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Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr.

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Deutschtum oder j)olentuin

sich harmonisch aus dem zarten Lärchengrün hebt, mit Wald- und Weidenmatten
und Herdenglocken, mit deinem Fürstensteig, den schroffen Bergspitzen und den
schauerlichen Abgründen, die hinab bis zum glänzenden Rheinstrom stürzen;
und Maseschn, dn stilles Reich der "drei Schwestern," die nicht bloß als drei-
gipfliger Berg 2108 Meter hoch in die Lüste ragen, souderu als lvirkliche und
Uiahrhaftige drei Liechtensteiner Damen den stadtinüden Fremdling aus dem
Reich in ihrer Pension aufs treulichste hegen und Pflegen; das Uialdstille
Sulla, die "saftige Weide" im Samiuathnl drüben -- das find Bergnester,
wie man sie heimlicher und prächtiger nirgends in diesem Hochgebirg findet.

Mit diesen Nestern des Staatsuests Liechtenstein Wollen wir Abschied
nehmen von dem ganz einzigartigen Ländchen, vom Fürstentum ohne Fürst im
Land und von dem so hochromnntisch klingenden und mit diesen lichten Steiu-
und Felswänden wie verwachsenen, aber im Kuhhandel erhaltnen Namen
"Liechtenstein," vom Land, in dem kein Buch gedruckt, aber der Schulunter¬
richt unentgeltlich erteilt wird, vom Stnatswescn und von der Monarchie ohne
Zivilliste, ohne Geheime- und Regierungsräte, ohne Militär, ohne Umsturz,
ohne Stadt, ohne Schulden, mit seinem Parlament ohne Parteien, mit seiner
idealen Verbindung vou Wahlrecht und Wahlpflicht, vom gelobten Land -- ach
es ist so klein! --, wo es mehr Männer giebt als Frauen!

Sollen wir im großen Reich draußen die hier im kleinsten beneiden?

Das würde sich schon nicht schicken, weil es ja unsre deutschen und zwar
unsre kerndeutschen Brüder sind! Bereite", ja, um ihre wundervolle Natur
etwa, um ihr Miniaturstaatswesen -- trotz aller Vorzüge nimmermehr! --
Was ist Liechtenstein?

Ein Sandkorn zwischen Hammer und Amboß, die künstlich so gestellt sind,
daß dafür gerade noch Raum bleibt! Ein vergessener Brosamen auf dem
Tische Europas, so klein, daß ihn die hungrigen Gäste ringsum übersahen,
und doch so schmackhaft, daß ihn keiner dem andern gönnt! Dem Neide aber
und dem Zufall sein Dnsein zu verdauten, ist nicht des Neides wert.




Deutschtum oder polentum
(Schluß)

Ion abgewandeltem Volkstum zu sprechen und mit diesem Begriff
zu operieren hat für ernste Erörterung große Bedenken; denn
fraglich erscheint ohne weiteres, ob ein Volkstum, wenn es Ab¬
wandlungen gegen seine frühere Art zeigt, wenn es sichtbare
Z Abänderungen an ihr erlitten hat, überhaupt noch in urwüchsiger,
rechter Art eigentümlich, ob es überhaupt noch echt volkstümlich, kurz, ob es^


Deutschtum oder j)olentuin

sich harmonisch aus dem zarten Lärchengrün hebt, mit Wald- und Weidenmatten
und Herdenglocken, mit deinem Fürstensteig, den schroffen Bergspitzen und den
schauerlichen Abgründen, die hinab bis zum glänzenden Rheinstrom stürzen;
und Maseschn, dn stilles Reich der „drei Schwestern," die nicht bloß als drei-
gipfliger Berg 2108 Meter hoch in die Lüste ragen, souderu als lvirkliche und
Uiahrhaftige drei Liechtensteiner Damen den stadtinüden Fremdling aus dem
Reich in ihrer Pension aufs treulichste hegen und Pflegen; das Uialdstille
Sulla, die „saftige Weide" im Samiuathnl drüben — das find Bergnester,
wie man sie heimlicher und prächtiger nirgends in diesem Hochgebirg findet.

Mit diesen Nestern des Staatsuests Liechtenstein Wollen wir Abschied
nehmen von dem ganz einzigartigen Ländchen, vom Fürstentum ohne Fürst im
Land und von dem so hochromnntisch klingenden und mit diesen lichten Steiu-
und Felswänden wie verwachsenen, aber im Kuhhandel erhaltnen Namen
„Liechtenstein," vom Land, in dem kein Buch gedruckt, aber der Schulunter¬
richt unentgeltlich erteilt wird, vom Stnatswescn und von der Monarchie ohne
Zivilliste, ohne Geheime- und Regierungsräte, ohne Militär, ohne Umsturz,
ohne Stadt, ohne Schulden, mit seinem Parlament ohne Parteien, mit seiner
idealen Verbindung vou Wahlrecht und Wahlpflicht, vom gelobten Land — ach
es ist so klein! —, wo es mehr Männer giebt als Frauen!

