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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Herbstbilder aus Italien

^xoriars ullquis nostris ossibus ultor. Elf Jahre später ging dieser Wunsch
in Erfüllung.

3. Auf der Via Appia

Ein herrlicher, sonniger und frischer Oktobermorgen, uns. splenäiaa ssior-
nata, wie die Italiener sagen, war über Rom heraufgestiegen. Vom blauen
Himmel hoben sich scharf ab die seinen Linien der Paläste Michelangelos um
den Kapitolplatz und der ragende Turm des Senats, zu dem die breite Freitreppe
zwischen dem üppigen Grün der schönen Anlagen auf beiden Seiten hinaufführt.
Angesichts dieses stolzen und anmutigen Bildes herrschte auf der sonst ziemlich
stillen Piazza Araeoeli am Fuße der Treppe reges Leben, denn einige zwanzig
deutsche Gymnasiallehrer aus allen Teilen des großen Vaterlands harrten
plaudernd und erwartungsvoll in froh gehobner Stimmung des Ausbruchs nach
der Via Appia. Seit 1891 senden die deutschen Regierungen alljährlich im
Herbst eine Anzahl Schulmänner mit einer bald ausgiebiger, bald sparsamer
bemessenen Unterstützung hinaus, daß sie unter der Leitung des kaiserlichen
Archäologischen Instituts in Rom, dessen stattlicher, palastartiger Bau hinter dem
Palazzo Cassarelli, der deutschen Botschaft, einen Teil der stolzen deutschen
Kolonie auf dem Kapitol an der Stelle des ehrwürdigen Jupitertempels und
seiner nächsten Umgebung darstellt, einige Wochen anstatt der Schulluft daheim
die Luft Italiens atmen, daß sie anstatt bloßer Bilder und Texte die Stätten,
wohin sie die deutsche Jugend im Geiste führen, wo sie selbst heimisch sein sollen,
von Florenz bis Neapel mit Augen schauen und daneben, soweit das möglich
ist und in der Fähigkeit des Einzelnen liegt, in ein fremdes Volkstum unter¬
tauchen, das auf dem antiken Boden sich noch so unendlich viel von antiker
Art bewahrt hat. Wer der Mann dazu ist, der kehrt erfrischt, gestärkt und
gehobnen Sinns in die Heimat zurück, und das ist hoffentlich die Mehrzahl,
soweit die Fahrt noch rechtzeitig mit frischem Geist und spanntrüftigem Körper
unternommen wird, noch ehe die kaum vermeidliche und so vielen verhängnis¬
volle Pedanterie des Schullebens dafür unempfänglich gemacht hat. Von der
am 21. Oktober v. I. bei Araeoeli versammelten Gruppe, die mich für diesen
Tag freundlich aufgenommen hatte, gehörte zu jener zweiten Art wohl keiner;
mit fröhlichem "Guten Morgen!" wurde Professor Christian Hülsen, der
Sekretär des Archäologischen Instituts, begrüßt, als er vom Kapitol herunter¬
kam, und nach acht Uhr setzte sich der kleine Wagenzug, acht treffliche römische
Droschken, in Bewegung.

Um das Kapitol herum ging es zunächst durch enge ärmliche Gassen am
alten Mareellustheater vorüber, zwischen dessen gelbbraunen Säulen lind Bogen
sich seit Jahrhunderte,, dürftiges Volk mit Wohnungen, Werkstätten und Kram¬
buden eingenistet hat -- ein noch ungestört erhaltnes Stück des päpstlichen
Roms, wie es Piranesis Kupferstiche vergegenwärtigen --, dann zwischen dein
hohen steilen Westabhang des Palatin mit den Cypressen der Villa Mills und
den riesigen Snbstruktivnen der Scverusbanten zur Linken, den, alten Circus


Herbstbilder aus Italien

^xoriars ullquis nostris ossibus ultor. Elf Jahre später ging dieser Wunsch
in Erfüllung.

3. Auf der Via Appia

Ein herrlicher, sonniger und frischer Oktobermorgen, uns. splenäiaa ssior-
nata, wie die Italiener sagen, war über Rom heraufgestiegen. Vom blauen
Himmel hoben sich scharf ab die seinen Linien der Paläste Michelangelos um
den Kapitolplatz und der ragende Turm des Senats, zu dem die breite Freitreppe
zwischen dem üppigen Grün der schönen Anlagen auf beiden Seiten hinaufführt.
Angesichts dieses stolzen und anmutigen Bildes herrschte auf der sonst ziemlich
stillen Piazza Araeoeli am Fuße der Treppe reges Leben, denn einige zwanzig
deutsche Gymnasiallehrer aus allen Teilen des großen Vaterlands harrten
plaudernd und erwartungsvoll in froh gehobner Stimmung des Ausbruchs nach
der Via Appia. Seit 1891 senden die deutschen Regierungen alljährlich im
Herbst eine Anzahl Schulmänner mit einer bald ausgiebiger, bald sparsamer
bemessenen Unterstützung hinaus, daß sie unter der Leitung des kaiserlichen
Archäologischen Instituts in Rom, dessen stattlicher, palastartiger Bau hinter dem
Palazzo Cassarelli, der deutschen Botschaft, einen Teil der stolzen deutschen
Kolonie auf dem Kapitol an der Stelle des ehrwürdigen Jupitertempels und
seiner nächsten Umgebung darstellt, einige Wochen anstatt der Schulluft daheim
die Luft Italiens atmen, daß sie anstatt bloßer Bilder und Texte die Stätten,
wohin sie die deutsche Jugend im Geiste führen, wo sie selbst heimisch sein sollen,
von Florenz bis Neapel mit Augen schauen und daneben, soweit das möglich
ist und in der Fähigkeit des Einzelnen liegt, in ein fremdes Volkstum unter¬
tauchen, das auf dem antiken Boden sich noch so unendlich viel von antiker
Art bewahrt hat. Wer der Mann dazu ist, der kehrt erfrischt, gestärkt und
gehobnen Sinns in die Heimat zurück, und das ist hoffentlich die Mehrzahl,
soweit die Fahrt noch rechtzeitig mit frischem Geist und spanntrüftigem Körper
unternommen wird, noch ehe die kaum vermeidliche und so vielen verhängnis¬
volle Pedanterie des Schullebens dafür unempfänglich gemacht hat. Von der
am 21. Oktober v. I. bei Araeoeli versammelten Gruppe, die mich für diesen
Tag freundlich aufgenommen hatte, gehörte zu jener zweiten Art wohl keiner;
mit fröhlichem „Guten Morgen!" wurde Professor Christian Hülsen, der
Sekretär des Archäologischen Instituts, begrüßt, als er vom Kapitol herunter¬
kam, und nach acht Uhr setzte sich der kleine Wagenzug, acht treffliche römische
Droschken, in Bewegung.

