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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr.

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Deutschtum oder polentum^)

as Deutsche Reich hat, seit es auf preußischer Grundlage wieder
zu Stand und Wesen gekommen ist, einen Aufschwung ohne
gleichen genommen. Ju alle Welt treibt es kraftvoll hinaus.
Dem gegenüber erweckt es einen Eindruck, der nur als grotesk
bezeichnet werden kauu, wie es sich in seinen eignen vier Pfählen
jämmerlich äffen läßt. Das geschieht mit der Polenfrage. Freilich ist es,
genau betrachtet, in Wahrheit lächerlich, in Deutschland von einer besondern
Polenfrage zu sprechen; denn in der Sphäre des Deutschtums giebt es that¬
sächlich kaum noch Menschen von eigentlichen, polnischem Wesen. Leider wird
dessen im öffentlichen Leben wenig, ja fast gar uicht Erwähnung gethan, ge¬
schweige denn, daß es der großen Masse oder much nur den leitenden Kreisen
der Deutschen zu klarem Bewußtsein gekommen wäre. Eine ganz erkleckliche
Anzahl "Staatsmänner" Preußens steht sogar vor dieser "Frage," die zu losen
ihnen nach allen Anzeichen als eine Aufgabe gleich der auf Ermittlung der
Quadratur des Kreises gilt, völlig hilflos, geradezu gedankenlos da. Was
sie dazu bringt, das liegt offen am Tage; es ist der Glaube an das Ratio-
"alitätspriuzip. Das ist die Wurzel ihrer Schwäche gegenüber dem Polen-
tume, und das ist zugleich im Gegensatz zu ihrem Kleinmut und im ursächlichen
Zusammenhange damit die Wurzel des dreiste" Vordrängens des Polentums
in deutschen Landen.

Was mich früher die Polen nach der Zerschlaguug ihres Staats zu Auf¬
ständen gegen die ihnen aufgezwuugue Neuordnung der Dinge in den Weichsel¬
gebieten getrieben haben mag, heute ist es zweifellos und in ausgesprochener



Der nachstehende Artikel ist durch das Werk von L. Trampe "Das Deutschtum und
sein öffentliches Recht" (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1S00) angeregt worden. Sollte
dem Leser das eine oder das andre in dem Aufsatz nicht deutlich genug ausgedrückt erscheinen,
so bittet der Verfasser, zu genaueren Verständnis dieses Werk einzusehen.
Grenzboten 111 1900 25


Deutschtum oder polentum^)

as Deutsche Reich hat, seit es auf preußischer Grundlage wieder
zu Stand und Wesen gekommen ist, einen Aufschwung ohne
gleichen genommen. Ju alle Welt treibt es kraftvoll hinaus.
Dem gegenüber erweckt es einen Eindruck, der nur als grotesk
bezeichnet werden kauu, wie es sich in seinen eignen vier Pfählen
jämmerlich äffen läßt. Das geschieht mit der Polenfrage. Freilich ist es,
genau betrachtet, in Wahrheit lächerlich, in Deutschland von einer besondern
Polenfrage zu sprechen; denn in der Sphäre des Deutschtums giebt es that¬
sächlich kaum noch Menschen von eigentlichen, polnischem Wesen. Leider wird
dessen im öffentlichen Leben wenig, ja fast gar uicht Erwähnung gethan, ge¬
schweige denn, daß es der großen Masse oder much nur den leitenden Kreisen
der Deutschen zu klarem Bewußtsein gekommen wäre. Eine ganz erkleckliche
Anzahl „Staatsmänner" Preußens steht sogar vor dieser „Frage," die zu losen
ihnen nach allen Anzeichen als eine Aufgabe gleich der auf Ermittlung der
Quadratur des Kreises gilt, völlig hilflos, geradezu gedankenlos da. Was
sie dazu bringt, das liegt offen am Tage; es ist der Glaube an das Ratio-
»alitätspriuzip. Das ist die Wurzel ihrer Schwäche gegenüber dem Polen-
tume, und das ist zugleich im Gegensatz zu ihrem Kleinmut und im ursächlichen
Zusammenhange damit die Wurzel des dreiste» Vordrängens des Polentums
in deutschen Landen.

Was mich früher die Polen nach der Zerschlaguug ihres Staats zu Auf¬
ständen gegen die ihnen aufgezwuugue Neuordnung der Dinge in den Weichsel¬
gebieten getrieben haben mag, heute ist es zweifellos und in ausgesprochener



Der nachstehende Artikel ist durch das Werk von L. Trampe „Das Deutschtum und
sein öffentliches Recht" (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1S00) angeregt worden. Sollte
dem Leser das eine oder das andre in dem Aufsatz nicht deutlich genug ausgedrückt erscheinen,
so bittet der Verfasser, zu genaueren Verständnis dieses Werk einzusehen.
Grenzboten 111 1900 25
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[0201] [Abbildung] Deutschtum oder polentum^) as Deutsche Reich hat, seit es auf preußischer Grundlage wieder zu Stand und Wesen gekommen ist, einen Aufschwung ohne gleichen genommen. Ju alle Welt treibt es kraftvoll hinaus. Dem gegenüber erweckt es einen Eindruck, der nur als grotesk bezeichnet werden kauu, wie es sich in seinen eignen vier Pfählen jämmerlich äffen läßt. Das geschieht mit der Polenfrage. Freilich ist es, genau betrachtet, in Wahrheit lächerlich, in Deutschland von einer besondern Polenfrage zu sprechen; denn in der Sphäre des Deutschtums giebt es that¬ sächlich kaum noch Menschen von eigentlichen, polnischem Wesen. Leider wird dessen im öffentlichen Leben wenig, ja fast gar uicht Erwähnung gethan, ge¬ schweige denn, daß es der großen Masse oder much nur den leitenden Kreisen der Deutschen zu klarem Bewußtsein gekommen wäre. Eine ganz erkleckliche Anzahl „Staatsmänner" Preußens steht sogar vor dieser „Frage," die zu losen ihnen nach allen Anzeichen als eine Aufgabe gleich der auf Ermittlung der Quadratur des Kreises gilt, völlig hilflos, geradezu gedankenlos da. Was sie dazu bringt, das liegt offen am Tage; es ist der Glaube an das Ratio- »alitätspriuzip. Das ist die Wurzel ihrer Schwäche gegenüber dem Polen- tume, und das ist zugleich im Gegensatz zu ihrem Kleinmut und im ursächlichen Zusammenhange damit die Wurzel des dreiste» Vordrängens des Polentums in deutschen Landen. Was mich früher die Polen nach der Zerschlaguug ihres Staats zu Auf¬ ständen gegen die ihnen aufgezwuugue Neuordnung der Dinge in den Weichsel¬ gebieten getrieben haben mag, heute ist es zweifellos und in ausgesprochener Der nachstehende Artikel ist durch das Werk von L. Trampe „Das Deutschtum und sein öffentliches Recht" (Berlin, Puttkammer und Mühlbrecht, 1S00) angeregt worden. Sollte dem Leser das eine oder das andre in dem Aufsatz nicht deutlich genug ausgedrückt erscheinen, so bittet der Verfasser, zu genaueren Verständnis dieses Werk einzusehen. Grenzboten 111 1900 25

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233/201>, abgerufen am 03.05.2024.