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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr.

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Litteratur

verlangen in einem derartigen Bändchen wäre vielleicht unbescheiden, aber einige
wünschen darf man sich Wohl schon noch einmal.

Arthur Borns giebt als eine Fortsetzung seines frühern Buchs "Zwischen
den Zeilen" mit demselben Titel und dem Zusatz "Noch etwas für besinnliche
Leute" (Heilbronn, Salzer) einunddreißig ernste, gehaltvolle Betrachtungen mit vielen
eingestreuten Erlebnissen und kleinen Erzählungen. Dem Dichter Oeser gegenüber
ist er der Ermnhuer. Oeser ist konkreter und in seiner ganzen Art wohlthuender,
aber Borns greift die einzelnen Probleme oft kräftiger an, und was er z. B.
Seite 126 über Gott und das Naturgesetz sagt, ist tiefer geholt als die Weisheit
des Herrn Archemorvs über den Telegraphendraht, den der Bauer sieht, und über
den Strom der göttlichen Gedanken, der unsichtbar hindurchgeht. Alles, was Borns
vorbringt, ist beachtenswert, manches sehr originell, z. B. "Die Reise ins negativ,"
eine Träumerei über das Jenseits, wonach jeder dereinst sein eignes negativ durch^
leben muß, d. h. alle Eindrücke und Einwirkungen, die von ihm ausgegangen sind,
an sich erfahren. Gelächelt oder gar gelacht wird bei Borns seltner als bei Oeser,
aber eine Diatribe über den Geist, worunter die Kaffern in Afrika und der Pro-
fessor Häckel in Jena ein "gasförmiges Wirbeltier" versteh", jene aus Unverstand,
dieser ans Wissenschaft (in Ur. 29, Lohnsucht) ist des Matthias Claudius würdig.

Ein Buch von ähnlichen Ansprüchen, das ebenfalls einen norddeutschen Geist¬
lichen zum Verfasser hat, trägt einen sehr Pastoralen Titel: "Nimm und lies!
Biblische Streifzüge und Charakterbilder" von Christian Rogge (Stuttgart,
Greiner und Pfeiffer). Längst gewonnenen Christen und gewohnten Kirchgängeru
wird es angenehm sein, das Wort Gottes anch einmal in Miuiaturformat in die
Hand nehmen und jeder Zeit weglegen zu können, aber für Kinder der Welt ist
der Ton nicht getroffen. Abgesehen von der Predigtweise oder dem Stil der
Katechisation, den man doch als Gemeindemündiger nicht mehr so gut verträgt
(siehe die Einleitung zu Ur. 5 "Der Humor der Bibel"), findet man zuviel wenn
auch nicht eigentliche Gelehrsamkeit, so doch was an das fachmäßige Wissen erinnert,
und was in Büchern für die gebildete große Welt überwunden sein muß. Das ist
umso mehr schade, als des Verfassers Grundgedanke, der Gebildete müsse die Bibel
und namentlich auch das Alte Testament viel besser kennen, so vollkommen richtig
ist, und als er selbst sehr wohl die Fähigkeit haben würde, dafür zu werben und
zu gewinnen. Die Stücke "Jephtha" und "Elias" sind sehr ansprechend, und die
zwei Episoden aus der Geschichte Sauls geradezu schon. Beiläufig, bei dem
Jeremias in der Kunst verdiente wohl in einer zweiten Auflage "eben "Meister
A. P. Bendemann" (S. 17) auch noch Michelangelo ein Plätzchen.







Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Maranart in Leipzig
Litteratur

verlangen in einem derartigen Bändchen wäre vielleicht unbescheiden, aber einige
wünschen darf man sich Wohl schon noch einmal.

Arthur Borns giebt als eine Fortsetzung seines frühern Buchs „Zwischen
den Zeilen" mit demselben Titel und dem Zusatz „Noch etwas für besinnliche
Leute" (Heilbronn, Salzer) einunddreißig ernste, gehaltvolle Betrachtungen mit vielen
eingestreuten Erlebnissen und kleinen Erzählungen. Dem Dichter Oeser gegenüber
ist er der Ermnhuer. Oeser ist konkreter und in seiner ganzen Art wohlthuender,
aber Borns greift die einzelnen Probleme oft kräftiger an, und was er z. B.
Seite 126 über Gott und das Naturgesetz sagt, ist tiefer geholt als die Weisheit
des Herrn Archemorvs über den Telegraphendraht, den der Bauer sieht, und über
den Strom der göttlichen Gedanken, der unsichtbar hindurchgeht. Alles, was Borns
vorbringt, ist beachtenswert, manches sehr originell, z. B. „Die Reise ins negativ,"
eine Träumerei über das Jenseits, wonach jeder dereinst sein eignes negativ durch^
leben muß, d. h. alle Eindrücke und Einwirkungen, die von ihm ausgegangen sind,
an sich erfahren. Gelächelt oder gar gelacht wird bei Borns seltner als bei Oeser,
aber eine Diatribe über den Geist, worunter die Kaffern in Afrika und der Pro-
fessor Häckel in Jena ein „gasförmiges Wirbeltier" versteh», jene aus Unverstand,
dieser ans Wissenschaft (in Ur. 29, Lohnsucht) ist des Matthias Claudius würdig.