Um das Kapitol herum ging es zunächst durch enge ärmliche Gassen am
alten Mareellustheater vorüber, zwischen dessen gelbbraunen Säulen lind Bogen
sich seit Jahrhunderte,, dürftiges Volk mit Wohnungen, Werkstätten und Kram¬
buden eingenistet hat — ein noch ungestört erhaltnes Stück des päpstlichen
Roms, wie es Piranesis Kupferstiche vergegenwärtigen —, dann zwischen dein
hohen steilen Westabhang des Palatin mit den Cypressen der Villa Mills und
den riesigen Snbstruktivnen der Scverusbanten zur Linken, den, alten Circus


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[0352] Herbstbilder aus Italien ^xoriars ullquis nostris ossibus ultor. Elf Jahre später ging dieser Wunsch in Erfüllung. 3. Auf der Via Appia Ein herrlicher, sonniger und frischer Oktobermorgen, uns. splenäiaa ssior- nata, wie die Italiener sagen, war über Rom heraufgestiegen. Vom blauen Himmel hoben sich scharf ab die seinen Linien der Paläste Michelangelos um den Kapitolplatz und der ragende Turm des Senats, zu dem die breite Freitreppe zwischen dem üppigen Grün der schönen Anlagen auf beiden Seiten hinaufführt. Angesichts dieses stolzen und anmutigen Bildes herrschte auf der sonst ziemlich stillen Piazza Araeoeli am Fuße der Treppe reges Leben, denn einige zwanzig deutsche Gymnasiallehrer aus allen Teilen des großen Vaterlands harrten plaudernd und erwartungsvoll in froh gehobner Stimmung des Ausbruchs nach der Via Appia. Seit 1891 senden die deutschen Regierungen alljährlich im Herbst eine Anzahl Schulmänner mit einer bald ausgiebiger, bald sparsamer bemessenen Unterstützung hinaus, daß sie unter der Leitung des kaiserlichen Archäologischen Instituts in Rom, dessen stattlicher, palastartiger Bau hinter dem Palazzo Cassarelli, der deutschen Botschaft, einen Teil der stolzen deutschen Kolonie auf dem Kapitol an der Stelle des ehrwürdigen Jupitertempels und seiner nächsten Umgebung darstellt, einige Wochen anstatt der Schulluft daheim die Luft Italiens atmen, daß sie anstatt bloßer Bilder und Texte die Stätten, wohin sie die deutsche Jugend im Geiste führen, wo sie selbst heimisch sein sollen, von Florenz bis Neapel mit Augen schauen und daneben, soweit das möglich ist und in der Fähigkeit des Einzelnen liegt, in ein fremdes Volkstum unter¬ tauchen, das auf dem antiken Boden sich noch so unendlich viel von antiker Art bewahrt hat. Wer der Mann dazu ist, der kehrt erfrischt, gestärkt und gehobnen Sinns in die Heimat zurück, und das ist hoffentlich die Mehrzahl, soweit die Fahrt noch rechtzeitig mit frischem Geist und spanntrüftigem Körper unternommen wird, noch ehe die kaum vermeidliche und so vielen verhängnis¬ volle Pedanterie des Schullebens dafür unempfänglich gemacht hat. Von der am 21. Oktober v. I. bei Araeoeli versammelten Gruppe, die mich für diesen Tag freundlich aufgenommen hatte, gehörte zu jener zweiten Art wohl keiner; mit fröhlichem „Guten Morgen!" wurde Professor Christian Hülsen, der Sekretär des Archäologischen Instituts, begrüßt, als er vom Kapitol herunter¬ kam, und nach acht Uhr setzte sich der kleine Wagenzug, acht treffliche römische Droschken, in Bewegung. Um das Kapitol herum ging es zunächst durch enge ärmliche Gassen am alten Mareellustheater vorüber, zwischen dessen gelbbraunen Säulen lind Bogen sich seit Jahrhunderte,, dürftiges Volk mit Wohnungen, Werkstätten und Kram¬ buden eingenistet hat — ein noch ungestört erhaltnes Stück des päpstlichen Roms, wie es Piranesis Kupferstiche vergegenwärtigen —, dann zwischen dein hohen steilen Westabhang des Palatin mit den Cypressen der Villa Mills und den riesigen Snbstruktivnen der Scverusbanten zur Linken, den, alten Circus

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/352>, abgerufen am 04.05.2024.