Günstige mit in den
Kauf nehmen, um dann zu Hause den Frühling, den er im Süden in voller
Entwicklung verlasse" hat, noch einmal zu genießen.

Im goldnen Herbstlicht sind die nachfolgend gezeichneten Bilder geschaut
worden, und als schlichte Reisebilder wollen sie betrachtet sein.


2. Orvieto und Siena

Beide Städte werden häufig zusammen genannt, und in der That ge¬
hören sie gewissermaßen zusammen. Denn beide werden vor allem um eines
großen Bauwerks willen, wegen ihres Domes besucht, und beide Dome zählen
zu den großartigsten Schöpfungen der italienischen Gotik wie die von Mai¬
land und Florenz. Daraus ergiebt sich schon, daß beide Städte ihre Blütezeit
ni der Zeit eines wehrhaften, kunstsinnigen Bürgertums, also in den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters gehabt haben. Andrerseits gehören sie beide
zu den antiken Hvhenstädten, die besonders für Mittelitnlien charakteristisch
sind. Denn in der fernen Vorzeit nötigte die Rücksicht auf die Sicherheit zur
Vereinigung der Bevölkerung in natnrfesten Plätzen, sie zog also die Be¬
wohner und Bebciuer des flachen Landes von den Thälern auf leicht zu ver¬
teidigende Felsplatten, wie sie im alten Etrurien und Umbrien mich Fiesole,
Arrezzo, Cortonn, Perugia, Assisi einnehmen, machte das platte Land zu einem
Wirtschaftlichen und politischen Zubehör der Stadt, bestimmte damit die ganze
Geschichte und für alle Zeiten auch das Aussehen der Landschaft. Der c5-^"exe<7^oc,>,
die "Zusammensiedlung," wie die Griechen diesen Vorgang nennen, den nach


und grünt die Wintersant, die verschrieene römische Campngna ist, sobald die
ersten Herbstregen gefallen sind, derselbe bunte, duftende Blumenteppich wie im
Frühling. Die üppige Campanin felix um Neapel, wo man das ganze Jahr
säet und erntet, prangt Ende November schon wieder im reichsten Anbau; nur
die Weinreben sind dann meist kahl. Auch dem Blumenflor der Gurten ist
die sommerliche Dürre kaum anzumerken. Nur die Flüsse haben meist wenig
Wasser und rinnen oft spärlich zwischen breiten Geröllbänken, wenn sie nicht
unter besonders starken Regengüssen rasch anschwellen und ihr Bett auf einige
Tage ausfüllen, wie um die Mitte des vorigen Oktober die Tiber, gegen die sich
die mächtigen neuen Ufermaueru in Rom zum erstenmale glänzend bewahrten,
lind wenn die Orangen fehlen, so sind die saftigsten Citronen, die süßesten
Feigen, anf Sizilien vor allein die sehr wohlschmeckenden und erfrischenden
Kaktusfeigen (üelck ä'Inäich, die köstlichsten Weintrauben und das schönste Tafel¬
obst reif. Endlich hat der Herbst in Italien wenig Fremdenverkehr; in Neapel,
auf Capri, auf Sizilien waren in diesem November die Gasthöfe geradezu leer,
»lan konnte sich mit Behagen das Zinnner aussuchen und wurde mit besondrer
Zuvorkommenheit behandelt. Kurz, der italienische Herbst hat so große Vor¬
züge, daß er für den, der nicht zum erstenmal ins Land geht, als Reisezeit
Wohl den Vorzug vor dem Frühling verdient. Wer freilich Italien zum ersten¬
mal aufsucht, der wird besser deu Frühling wählen und um der quellenden
Frische und der lungern Tage Nullen manches weniger Günstige mit in den
Kauf nehmen, um dann zu Hause den Frühling, den er im Süden in voller
Entwicklung verlasse« hat, noch einmal zu genießen.

Im goldnen Herbstlicht sind die nachfolgend gezeichneten Bilder geschaut
worden, und als schlichte Reisebilder wollen sie betrachtet sein.


2. Orvieto und Siena

Beide Städte werden häufig zusammen genannt, und in der That ge¬
hören sie gewissermaßen zusammen. Denn beide werden vor allem um eines
großen Bauwerks willen, wegen ihres Domes besucht, und beide Dome zählen
zu den großartigsten Schöpfungen der italienischen Gotik wie die von Mai¬
land und Florenz. Daraus ergiebt sich schon, daß beide Städte ihre Blütezeit
ni der Zeit eines wehrhaften, kunstsinnigen Bürgertums, also in den letzten
Jahrhunderten des Mittelalters gehabt haben. Andrerseits gehören sie beide
zu den antiken Hvhenstädten, die besonders für Mittelitnlien charakteristisch
sind. Denn in der fernen Vorzeit nötigte die Rücksicht auf die Sicherheit zur
Vereinigung der Bevölkerung in natnrfesten Plätzen, sie zog also die Be¬
wohner und Bebciuer des flachen Landes von den Thälern auf leicht zu ver¬
teidigende Felsplatten, wie sie im alten Etrurien und Umbrien mich Fiesole,
Arrezzo, Cortonn, Perugia, Assisi einnehmen, machte das platte Land zu einem
Wirtschaftlichen und politischen Zubehör der Stadt, bestimmte damit die ganze
Geschichte und für alle Zeiten auch das Aussehen der Landschaft. Der c5-^»exe<7^oc,>,
die „Zusammensiedlung," wie die Griechen diesen Vorgang nennen, den nach


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/253>, abgerufen am 04.05.2024.