Sollen wir im großen Reich draußen die hier im kleinsten beneiden?

Das würde sich schon nicht schicken, weil es ja unsre deutschen und zwar
unsre kerndeutschen Brüder sind! Bereite», ja, um ihre wundervolle Natur
etwa, um ihr Miniaturstaatswesen — trotz aller Vorzüge nimmermehr! —
Was ist Liechtenstein?

Ein Sandkorn zwischen Hammer und Amboß, die künstlich so gestellt sind,
daß dafür gerade noch Raum bleibt! Ein vergessener Brosamen auf dem
Tische Europas, so klein, daß ihn die hungrigen Gäste ringsum übersahen,
und doch so schmackhaft, daß ihn keiner dem andern gönnt! Dem Neide aber
und dem Zufall sein Dnsein zu verdauten, ist nicht des Neides wert.




Deutschtum oder polentum
(Schluß)

Ion abgewandeltem Volkstum zu sprechen und mit diesem Begriff
zu operieren hat für ernste Erörterung große Bedenken; denn
fraglich erscheint ohne weiteres, ob ein Volkstum, wenn es Ab¬
wandlungen gegen seine frühere Art zeigt, wenn es sichtbare
Z Abänderungen an ihr erlitten hat, überhaupt noch in urwüchsiger,
rechter Art eigentümlich, ob es überhaupt noch echt volkstümlich, kurz, ob es^


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[0310] Deutschtum oder j)olentuin sich harmonisch aus dem zarten Lärchengrün hebt, mit Wald- und Weidenmatten und Herdenglocken, mit deinem Fürstensteig, den schroffen Bergspitzen und den schauerlichen Abgründen, die hinab bis zum glänzenden Rheinstrom stürzen; und Maseschn, dn stilles Reich der „drei Schwestern," die nicht bloß als drei- gipfliger Berg 2108 Meter hoch in die Lüste ragen, souderu als lvirkliche und Uiahrhaftige drei Liechtensteiner Damen den stadtinüden Fremdling aus dem Reich in ihrer Pension aufs treulichste hegen und Pflegen; das Uialdstille Sulla, die „saftige Weide" im Samiuathnl drüben — das find Bergnester, wie man sie heimlicher und prächtiger nirgends in diesem Hochgebirg findet. Mit diesen Nestern des Staatsuests Liechtenstein Wollen wir Abschied nehmen von dem ganz einzigartigen Ländchen, vom Fürstentum ohne Fürst im Land und von dem so hochromnntisch klingenden und mit diesen lichten Steiu- und Felswänden wie verwachsenen, aber im Kuhhandel erhaltnen Namen „Liechtenstein," vom Land, in dem kein Buch gedruckt, aber der Schulunter¬ richt unentgeltlich erteilt wird, vom Stnatswescn und von der Monarchie ohne Zivilliste, ohne Geheime- und Regierungsräte, ohne Militär, ohne Umsturz, ohne Stadt, ohne Schulden, mit seinem Parlament ohne Parteien, mit seiner idealen Verbindung vou Wahlrecht und Wahlpflicht, vom gelobten Land — ach es ist so klein! —, wo es mehr Männer giebt als Frauen! Sollen wir im großen Reich draußen die hier im kleinsten beneiden? Das würde sich schon nicht schicken, weil es ja unsre deutschen und zwar unsre kerndeutschen Brüder sind! Bereite», ja, um ihre wundervolle Natur etwa, um ihr Miniaturstaatswesen — trotz aller Vorzüge nimmermehr! — Was ist Liechtenstein? Ein Sandkorn zwischen Hammer und Amboß, die künstlich so gestellt sind, daß dafür gerade noch Raum bleibt! Ein vergessener Brosamen auf dem Tische Europas, so klein, daß ihn die hungrigen Gäste ringsum übersahen, und doch so schmackhaft, daß ihn keiner dem andern gönnt! Dem Neide aber und dem Zufall sein Dnsein zu verdauten, ist nicht des Neides wert. Deutschtum oder polentum (Schluß) Ion abgewandeltem Volkstum zu sprechen und mit diesem Begriff zu operieren hat für ernste Erörterung große Bedenken; denn fraglich erscheint ohne weiteres, ob ein Volkstum, wenn es Ab¬ wandlungen gegen seine frühere Art zeigt, wenn es sichtbare Z Abänderungen an ihr erlitten hat, überhaupt noch in urwüchsiger, rechter Art eigentümlich, ob es überhaupt noch echt volkstümlich, kurz, ob es^

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 59, 1900, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341871_233233/310>, abgerufen am 02.05.2024.