Ein Buch von ähnlichen Ansprüchen, das ebenfalls einen norddeutschen Geist¬
lichen zum Verfasser hat, trägt einen sehr Pastoralen Titel: „Nimm und lies!
Biblische Streifzüge und Charakterbilder" von Christian Rogge (Stuttgart,
Greiner und Pfeiffer). Längst gewonnenen Christen und gewohnten Kirchgängeru
wird es angenehm sein, das Wort Gottes anch einmal in Miuiaturformat in die
Hand nehmen und jeder Zeit weglegen zu können, aber für Kinder der Welt ist
der Ton nicht getroffen. Abgesehen von der Predigtweise oder dem Stil der
Katechisation, den man doch als Gemeindemündiger nicht mehr so gut verträgt
(siehe die Einleitung zu Ur. 5 „Der Humor der Bibel"), findet man zuviel wenn
auch nicht eigentliche Gelehrsamkeit, so doch was an das fachmäßige Wissen erinnert,
und was in Büchern für die gebildete große Welt überwunden sein muß. Das ist
umso mehr schade, als des Verfassers Grundgedanke, der Gebildete müsse die Bibel
und namentlich auch das Alte Testament viel besser kennen, so vollkommen richtig
ist, und als er selbst sehr wohl die Fähigkeit haben würde, dafür zu werben und
zu gewinnen. Die Stücke „Jephtha" und „Elias" sind sehr ansprechend, und die
zwei Episoden aus der Geschichte Sauls geradezu schon. Beiläufig, bei dem
Jeremias in der Kunst verdiente wohl in einer zweiten Auflage »eben „Meister
A. P. Bendemann" (S. 17) auch noch Michelangelo ein Plätzchen.







Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Maranart in Leipzig
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[0376] Litteratur verlangen in einem derartigen Bändchen wäre vielleicht unbescheiden, aber einige wünschen darf man sich Wohl schon noch einmal. Arthur Borns giebt als eine Fortsetzung seines frühern Buchs „Zwischen den Zeilen" mit demselben Titel und dem Zusatz „Noch etwas für besinnliche Leute" (Heilbronn, Salzer) einunddreißig ernste, gehaltvolle Betrachtungen mit vielen eingestreuten Erlebnissen und kleinen Erzählungen. Dem Dichter Oeser gegenüber ist er der Ermnhuer. Oeser ist konkreter und in seiner ganzen Art wohlthuender, aber Borns greift die einzelnen Probleme oft kräftiger an, und was er z. B. Seite 126 über Gott und das Naturgesetz sagt, ist tiefer geholt als die Weisheit des Herrn Archemorvs über den Telegraphendraht, den der Bauer sieht, und über den Strom der göttlichen Gedanken, der unsichtbar hindurchgeht. Alles, was Borns vorbringt, ist beachtenswert, manches sehr originell, z. B. „Die Reise ins negativ," eine Träumerei über das Jenseits, wonach jeder dereinst sein eignes negativ durch^ leben muß, d. h. alle Eindrücke und Einwirkungen, die von ihm ausgegangen sind, an sich erfahren. Gelächelt oder gar gelacht wird bei Borns seltner als bei Oeser, aber eine Diatribe über den Geist, worunter die Kaffern in Afrika und der Pro- fessor Häckel in Jena ein „gasförmiges Wirbeltier" versteh», jene aus Unverstand, dieser ans Wissenschaft (in Ur. 29, Lohnsucht) ist des Matthias Claudius würdig. Ein Buch von ähnlichen Ansprüchen, das ebenfalls einen norddeutschen Geist¬ lichen zum Verfasser hat, trägt einen sehr Pastoralen Titel: „Nimm und lies! Biblische Streifzüge und Charakterbilder" von Christian Rogge (Stuttgart, Greiner und Pfeiffer). Längst gewonnenen Christen und gewohnten Kirchgängeru wird es angenehm sein, das Wort Gottes anch einmal in Miuiaturformat in die Hand nehmen und jeder Zeit weglegen zu können, aber für Kinder der Welt ist der Ton nicht getroffen. Abgesehen von der Predigtweise oder dem Stil der Katechisation, den man doch als Gemeindemündiger nicht mehr so gut verträgt (siehe die Einleitung zu Ur. 5 „Der Humor der Bibel"), findet man zuviel wenn auch nicht eigentliche Gelehrsamkeit, so doch was an das fachmäßige Wissen erinnert, und was in Büchern für die gebildete große Welt überwunden sein muß. Das ist umso mehr schade, als des Verfassers Grundgedanke, der Gebildete müsse die Bibel und namentlich auch das Alte Testament viel besser kennen, so vollkommen richtig ist, und als er selbst sehr wohl die Fähigkeit haben würde, dafür zu werben und zu gewinnen. Die Stücke „Jephtha" und „Elias" sind sehr ansprechend, und die zwei Episoden aus der Geschichte Sauls geradezu schon. Beiläufig, bei dem Jeremias in der Kunst verdiente wohl in einer zweiten Auflage »eben „Meister A. P. Bendemann" (S. 17) auch noch Michelangelo ein Plätzchen. Herausgegeben von Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr. Wilh. Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Maranart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_232551/376>, abgerufen am 04.05.2024.